Woher kommt der Hass auf die KlimaaktivistInnen?
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Podcast vom 10. März 2023 | Gestaltung: Henning Klingen*
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Diesseits von Eden", dem Podcast der Theologischen Fakultäten in Österreich und Südtirol. Diesmal live und in Farbe aus der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien. Heute wollen wir uns über das Thema Hatespeech - Hassrede - Woher kommt der Hass auf die KlimaaktivistInnen? unterhalten.
Ich selber bin Zugfahrer, komme täglich am Westbahnhof in Wien an, und dort sah ich zuletzt Aktionen der "Letzten Generation", die sich angeklebt hat - mit relativ gelassenen Polizistinnen und Polizisten und relativ aufgeregten Autofahrern, denen das Aggressionspotenzial in die Gesichter geschrieben stand. Es lag Aggression in der Luft, die sich auch in Kommentaren im Social Web niedergeschlagen hat und die im schlimmsten Fall vielleicht sogar in handfeste Aggressivität umschlagen könnte. Woher kommt das? Was kann, was sollte man dagegen tun? Und welche Protestformen braucht es eigentlich in einer lebendigen Demokratie?
Das sind Fragen, über die ich heute mit drei Expertinnen und Experten sprechen möchte. Und zwar begrüße ich dazu zum einen die Ethikerin und christliche Philosophin und Theologin Claudia Paganini. Sie ist in Innsbruck aufgewachsen, hat an der Uni Innsbruck ihre akademische Heimat, und lehrt seit 2021 Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Dann begrüße ich als zweites Vinzent Schäfer. Er ist Student in München und ist Aktivist der "Letzten Generation" und wird ein paar Insiders uns geben und schließlich unseren Gastgeber hier, unseren Host für diesen Podcast heute Alexander Filipovic. Er ist Professor für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien. Herzlich willkommen in die Runde.
Beginnen möchte ich mit Claudia Paganini. Sie hat sich nämlich zuletzt in einem Beitrag auf Religion ORF genau zu diesem Thema geäußert und damit befasst. Im Vorgespräch hat sie berichtet, dass sie danach viele Mails und negative Kommentare bekommen hat - sie hat also offenbar mit diesem Thema etwas berührt, was viele Leute aufregt. Vielleicht können Sie einfach mal schildern, was es damit auf sich hat, was da Ihre Erfahrungen waren.
Paganini: "Es ist etwas paradox, denn ich habe mich gegenüber dem ORF über Hatespeech geäußert und habe erklärt, warum man Hate Speech vermeiden sollte. Und die Reaktion darauf war: Hate Speech. Der Anlass war der, dass die Dynamik einfach derzeit in der Gesellschaft so ist, dass man Klimaaktivisten kriminalisiert oder auch marginalisiert und in einer Ecke stellt als irrationale kriminelle Spinner. Und jemand, der sich damit akademisch befasst, wird offenbar wie eine Bedrohung wahrgenommen, auf den manche mit Hate speech reagieren. Auf Emails, die nicht von vornherein beleidigend waren, habe ich auch zurückgeschrieben und da wurde es dann auch besser. Aber ich denke, der erste Impuls ist eine Abwehr."
Was ist denn gemeint mit dem Wort Hate Speech? Vielleicht müssen wir das begrifflich ein bisschen klären. Wo kippt ein demokratieförderlicher, vielleicht notwendiger Streit in so etwas wie Hassrede, Hatespeech?
Paganini: "Also ich denke, dass man das ganz gut charakterisieren kann, wenn man sich die Intention dahinter anschaut: Wenn bei einem Wort, bei einer Wortmeldung, bei einem Beitrag die Intention der Austausch ist, dann ist es was ganz anderes, als wenn es nur darum geht, Drohungen, Beleidigungen loszuwerden. Gerade wenn ich jemanden nicht kenne - und das ist ja im Internet in der Regel der Fall - dann sollte ich meiner Meinung nach umso vorsichtiger, umso wertschätzender sein. Etwas anderes ist, wenn Leute, die sich gut und lange kennen wie Politiker in der Lokalpolitik, heftig streiten und polemisch werden. Bei Dingen, die sich nur vor dem Bildschirm abspielen, sollte man grundsätzlich sehr, sehr zurückhaltend sein."
"Die Polizisten sind häufig ruhig, die Autofahrer sehr aggressiv"
Vincent Schäfer hat nicht nur Erfahrungen mit Hate Speech, sondern auch mit tatsächlicher Gewalt: Er wurde inhaftiert, in Präventivhaft genommen. Was ist die Geschichte dahinter?
Schäfer: "Sie haben das in der Einleitung schon sehr gut gesagt: es stimmt, dass die Polizisten häufig sehr ruhig sind und die Autofahrer sehr aggressiv. Und das ist auch das, was wir in den Blockaden eigentlich jedes Mal sehen. Wir gehen auf die Straße und dann sind meist die ersten 5 bis 10 Minuten, in denen die Polizei nicht da ist, die die unsichersten sind, wo die Anspannung am größten ist. Und in der Zeit kann sich der Hass der Autofahrer ungehemmt und ungeschützt entladen. Wir werden beschimpft - das kann man ertragen. Uns werden die Banner entrissen, wir werden weggezogen. Das ist eigentlich das, was immer zur Tagesordnung gehört. Wir werden aber zum Teil auch geschlagen, getreten, in Würgegriff genommen. Letztens ist einem Aktivisten über den Fuß gefahren worden. Da gibt es auch Videos. Im Internet muss man einfach nur schauen."
Und was hat dann dazu geführt, dass sie selber inhaftiert wurden?
Schäfer: "Wir sind in den Tagen vor Weihnachten, am 20. und am 21. Dezember 2022, in München auf die Straßen gegangen. Und in Bayern gibt es ein Polizeiaufgabengesetz, das erlaubt, eine Präventivhaft anzuordnen. Und die wurde dann für uns für 15 Tage festgesetzt. Das heißt, ich war vom 21. Dezember bis zum 5. Jänner mit zehn weiteren präventiv im Gewahrsam in München-Stadelheim."
Also nicht wegen einer begangenen Straftat...
Schäfer: "Richtig, ich bin wegen keinerlei Straftaten verurteilt worden, das heißt ich habe eine weiße Weste ganz offiziell, war aber trotzdem schon im Gefängnis - und das geht nur in Bayern."
"Wir haben eine Wechselwirkung zwischen Social Media als Medientechnologie und dem, was Menschen erfahren in dieser Gesellschaft."
Prof. Filipovic, das Thema, das die Frau Paganini angesprochen hat, ist ja, dass sich dieser Hass via Social Media äußert. Warum machen Menschen das? Was haben die davon?
Filipovic: "Das ist eine gute Frage. Ich weiß auch nicht genau, was Sie davon haben, aber es scheint ja so etwas wie ein Gefühl von Selbstmächtigkeit zu sein, wenn man ins Netz, also in die Öffentlichkeit, ungehemmt seine Meinung sagen kann oder schreiben kann. Und man kriegt in den allermeisten Fällen ja auch so etwas wie eine Response oder erzeugt eine Resonanz von anderen Leuten, die das ähnlich sehen. Also das heißt, die Leute merken wahrscheinlich, dass sie gar nicht alleine sind mit ihrer aggressiven Stimmung und fühlen sich dadurch dann bestätigt, also in irgendeiner Form mächtig. Und die Form, die dagegen steht, ist natürlich Machtlosigkeit. Also fühlen sich diese Menschen, die so aggressiv sind, vermutlich in gewisser Weise machtlos gegenüber gesellschaftlichen Bewegungen, mit denen sie nicht einverstanden sind. Und das sucht sich dann wahrscheinlich einen Kanal. Das, was ich jetzt beschrieben habe, hängt nicht sehr an Technologie, sondern das ist überall da, wo Menschen miteinander interagieren der Fall. Wir kennen den berühmten Stammtisch, an dem sich so eine Aggressivität auch entlädt. Aber das, was am Stammtisch gesagt wird, das bleibt dort. Im Netz ist das anders, da bleibt es dauerhaft stehen, da erzeugt es immer mehr Resonanz und lässt sich auch immer wieder lesen und trifft auf andere Resonanzräume. Und das ist für alle Beteiligten nicht nur unangenehm, sondern kann ja auch zu psychischen Schäden führen, bis hin zu Suiziden. Menschen leiden da sehr stark drüber drunter unter einer solchen Hate Speech. Das heißt, wir haben eine Wechselwirkung zwischen Social Media als Medientechnologie und dem, was Menschen erfahren in dieser Gesellschaft."
Ich habe manchmal den Eindruck oder besser den Verdacht, dass die Leute, die da mit hochrotem Kopf in Autos sitzen und sich wahnsinnig aufregen, dass die eigentlich genau wissen, dass die Klimaaktivisten recht haben mit ihren Forderungen und sie selber entweder nicht den Hintern hoch kriegen, was zu tun oder selber nicht aus ihren Routinen rauskommen. Und eigentlich ist das also eine Art Selbsthaß, der sich dort im Netz äußert...
"Das Ausmaß der Empörung steht in keiner Relation zum Anlass"
Paganini: "Es ist offensichtlich, dass da eine ganz große Psychodynamik im Hintergrund wirkt. Es kann nicht nur darum gehen, dass da jemand am Boden sitzt, der für mich als Autofahrer überhaupt keine Bedrohung darstellt und dass ich eine halbe Stunde zu spät irgendwo sein werde, weil man gerade in größeren Städten auch ohne Klimaaktivisten regelmäßig im Stau steht. Das Ausmaß der Empörung steht also in keiner Relation zum Anlass. Es geht also wohl vor allem um so etwas wie Selbstwirksamkeit: Wenn ich keine Selbstwirksamkeit in meinem Leben habe, dann ist es immer noch besser, negativ-selbstwirksam zu sein. Da fühlt man sich zunächst einmal besser. Was mich überrascht: Die Kommunikation der 'Letzten Generation' geht immer in Richtung Regierungsverantwortung, das heißt, es müssen sich die Einzelnen gar nicht so extrem angesprochen fühlen. Aber sie spüren wohl auch, dass da ein moralischer Imperativ ist, den sie befolgen sollten. Und mit dieser Spannung müssen sie irgendwie umgehen und darauf reagieren. Und das geht am einfachsten, wenn man ein Hassobjekt findet, auf das sich dann dann die Frustration kanalisieren kann. Dann kommt die Teuerung dazu, der Ukraine-Krieg, die gerade erst überwundene Corona-Pandemie - das sind schon ganz viele Themen derzeit, die die Menschen beunruhigen und die Spannungen entstehen lassen."
Filipovic: "Ich stimme stimme Claudia zu, dass die Reaktionen auf solche Proteste ganz konkret übertrieben sind. Aber wenn ich das richtig verstehe, dann zielen solche Proteste ja auch direkt auf eine Störung der öffentlichen Ordnung. Sie wollen ja, dass Menschen nicht weiter kommen und aufgehalten werden und in ihren täglichen Routinen unterbrochen werden. Damit hat das natürlich eine Aggressivität, denn meine Freiheit wird eingeschränkt. Wenn ich mich in einen Autofahrer hineinversetzen würde und einen dringenden Termin hätte, wäre ich vermutlich auch sauer. Aber ich würde wahrscheinlich zum Telefonhörer greifen und den Termin absagen."
Was mich irritiert: Die Forderungen, die die "Letzte Generation" stellt, sind ja relativ moderat. Es geht um ein 9 €-Ticket auf Dauer, Tempo 100 etc. - und da passen ja irgendwie die Protestform und die Forderungen nicht wirklich zusammen, oder...?
Schäfer: "Uns allen ist klar, dass wenn morgen das 9 €-Ticket zurückkommt und Tempo 100 auf Autobahnen eingeführt wird, dass der Klimawandel damit nicht gestoppt wird, dass die Katastrophe nicht aufgehalten wird. Aber es wäre trotzdem ein Handeln der Regierung, das zeigen würde, dass sie die Situation ernst nimmt. Es sind so einfache Maßnahmen! Wir haben für beide eine Mehrheit in der Bevölkerung. Das Tempolimit kostet überhaupt nichts. Das ist 9 €-Ticket hatten wir schon im Sommer und es hat funktioniert. Das sind die einfachsten Schritte, die man jetzt einleiten könnte. Und dass die Regierung das nicht macht, zeigt einfach, wie sehr sie diese Katastrophe überhaupt nicht ernst nimmt. Und das zeigen wir damit auf."
Begreift man sich seitens der "Letzten Generation" als Form eines ermächtigten Bürgertums, die damit eine Art aktiven, lebendigen Verfassungspatriotismus auslebt?
Schäfer: "Selbstverständlich! Wir berufen uns ganz stark auf die Verfassung. Und genau deswegen gehen wir auf die Straße, weil wir sehen, dass unsere Lebensgrundlagen zerstört werden. Weil wir sehen, dass die Regierung ihre eigenen Ziele nicht einhält, worauf sie sich verpflichtet hat im Pariser Abkommen. Und genau deswegen gehen wir auf die Straße. Wir achten die Verfassung sehr stark, und wir wissen auch, dass es in einer drei bis vier Grad heißeren Welt keine Demokratie mehr geben wird."
"Ich kann verstehen, dass die Protestformen schärfer werden"
Filipovic: "Also ich finde es erst mal unbedingt unterstützenswert. Die Strukturen, die dahinter stecken sind, sind interessant. Offenbar gibt es da eine in sich selbst gefangene Gesellschaft und Politik, die nicht sieht, wie dringlich die Situation ist. Und offenbar sind auch unsere demokratischen Verfahren nicht so geschaffen, dass sie dieses massive Problem, was jeder sieht, irgendwie richtig bearbeiten können. Und dass sich gerade junge Menschen, die in dieser Welt noch länger leben als wir, sich entsprechend engagieren, finde ich gut und richtig. Man könnte darin eine antidemokratische Spitze sehen, aber das stimmt nicht. Ein solcher Vorbehalt würde argumentieren: eigentlich müsste man den Weg der Institutionen gehen, die richtigen Leute wählen, dann zu seinen Repräsentanten, den Abgeordneten, damit die dann im Parlament die entsprechenden Gesetze ausarbeiten. Aber das funktioniert ja offenbar nicht. Und deswegen kann ich verstehen, dass die Protestformen schärfer werden, aggressiver werden. Und ich würde einfach hoffen, dass das die Politiker, die Menschen in unseren Ländern sehen und daraus lernen und es zum Anlass nehmen für noch grundlegendere Klimapolitik einzutreten."
Nun sitzen wir ja hier im Rahmen eines theologischen Podcasts. Warum ist das ein theologisches Thema? Warum befasst man sich als Theologe und Theologin und Sozialethiker damit?
Paganini: "Theologen und Theologinnen haben ja bekanntlicherweise keine Schwierigkeiten, alles, was sich irgendwo ereignet, mit einer theologischen Lesebrille anzuschauen. Da bieten sich hier relativ viele Anknüpfungspunkte an: man man kann zunächst einmal über das Thema an sich sprechen, über Klimawandel und Klima im Zusammenhang mit Schöpfungsverantwortung. Dann kann man den Umgang mit Klimaaktivisten innen anschauen und sagen okay, wenn wir als Christinnen die Menschenwürde hochhalten und der Meinung sind, dass es ein intrinsischer Wert ist, der jedem Menschen von Gott her zukommt und der unverhandelbar ist, dann verpflichtet mich das auch auf eine bestimmte respektvolle Art des Umgangs. Man könnte die Wahrnehmung der Aktivistinnen reflektieren und beispielsweise einen Bezug zur Prophetie herstellen. In der alttestamentlichen Prophetie haben wir ja eigentlich durch die Bank lauter Unheilspropheten, die gar nicht so unähnlich zu der aktuellen Protestform sind. Die nehmen wir aber aus der zeitlichen Distanz, wo sie keine Bedrohung mehr für das eigene Weltbild und vor allem die eigene Praxis darstellen, nicht so wahr und idealisieren sie. Und in dem Moment, wo Unheilsprophetie vor der eigenen Haustür passiert, spricht man eben von Terror und von Radikalität. Das sind auch Bewertungen, die nicht stimmig sind."
Filipovic: "Grundlegend gibt es einen Zusammenhang von von Glaube und Weltverantwortung. Also das heißt: unser Gottesglaube verpflichtet uns, die wir an diesen Gott glauben, als Christinnen und Christen zum Beispiel ein bestimmtes Verständnis von Welt auch zu entwickeln und dafür auch einzutreten. Und dafür haben wir verschiedene Formen: die Heilige Schrift zeigt uns solche Formen, also das heißt die Prophetie und die Kritik, die Gesellschaftskritik, die damit zusammenhängt, die steht ja im engsten Kontext eines Gottesglaubens. Und die Herausforderung nicht nur für das Volk Israel, sondern auch für uns heute ist, für eine Gesellschaft einzutreten, die dem Befreiungshandeln Gottes entspricht. Das ist sozusagen der Vorsatz der zehn Gebote: Weil Gott uns befreit hat, folgen wir diesen Geboten. Das ist dann unsere Brille als Ethiker, die im Horizont des Christentums ihrer Arbeit nachgehen und also so etwas wie eine Wahrnehmungslehre auf bestimmte gesellschaftliche Probleme. Diese Brille haben wir nicht exklusiv als Theologinnen und Theologen, die teilen wir auch mit ganz vielen anderen Menschen. Aber wir bringen sie intensiv ein und und stehen auf und sagen: Ja, wir können nicht in einer Welt leben, wo Menschen durch den Klimawandel in Zukunft nicht mehr menschenwürdig leben können, hungern, keinen Zugriff auf Wasser haben oder ihr Land verschwindet."
Um auf die Einstiegsgeschichte zurückzukommen: Sie haben ja konkrete Forderungen im ORF erhoben, dass sich eigentlich die Politik schützender verhalten sollte. Was schwebt Ihnen da vor?
Paganini: "Also zum einen klare Statements von politischer Seite. Und zum anderen denke ich, dass das auch das eigene Handeln natürlich immer Vorbildwirkung hat, sprich: Politikerinnen, die Aktivistinnen vielleicht zum Gespräch einladen, hätten schon eine ganz gute Wirkung, denn das würde einfach der Gesellschaft zeigen: Das sind Menschen, mit denen man tatsächlich reden kann und sollte. Auch das Thema einfach irgendwie totzuschweigen oder nicht vorkommen zu lassen, ist nicht wirklich hilfreich. Ich würde mir da wirklich ein proaktives Vorgehen wünschen."
Also einfache Solidaritätsadressen sind ein bisschen wenig...
Paganini: "Ja, aber selbst die kommen ja nicht mal. Das Beste, was man eigentlich derzeit von der Politik erlebt, ist einfach, sich gar nicht zu äußern. Und das ist jedenfalls zu wenig. Also ich denke, auch diese Dynamik in der Gesellschaft sollte sollte angesprochen werden. Eben explizit sollten die die Menschen aufgefordert werden zu beruhigen, zu deeskalieren und nicht in in den Mob und die Hetze irgendwie einzustimmen."
"Wir werden aus dem Diskurs herausgedrängt"
Schäfer: "Wir sehen aus der Politik, dass man versucht, uns aus dem Diskurs herauszudrängen, indem wir eben diffamiert werden als Terroristen, als Chaoten. Und dann sehen wir manchmal Gegenbewegungen. Zum Beispiel hat erst kürzlich der Bürgermeister von Hannover sich mit der 'Letzten Generation' zusammengesetzt und debattiert. Und wir haben daraufhin unsere Proteste in Hannover eingestellt. Was war die erste Reaktion? Er hat sofort einen auf den Deckel bekommen vom Rest der Politik. Wir sehen außerdem, dass auch andere Gesprächsangebote kommen - zum Beispiel von Seiten der Kirchen. Eine Vertreterin der 'Letzten Generation' wurde eingeladen auf die EKD Synode. Auch da wieder Gegenwind: 'Mit denen dürft ihr doch nicht sprechen!' Genau das ist das, was den Diskurs verschärft, was uns herausdrängt. Und wenn wir dann zusätzlich noch als Terroristen diffamiert werden, dann kommt da einfach beim Autofahrer im Stau an: Wenn schon ein Politiker sagt, wir seien eine Gefahr, dann wird das wohl stimmen Und gegen diese Gefahr darf ich mich auch im Kontext wehren. Und das ist dann eine implizite Gewaltlegitimation, die wir auf der Straße am Ende zu spüren bekommen."
Nimmt die letzte Generation denn das christliche Engagement als solches auch wahr?
Schäfer: "Ja, klar. Ich würde sogar sagen, die Kirchen sind noch mit die Fortschrittlichsten in der Bewegung, mit denen wir auch gut zusammenarbeiten. Also wir sehen, die Bestrebungen aus der Kirche sind da und deutlich mehr als aus der Politik."
Was wären denn die Einschätzungen der Theologinnen und Theologen hier am Tisch, was ihre eigene Kirche angeht: Braucht es mehr Aktivismus aus dem kirchlichen Raum?
Filipovic: "Ja, Aktivismus schon. Ich glaube, dass die Kirchen sehr breit engagiert sind im Bereich von klimagerechtem Handeln. Es gibt aber natürlich auch eine Allianz zwischen einem Bürgertum, was davon nichts wissen will, und Teilen der katholischen Kirche. Ich glaube aber, das eine echte christliche Perspektive nicht umhinkommt, die Kategorie Schöpfung ernst zu nehmen und entsprechend politisch dafür einzutreten. Und aus dieser Perspektive wäre es dann tatsächlich wünschenswert, man würde viel mehr Solidarität zeigen und sich auch dazustellen und auch Formen für sich selber finden würde. Aber es gibt leider oft auch von hohen Würdenträgern so etwas wie eine schlaff machende Gewissheit, dass Gott die Welt schon nicht untergehen lassen wird. Und das bringt einen natürlich auf die Palme. Und deswegen könnte man schon auch den Blick umwenden auf die Tradition, die wir im Christentum haben, eben die Apokalyptik. Also nichts gegen die Theologie der Hoffnung und geegen Gottvertrauen. Aber wenn Menschen durch das, was sie tun mit dieser Welt, die Welt an ihr Ende führen und die wissenschaftlichen Daten dafür sprechen, dass das so ist, dann sollte man vielleicht ernst nehmen, dass auch diese Welt trotz der Zusage Gottes zu Ende gehen kann. Und das wird in der Apokalyptik ja zum Teil beschrieben. Also das finde ich eine sehr wichtige Perspektive gegen diese Schlaffheit, dass alles schon irgendwie gut gehen wird."
Paganini: "Ja, ich würde mir auf jeden Fall auch mehr konkrete Handlungen, mehr explizite Statements wünschen. Andererseits muss man sagen, das ist sowieso nicht das, wo die katholische Kirche ihre große Stärke hat. "
Ich möchte das letzte Wort dem Herrn Schäfer geben und ihn eigentlich fragen: Was kommt denn für Sie "danach"? Welche Protestform kann das, was die "Letzte Generation" macht, noch "toppen"?
"Wenn die Klimakrise sich radikalisiert, werden auch die Protestformen radikaler"
Schäfer: "Also ich hoffe, die 'Letzte Generation' wird dann Geschichte sein, wenn wir in einer klimagerechten Zukunft leben. Und ich hoffe auch, dass es keinen weiteren Anlass geben wird, dass sich die Klimaproteste noch weiter radikalisieren müssen. Klar ist, dass wenn sich die Klimakrise immer weiter radikalisiert, was sie gerade ungebremst tut, dass dann auch wahrscheinlich die Protestformen radikaler werden und auch die gesellschaftlichen Spannungen radikaler werden. Wenn wir auf einmal Zonen haben werden, die wirklich unbewohnbar sind, weil es so heiß sein wird, dass Leute entweder sterben oder fliehen werden. Das wird die ganze westliche Welt erschüttern und darauf müssen wir uns gefasst machen, wenn wir jetzt nicht bald handeln."
Das heißt, um das festzuhalten: Das Handeln der "Letzten Generation" ist kein antidemokratisches, sondern genau das Gegenstück davon.
Schäfer: "Ja, weil wenn wir jetzt nicht handeln, dann werden wir nicht mehr in einer Demokratie leben können in 50 oder 100 Jahren."