Fake oder Fakt? Wie war das damals mit Weihnachten wirklich?
Podcast vom 19. Dezember 2023 | Gestaltung: Georg Pulling
Wohl keine Stelle der Bibel ist uns so sehr vertraut wie jene von der Geburt Jesu in Bethlehem. Doch war das damals, vor 2000 Jahren, wirklich so, wie es in der Bibel geschildert wird? Einer, der sich intensiv mit der Bibel von Berufs wegen auseinandersetzt, ist Professor Christoph Heil. Er lehrt an der katholisch theologischen Fakultät der Universität Graz und hat sich auf Bibelwissenschaft spezialisiert, genauer gesagt auf das Neue Testament. Herzlich willkommen bei einer neuen Podcastfolge von Diesseits von Eden. Am Mikrofon begrüßt sie Georg Pulling.
Professor Christoph Heil, Sie sind Bibelwissenschaftler, genauer gesagt Experte für das Neue Testament. Danke, dass Sie zu uns gekommen sind. Die Weihnachtsgeschichte, das ist wohl der Teil der biblischen Erzählung, den jeder kennt. Das hören wir jedes Jahr mit einer ganz besonderen emotionalen Aufmerksamkeit auch in den Gottesdiensten rund um Weihnachten. Ganz so einfach ist es, wenn man genauer hinschaut, aber vielleicht doch nicht. Vielleicht können Sie ganz kurz erklären und vielleicht auch einige Missverständnisse aufklären: Wann kam Jesus denn tatsächlich zur Welt und wo?
Heil: "Ja, also zunächst mal hängt die Attraktivität der Weihnachtsevangelien natürlich an der besonderen schriftstellerischen Qualität, die die Evangelisten Lukas und Matthäus hier bringen. Es sind Glaubens-Erzählungen, die nicht unbedingt Zeitungsberichte sein wollen, und man wusste wahrscheinlich gar nicht genau, wann Jesus geboren wurde. Man hat zunächst an die Auferstehung geglaubt und von Ostern her dann auch gefragt: Wo sind denn eigentlich die Anfänge von Jesus von Nazareth? Und die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas datieren die Geburt in die Zeit von Herodes. Das war ein sogenannter Klientelkönig, ein König von Judäa, von römischen Gnaden, und der ist gestorben im Jahre vier vor Christus. Wenn also Matthäus und Lukas recht haben, dann ist Jesus einige Jahre vor der Zeitenwende geboren, und das wird auch in der Bibelwissenschaft allgemein anerkannt."
Ja und wer hat dann die falsche, quasi die falsche Geburtsurkunde ausgestellt?
Heil: "Das war dann eben die Frage im frühen Mittelalter, wie man das genau alles datieren kann. Das war ein Mönch im 6. Jahrhundert, Dionysius Exiguus, der hat dann durch chronologische Berechnungen das Geburtsjahr, eben die Zeitenwende, das Jahr 0, was ja gar nicht existiert, berechnet. Und er hat sich aber da offenbar etwas auch vertan. Und wenn man die Bibel liest, also bei Lukas und Matthäus, dann wird klar, dass Jesus noch unter Herodes dem Großen geboren wurde, der im Jahr vier vor Christus gestorben ist."
Wenn wir den biblischen Bericht der Geburt Jesu bei Lukas nachlesen, dann finden wir gleich am Beginn den Kaiser Augustus. Also den hat es ja wirklich tatsächlich gegeben. Dann gab es hier auch noch einen Quirin, Statthalter von Syrien. Gab es den auch? Gab es den auch zu der Zeit, als vermutlich vermeintlich Jesus geboren wurde?
Heil: "Das wäre mir ganz wichtig zu sagen, dass die biblischen Zeugnisse auch im Alten Testament ja auf wirklich historischen Ereignissen beruhen. Es ist also nicht alles Fiktion. Es gibt historische Ankerpunkte. Jesus ist zweifellos in einem Dorf geboren worden, in einer Handwerker-Familie. Er war Jude. Seine Familie war offensichtlich ganz traditionell fromm und der Bezug bei Lukas auf Augustus und auf Quirinius zeigen diesen Wunsch, dass die Geschichte Jesu auch wirklich in der menschlichen historischen Geschichte verankert wird. Augustus war der römische Kaiser, unter dem Jesus geboren wurde. Er ist im Jahr 40 nach Christus gestorben und Quirin war der Legat des Kaisers in Syrien."
Das heißt also die damalige römische Provinz Syrien. Das kann man nicht vergleichen mit dem heutigen Staat Syrien...
Heil: "Richtig, also das sind nicht die heutigen Staatsgrenzen. Das Heilige Land war in der Zeit Jesu keine eigene Provinz, sondern das war Teil von der Provinz Syrien. Und in dem Heiligen Land, da gab es dann einen Präfekten. Das war in der Zeit von Jesus Pontius Pilatus."
Kam Jesus tatsächlich in Betlehem zur Welt?
Jetzt hören wir jedes Jahr zu Weihnachten: So zog auch Joseph von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa, in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt. Und dort kam dann das Jesuskind zur Welt. Kam das Jesuskind tatsächlich in Bethlehem zur Welt? Bewegen wir uns auf dünnem Eis?
Heil: "Das ist natürlich eine sensible Frage. Aber hier muss man auch wissenschaftlich einfach sagen, dass nur Matthäus und Lukas von der Geburt in Bethlehem berichten. Und der Sinn dieser Ortsangabe ist eine ganz theologische. Die wird bei Matthäus dann auch ausbuchstabiert. In Matthäus 2,5-6 wird Micha 5 zitiert, in der der neue König von Bethlehem erwartet wird. Der König David selbst ist in Bethlehem geboren worden, und man hat den neuen Gesalbten erwartet, der dann Israel wieder zur alten Größe zurückbringt. Und dieser neue König, der soll auch in Bethlehem geboren werden. Und für die Christen war das natürlich Jesus und deswegen hat man die Geburt Jesu in Bethlehem dann verortet. Das geschieht bei Lukas und bei Matthäus, Markus oder Paulus oder auch eine frühe Jesus-Quelle, die Quelle Q, wissen davon nichts. Und im Johannesevangelium wird sogar deutlich gemacht, dass Jesus in Bethlehem geboren sein müsste, wenn er der Messias wäre. Also das sagen die Gegner, dass er ja nicht in Bethlehem geboren wurde. Das Johannesevangelium ist auch ein Hinweis darauf, dass es eher unsicher ist, ob Jesus tatsächlich historisch in Bethlehem geboren wurde. Meine eigene Meinung wäre, dass Jesus ist in Nazareth geboren worden ist. Und Matthäus und Lukas verorten das dann theologisch in Bethlehem. Das soll aber niemanden davon abhalten, die Krippe anzuschauen und Weihnachten in Bethlehem auch zu sehen. Das ist einfach der Erinnerungsort für Christen, an dem die Geburt Jesu gefeiert wird. Und dagegen ist auch gar nichts zu sagen."
Jetzt schmeißt uns das aber ein bisschen unsere Weihnachtsgeschichten durcheinander. Von der Herbergssuche, von diesem Ehepaar, das auf dem Esel durch ganz Israel Galiläa ziehen muss, bis es noch nach Bethlehem kommt. Und dann war in der Herberge kein Platz. Wenn sie aber eh keine Herberge gesucht haben, dann hätten sie auch keinen Platz gebraucht... Wie ist denn das alles einzuordnen, auch theologisch?
Heil: "Also die Wahrheit der Weihnachtsgeschichte liegt ja jetzt nicht in diesen historischen Fakten. Bei Matthäus zum Beispiel ist es so, dass Josef und Maria in Bethlehem wohnen. Also die müssen gar nicht erst da hinziehen, die wohnen schon dort und die müssen dann, weil Herodes der Große nach Jesus suchen lässt, nach Ägypten fliehen und kehren dann nach dem Tod von Herodes dem Großen zurück. Also die Evangelien von Matthäus und Lukas widersprechen sich da schon in der Art und Weise, wie Josef und Maria nach Bethlehem kommen. Also wenn man das kritisch wissenschaftlich untersucht, muss man eher zu dem Schluss kommen: Matthäus und Lukas suchen unterschiedliche Wege, um die Geburt Jesu in Bethlehem zu lokalisieren. Das ist ihre Glaubensüberzeugung. Die ist für Christen auch wahr. Wenn man historisch und kritisch danach fragt, muss man eher sagen: Das ist dann eine Erzählung, die den Glauben illustriert. Historisch richtig ist wahrscheinlich, dass Jesus in Nazareth nicht nur aufgewachsen ist, sondern da auch geboren wurde."
Jetzt haben Sie uns das schon sehr gut erklärt, dass Bethlehem eine herausragende theologische, religiöse Bedeutung hat, damals schon für die Juden, jetzt natürlich auch für uns. Anders gefragt: Was ist mit Nazareth? Ist das einfach irgendein Dorf unter vielen? Hätte das auch anders sein können? Oder hatte Nazareth auch irgendwie schon vorher eine Bedeutung gehabt?
Heil: "Nein, überhaupt keine. Nazareth kommt im Alten Testament an keiner Stelle vor. Das war nach archäologischen Erkenntnissen heute ein Dorf von vielleicht 400 Einwohnern. Es waren drei Seiten, umschlossen von Hügeln, von relativ großen, steilen Hügeln. Es gab nur eine Zufahrt nach Nazareth, einen Weg in das Dorf. Man musste dann wieder den gleichen Weg nehmen, wenn man aus dem Dorf zurück wollte. Es lag an keiner Handelsstrecke. Also es war ein völlig unbedeutendes Dorf, aus dem Jesus stammt. Und das, meine ich, kann man aber auch theologisch sehr schön verwenden, indem man eben auf die Herkunft Jesu hinweist aus einer kleinen Handwerker-Familie, die sicher nicht völlig verarmt war, aber doch zu der ärmeren Bevölkerungsschicht gehörte. Er war ungebildet, er hat keine formale Ausbildung, er hat nicht studiert in Jerusalem. Also diese Herkunft von unten, das halte ich für die Kirche heute auch für einen ganz wichtigen Punkt, den man stark unterstreichen sollte."
Prof. Christoph Heil, Universität Graz
Stichwort Herkunft von unten: Wenn man sich doch auch die traditionellen, tradierten Bilder vor Augen hat - die Geburt im Stall, in der Krippe - wenn ich mir orthodoxe Motive von der Geburt Jesu vorstelle, dann ist es kein Stall, sondern dann war es eine Art Höhle. Das wird also in dieser Tradition so dargestellt. Vermutlich ist er daher wohl weder im Stall noch in der Höhle auf die Welt gekommen, oder...?
Heil: "Wenn man das wissenschaftlich untersuchen wollte, hat man dafür eigentlich keine Quellen. Man kann da nur Vermutungen anstellen. Deswegen finde ich es auch völlig legitim, wenn man weiterhin die Krippe verehrt und Krippen aufstellt, ist es auf jeden Fall sehr wahrscheinlich, dass Jesus in sehr ärmlichen Verhältnissen geboren wurde, aufgewachsen ist. Von einer Höhle steht im Neuen Testament nichts. Die Krippe finden wir in Lukas. Bei Matthäus ist es ein Haus, also das stellt sich Matthäus vor, dass Maria und Josef in einem bescheidenen Haus in Bethlehem wohnen. Und das Wichtige an den Überlieferungen ist einfach die Ärmlichkeit und die ja völlige Randexistenz der Familie Jesu. Hieronymus dann, im vierten Jahrhundert, der in Bethlehem gelebt hat, der hat dann die Höhle quasi ausfindig gemacht, in der Jesus geboren wurde. Das wird auch heute verehrt in der Geburtskirche in Bethlehem."
Warum feiern wir Weihnachten am 24./25. Dezember?
Wir feiern die Geburt Jesu am 24. bzw. 25. Dezember. Jetzt gehe ich mal davon aus, dass auch dieses Datum nicht historisch belegt ist. Wie kam es denn dazu?
Heil: "Das hängt an dem Interesse dann an Weihnachten, das immer stärker wurde. Wir haben zunächst ja die wichtige Feier von Ostern, das ist die allererste und die wichtigste, zentralste christliche Feier. Und dann hat man eben auch nach dem Anfang, nach den Ursprüngen Jesu immer mehr gefragt und hat dann auch ein Fest gesucht dazu. Und da ist die allgemeine Meinung, dass der 25. Dezember, die Wintersonnenwende, gewählt wurde, weil da im Römischen Reich im Westen ein Mithrasfest gefeiert wurde, der Sol Invictus. Und an diese Stelle des 25. Dezembers hat man dann das Geburtsfest Jesu gelegt."
Das heißt, wir wissen es nicht, aber wir haben eine Wahrscheinlichkeit von eins zu 365, dass es doch stimmen könnte.
Heil: "Ja, aber wie gesagt, diese Fragen sind dann mit unseren Quellen einfach auch nicht zu beantworten. Das antike Judentum hat Geburtstage nicht gefeiert. Wir kennen den Geburtstag Jesu einfach nicht. Und die Kirche im 4. Jahrhundert hat sich dann für den 25.12. entschieden und hat damit ein offenbar römisches Fest verdrängen wollen. Auch das hatte also politische, strategische Gründe gehabt."
Eine Frage, die ich mir auch oft stelle: Josef, der arme, brave Mann, musste so viel im Hintergrund tun. Er kommt schon in der Bibel kaum vor und ansonsten spielt er eigentlich auch nur eine Nebenrolle. Und wirklich viel von ihm wissen wir auch nicht. Darum meine Frage: Was wissen wir wirklich über Josef, den Vater Jesu?
Heil: "Wie Sie schon sagen: sehr wenig. Er ist der, der auch den Willen Gottes tut. Gerade nach Matthäus im ersten Kapitel ist das ganz wichtig. Er tut das, was der Engel, der Bote Gottes, ihm sagt. Und von daher wird er in der Kirche auch oft als der Gerechte, der Fromme gesehen. Dann, wenn die Jungfräulichkeit Mariens auch betont wird, ist er dann auch der keusche Josef. Das sind alles dann Attribute, die ihm gegeben werden, die man aus den wenigen biblischen Informationen herausschälen kann. Also für Lukas und für Matthäus ist es wichtig, dass Maria im Mittelpunkt steht. Sie ist die entscheidende Person in der Geburtstheologie. Und Josef ist quasi der Stille, der Schweigende, der Treue und der Gerechte, der an der Seite von Maria steht. Und diese Haltung wird heute ja auch positiv gesehen, wie auch von Papst Franziskus. Aber viel mehr kann man aus den wenigen Sätzen, die wir von ihm hören, nicht schließen. In der öffentlichen Wirksamkeit Jesu, als Jesus dann Ende 20 war und öffentlich auftrat, da kommt Josef dann gar nicht mehr vor. Also da nimmt dann die Kirche und auch die Bibelwissenschaft natürlich an, dass er in der Zeit schon gestorben war."
Wie war das mit der Jungfräulichkeit Mariens?
Dieser Josef muss ja nicht nur ein höchst verdienstvoller Mensch, sondern auch ein besonders geduldsamer Mensch. Wenn ich mir das so vorstelle: Er ist mit einer jungen Frau nicht einmal verheiratet, sondern nur verlobt - und dann wird dieses junge Mädel schwanger. Das muss doch damals, gerade in so einer ländlichen, konservativen jüdischen Gesellschaft, ein Skandal sondergleichen gewesen sein.
Heil: "Ja, also so erzählen das Matthäus und Lukas auch. Darin besteht dann eben auch die Treue und die Gerechtigkeit von Josef, dass er Maria nicht bloßstellt. Die übliche Handlungsweise wäre gewesen, Maria zu verstoßen, die Verbindung aufzugeben. Auf der anderen Seite, und da kommen wir jetzt auch auf ein weiteres, sehr heikles Thema, sind es natürlich nur Matthäus und Lukas, die von der jungfräulichen Geburt Jesu erzählen. Also die besondere Treue von Josef wird nur bei Matthäus und Lukas wichtig, weil da ja die Geburt Jesu auf übernatürliche Weise durch den Geist Gottes gedacht wird. Für Markus oder das Johannesevangelium, für Paulus oder andere frühe neutestamentliche Schriften ist das gar kein Thema, weil da auch die Jungfrauengeburt keine Rolle spielt. Die Wahrscheinlichkeit ist eben auch groß, dass die Vorstellung, dass Maria Jesus als Jungfrau geboren hat, in einer bestimmten Überlieferungsgeschichte vorgetragen wurde, bei Matthäus und bei Lukas. Und dass das gar kein allgemeines christliches Denken war. Also für den Evangelisten Johannes zum Beispiel ist die Jungfrauengeburt kein Thema, weil er ein ganz anderes Konzept hat von der Herkunft Jesu. Da ist Jesus der ewige, der immer schon bei Gott seiende Logos, also das Wort Gottes, mit dem Gott schon die Welt geschaffen hat. Und da wird die Vorstellung der Jungfrauengeburt gar nicht gebraucht. Also das wäre auch zu beachten, dass der Glaube an die Jungfräulichkeit Mariens natürlich wichtig ist, aber kein allgemein im Neuen Testament vorhandenes Thema darstellt."
Wenn ich mich recht an mein Studium erinnere, dann kann ja das griechische Wort im Originaltext mit Jungfrau oder mit junger Frau übersetzt werden. Stimmt das noch so heute oder ist hier die Bibelwissenschaft schon weiter?
Heil: "Die Lexikon-Auskunft, die Sie da nennen, ist nach wie vor gültig. Wir haben das den berühmten Text in Jesaja 14, dass eine Jungfrau einen Sohn gebären wird. Das ist im Alten Testament das hebräische Wort für junge Frau, die noch nicht verheiratet ist. Vielleicht eine Hofdame. Und da wird einfach gesagt, eine junge Frau wird einen Sohn gebären. Und dann wurde das hebräische Alte Testament ins Griechische übersetzt und einen Begriff gewählt, der für eine junge Frau steht, aber auch für eine Jungfrau also, die noch keinen Verkehr mit einem Mann gehabt hat. Und das war für das Christentum - jetzt speziell für Matthäus - natürlich eine super Vorlage, dass man dieses griechische Wort auch für Jungfrau, also im medizinischen Sinne, verwenden kann. Denn damit hatte Matthäus einen Schriftbeweis, dass Maria jungfräulich dann Jesus gebiert."
Gab es den Stern von Betlehem und die Sterndeuter überhaupt?
Ich stelle mir das so vor: Wir befinden uns in Betlehem und die Krippe, die Heilige Familie darin - und darüber der Stern von Betlehem. Gab es den wirklich? Was können Sie uns dazu verraten?
Heil: "Ja, also da gibt es immer schon in allen Zeiten Bemühungen von Astronomen bis in die Gegenwart, dieses astronomische Ereignis genau zu eruieren, genau zu schildern. Man guckt dann, welche Planeten oder welche Stern-Konfigurationen um die Zeitenwende da zu beobachten waren. Da wird viel Aufwand getrieben. Aber hier ist es auch wieder wie bei vielen anderen Fragen, bei den Glaubens- Weihnachtsgeschichten, dass man eher die theologische Aussage suchen sollte. Also nach allen Erkenntnissen. Heute findet man kein Sternen-Ereignis oder kein astronomisches Ereignis, das irgendwie mit dieser Darstellung bei Matthäus im zweiten Kapitel zusammengeht. Dieser Stern, der führt die Weisen aus dem Morgenland von Jerusalem, wo sie von Herodes dem Großen kommen, nach Süden oder Südosten, wo Bethlehem liegt. Das muss ein Stern gewesen sein, der von Nord nach Süd wandert. Das kann man naturwissenschaftlich nicht nachvollziehen. Das ist einfach die Glaubensaussage, dass der ganze Kosmos, die ganze Welt auf dieses Ereignis hinweist. Man kann dazu auch alttestamentliche Bezüge nehmen: Der Stern, der dann aufscheint, wenn der Messias geboren wird aus dem Buch Numeri. Aber das ist eher theologisch und glaubensmäßig zu interpretieren. Naturwissenschaftliche astronomische Erklärungen wird man nicht finden. Da haben die Experten jetzt schon jahrhundertelang danach gesucht. Das ist nicht überzeugend. Also man muss einfach die Wahrheit dieser Geschichte darin sehen, dass die ganze Welt, auch die Natur, alles weist auf die Geburt Jesu hin und freut sich über die Geburt Jesu."
Und diesen Hinweis nehmen auch die sogenannten Sterndeuter. Was wissen wir denn über die historisch?
Heil: "Ja, also vom griechischen Text her sind das Magier. Damit werden aber keine Zauberer bezeichnet, sondern das sind Weise aus dem Orient, die astronomische, naturwissenschaftliche, medizinische besondere Kenntnisse hatten und die eben aufgrund dieser Stern-Beobachtung dann ins Heilige Land kommen und bei Herodes, dem König von Judäa, dann vorstellig werden. Und die ziehen dann weiter nach Süden, nach Bethlehem, und huldigen dann dem Kind. Hier will Matthäus klar machen, dass wirklich die ganze Welt, also auch weise, gelehrte Akademiker, die Geburt Jesu feiern, dass sie Jesus suchen."
Kann man das so auch ein bisschen als Kontrapunkt zu den Hirten sehen? Also dort die gebildete Schichte der Magier, dort die Hirten stellvertretend für das einfache Volk?
Heil: "Genau. Also wir haben hier zwei unterschiedliche Adressaten bei den beiden Evangelien. Matthäus stellt sich eher vor, dass gebildete, anerkannte, bedeutende Männer an die Geburtsstätte Jesu kommen und ihm dann Gold, Weihrauch und Myrrhe geben. Bei Lukas wird eher gesagt: Es sind einfache Leute, ungebildete Arbeiter, die da auf dem Feld nachts die Herden bewachen. Also bei beiden sind es ganz unterschiedliche Adressaten, könnte man sagen. Und beides ist natürlich auch wahr im christlichen Sinn. Die Weihnachtsbotschaft ist für alle bedeutsam, für alle sozialen Schichten, ökonomische Schichten oder Bildungsschichten, was man auch immer da unterscheiden mag. Die Allgemeinheit der Weihnachtsbotschaft ist hier der Punkt."
Sie haben jetzt schon davon gesprochen, dass es ja keinen Sinn macht, die Bibel nur als historischen Bericht zu lesen. Dass das eher kontraproduktiv ist, sondern dass die Auseinandersetzung, auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit den ganzen theologischen Verflechtungen, die es da gibt, ja quasi den Glauben stützen soll. Verraten Sie mir zum Abschluss doch bitte noch so ganz persönlich: Wenn Sie in der Christmette sitzen, wenn Sie das Evangelium hören - schalten Sie dort den Bibelwissenschaftler weg ? Kann man das überhaupt trennen? Oder wie gelingt es Ihnen, diese beiden Positionen in eine Synthese zu bringen?
Heil: "Mein Doktorvater in Bonn, Helmut Merklein, der Priester war, wurde das auch mal gefragt. Und er hat sehr klug geantwortet, dass er natürlich durch seine Arbeit, sein Studium sehr viele Details in der Bibel kennt, viele historische, sprachliche, archäologische Details. Aber im Gottesdienst oder im Gebet, in der Liturgie generell, wird das dann doch wieder sehr zentriert auf das Wesentliche. Und die Aufgabe von der Bibelwissenschaft ist ja genau das: dass man dann doch zum Wesentlichen kommt. Und wenn ich in der Christmette sitze oder auch generell im Gottesdienst, freue ich mich an der Zuwendung von Gott in dem konkreten Menschen Jesus, der also keine großen akademischen oder andere Fähigkeiten hatte. Er war ein ganz einfacher Mensch wie du und ich sozusagen. Und in dem zeigt sich Gott, in dem, wie das Johannesevangelium sagt, wird Gott Fleisch, also wirklich Mensch in jeder Beziehung, in allen Akzenten, Fasern der Existenz. Und diese Zuwendung von Gott zum Menschen, das ist für mich das Zentrale an Weihnachten - und dass wir Gott in Jesus menschlich begegnen können. Und dass wir dann auch natürlich in jedem Menschen Gott begegnen können und gerade in denen, die unscheinbar sind. Das ist für mich so ein ganz wichtiger Punkt. Und das wird durch die Bibelwissenschaft auch bestätigt."
Diese Botschaft wollen wir mitnehmen. Herr Professor Heil, vielen Dank für das Gespräch!