In der Klimakrise: Warum schweigt die Theologie?
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Podcast vom 24. Juni 2022 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
Willkommen bei einer neuen Episode des Podcasts "Diesseits von Eden". Heute geht es um das Thema Nachhaltigkeit angesichts der Ukrainekrise und der daraus folgenden Energiekrise. Zu Gast habe ich heute zwei Theologen, einerseits aus Innsbruck den Professor und Dekan Willi Guggenberger; und aus Linz Professor Michael Rosenberger - zwei Namen, die man im ganzen deutschsprachigen Raum stark mit den Themen Nachhaltigkeit, Ethik, Ernährung und Energie verbindet.
Die erste Frage stelle ich gleich an Professor Guggenberger aus Innsbruck: Sie haben ja letztes Jahr bei Ihrem Antritt als Dekan der Innsbrucker Katholisch theologischen Fakultät angekündigt, die Fakultät verstärkt im Diskurs über das Thema Nachhaltigkeit zu platzieren. Sie haben gemeint: "Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass Theologie und christliche Philosophie als das wahrgenommen werden, was sie sind: höchst zeitgemäß weltoffene und gesellschaftsrelevante Wissenschaften". Jetzt frage ich mich angesichts der Ukrainekrise und der Energiekrise: Die theologische Wissenschaft scheint doch recht ruhig zu sein - gerade zu diesem Thema. Inwieweit ist da die Theologie oder auch die Innsbrucker Fakultät schon in den Diskurs eingestiegen?
Guggenberger: "Wir sind sicher ständig auf dem Weg dazu. Vielleicht sind wir wirklich in den in der Öffentlichkeit in der medialen Wahrnehmung nicht so laut zu hören. Mir ist es aber ein großes Anliegen, dass wir - wenn wir als Universitäten, als theologische Fakultäten irgendwie Vordenkerin sein wollen in der Gesellschaft -, dass wir dann auch die eigene Praxis ausrichten an Nachhaltigkeit. Das gilt auch für unseren Betrieb, unsere Gebäude etc."
Um noch mal zurückzukommen auf die aktuelle Energiedebatte: Inwieweit kann sich da die Theologie, die Theologie als Wissenschaft einbringen? Was hat sie dazu sagen?
Guggenberger: "Nun, ich denke, es gilt hier, was Papst Franziskus auch in seiner Enzyklika Laudato si von 2015 gesagt und im Grunde mit dieser Enzyklika auch vorgeführt hat: Hier müssen wir als Theologinnen und Theologen natürlich ganz wesentlich zurückgreifen auf die Kenntnisse der Naturwissenschaften, der Klimaforschung, der technischen Wissenschaften etc. Aber es geht, glaube ich, ganz wesentlich auch um die Frage, wie wir uns selbst und andere motivieren können, nicht nur umzudenken, sondern auch umzukehren. Papst Franziskus spricht hier von einer ökologischen Umkehr. Das heißt, es braucht eine Bewegung im Verhalten. Und dazu, glaube ich, kann gerade die Theologie sehr viel an Motivationswissen beitragen."
"Brauchen wir all das, was wir konsumieren?"
Rosenberger: "Da kann ich, glaube ich, ganz gut anschließen. Diese Motivation wird vielleicht sichtbar, wenn man sich genauer anschaut, was die moderne Welt unter ökologischer Umkehr versteht und was wir in der Kirche und mit Papst Franziskus darunter verstehen. Normalerweise geht es da immer um die Rolle technischer Innovation, also Effizienzsteigerungen, dann auch um alternative Energien, die man nutzt etc. Das ist alles wichtig und notwendig. Aber es gibt zwei andere Bereiche, die dazukommen müssen, weil sonst die technische Innovation in der Luft hängt: Das eine ist so etwas wie eine Veränderung des Sozialverhaltens, um die Bedürfnisse anders zu befriedigen, also beispielsweise ein Umstieg vom Individualverkehr in öffentliche Verkehrsmittel oder bewusstes Einkaufen der Lebensmittel aus der Region, ökologische Qualität etc. Das wären so Beispiele, wo das Sozialverhalten sehr entscheidend ist. Und da merkt man, da geht schon sehr viel mehr an die persönlichen Fragen des Lebens heran. Und das zweite, da wird's dann ganz empfindlich, nämlich bei der Frage: Brauchen wir eigentlich all das, was wir bisher konsumieren? Oder müssten wir nicht auch ein Stück zurückstecken, unsere Verbräuche ein Stück reduzieren? Gerade jetzt, in der akuten Energiekrise, wo die Rohstoffe knapp werden, wird das zu einer ganz entscheidenden Frage. Und von christlichem Verständnis her wäre das die allererste Frage, nämlich: Können wir nicht auch etwas zurückstecken? Beispielsweise die Wohnung etwas weniger warm heizen im Winter, etwas weniger Auto fahren, etwas weniger fliegen etc., um da tatsächlich dann auch Ressourcen einzusparen."
Die Kirche bzw. die Theologie wirkt aber angesichts der aktuellen Debatte rund um die Diskrepanz zwischen Versorgungssicherheit versus Klimaziele sehr ruhig. Das, was Sie genannt haben, sind ja jetzt sehr individuelle Möglichkeiten, also Energiesparen usw. Aber die Menschen brauchen Gas, die Menschen brauchen Energie. Ist aber die Krise, das Problem nicht so groß, dass wir sie gar nicht mehr nur auf die Individuen und ihr Verhalten abwälzen können? Was ist das die theologische Antwort?
Rosenberger: "Kurzfristig, glaube ich, ist es jedenfalls ein ganz wichtiger Baustein. Und ich würde es nicht als Abwälzen sehen, sondern für mein Verständnis haben die Individuen auch eine Mitverantwortung, und die müssen wir wahrnehmen. Also so was wie Citizen Responsibility, also die bürgerschaftliche Verantwortung, die wir haben, Konsumentinnen und Konsumenten, das gehört schon auch dazu. Und da haben wir vielleicht zu lange auch locker drüber weggeschaut und gesagt, der Staat soll es richten. Natürlich hat der Staat seine Aufgabe, aber auch die Individuen müssen das ihre beitragen, sonst funktioniert es nicht. Und wir haben 15 bis 20 Prozent Spielräume, die wir gut nützen können, um einzusparen. Was wäre die Folge? Die Folge wäre, dass die Nachfrage nach Energie ein Stück zurückgeht und damit die Preise sich etwas entspannen würden. Und genau das wollen wir ja eigentlich auch erreichen. Also von daher ist es schon auch ein wesentlicher Beitrag der Einzelnen vom Staat. Hier ist natürlich jetzt kurzfristig gefordert zu schauen, wie können wir für diese Energieressourcen entsprechend eine gewisse Sicherheit über den nächsten Winter geben? Längerfristig geht es natürlich darum, dass man noch entschiedener aus den fossilen Energien herausgeht und Maßnahmen ergreift, um die regenerativen Energien voranzutreiben."
Guggenberger: "Es ist immer die Verflechtung zwischen der strukturellen und individuellen Ebene zu bedenken. Es wird sich eine Wirtschaft nicht transformieren lassen, es werden sich Städte nicht nachhaltiger gestalten lassen, Verkehrswege nicht nachhaltiger gestalten lassen, wenn sich die Erwartungen der Einzelnen an diese Infrastrukturen nicht ändern, und das heißt gerade in demokratischen Gesellschaften ist natürlich das Umdenken eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich auf struktureller Ebene etwas bewegen kann, weil die Politik hier eben doch den Erwartungen und dem Willen der Menschen folgt in dieser Hinsicht. Und vielleicht noch eine Ergänzung zur kurzfristigen Frage: Die soziale Gerechtigkeit ist natürlich hier auch ganz entscheidend, wenn es um Preisgestaltung, um Versorgungssicherheit geht. Und das wird leicht vergessen, dass soziale Gerechtigkeit und sozialer Friede auch ein wesentlicher Bestandteil von Nachhaltigkeit ist."
Zum Zusammenhang von Frieden und Nachhaltigkeit
Nun sprechen wir hier in diesem Podcast. Das ist natürlich ein Medium, das vor allem von Theologinnen und Theologen gehört wird. Ich habe schon erwähnt, mir kommt vor, als würden Theologinnen und Theologen gerade zu diesen aktuellen Fragen schweigen. Woran liegt's? Trauen sich Theologen gerade in diesen Energie- und Nachhaltigkeitsfragen keine Antworten zu? Oder hat die Theologie alles schon gesagt seit den 70er-Jahren...?
Rosenberger: "Mag sein, dass das zum Teil jedenfalls daran liegt, dass es natürlich sehr komplexe und schwierige Fragen sind. Und wir haben innerhalb der theologischen Ethik natürlich auch eine hohe Arbeitsteiligkeit auf verschiedene Problemfelder, wo dann immer nur eine kleine Gruppe von uns wirklich kompetent ist, da entsprechend fundiert auch Stellung zu beziehen. Das heißt, der Kreis derer, die im deutschen Sprachraum diese Themen bedienen, das ist eine handvoll Personen. Und das heißt natürlich auch, dass ja das mediale Echo dann vielleicht einmal im Einzelfall hoch ist, aber jetzt nicht die breite Masse erreicht. Was man natürlich fragen könnte, wäre: Sollten nicht auch die Bischöfe da ein wenig mehr mitmischen und von ihrer Seite noch mal zu diesen Transformationsprozessen, vor denen wir gerade stehen, ihre Position dazulegen. Das könnte gerade auch im Sinne von dem, was Willi Guggenberger zuvor gesagt hat, die soziale Frage mit zu bedenken, für den Frieden in der Gesellschaft zu sorgen. Und da könnte das natürlich schon auch ein wichtiger Beitrag sein."
In einem aktuellen Artikel schreiben Sie, Prof. Guggenberger: "Ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung, ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden." Aktuell scheint diese Forderung eher eine Pattsituation zu sein. Also inwieweit kann beides miteinander funktionieren und inwieweit kann vielleicht auch die Theologie die Wissenschaft hier in dieser Friedensfrage vermitteln oder diese sogar fördern?
Guggenberger: "Ich meine, was wir gegenwärtig natürlich sehen, ist, dass keines der beiden funktionieren kann, wenn es auf der anderen Seite nicht funktioniert. Dass ein solcher Krieg das Engagement für ökologische Nachhaltigkeit zerstört, liegt auf der Hand. Und dabei geht es nicht nur um die lokalen Vernichtungen von Natur, von Umwelt. Es geht nicht nur um die Gefährdung etwa durch unzureichend gewartete Kernkraftwerke, sondern wir nehmen es ja im Moment alle wahr: Regierungen unter Beteiligung grüner Parteien in Deutschland und Österreich beschließen, wieder zu fossilen Brennstoffen zurückzugehen. Und das ist eine direkte Folge des Krieges. Also da sehen wir, wie nachhaltig ökologische Entwicklung wirklich blockiert und behindert wird durch die kriegerische Situation. Nun, was kann Theologie dazu beitragen, diese Situation zu verbessern? Ich denke, in vielen Bereichen arbeiten Theologinnen, Theologen, Kirchen, kirchliche Gemeinschaften seit vielen Jahren und Jahrzehnten daran, auch den Frieden zu stützen und zu fördern. Und wie wichtig das ist, sieht man, glaube ich, auch gerade in der Gegenwart an der sehr heiklen Positionierung des Moskauer Patriarchen, wo man sieht, wie Theologie auch fehlgehen kann. Ich halte das wirklich für falsche Positionen. Also hier mitzuarbeiten, einen im richtigen Sinn verstandenen biblischen Pazifismus zu befördern, der für Versöhnung und Ausgleich unter den Menschen beiträgt - das ist, glaube ich, eine essenzielle Aufgabe von Theologie, aber auch von Kirche. Und ich habe vorher Papst Franziskus zitiert mit Laudato si. 2020 hat er eine weitere Enzyklika - Fratelli Tutti - geschrieben, die, glaube ich, parallel gelesen werden muss zum ersten Text. Dort geht es sehr stark um politische Verständigung, auch um Versöhnung, wenn Unrecht geschehen ist, um den Versuch, in Positionen der Ungleichheit, in Situationen der Pluralität ein Zusammenarbeiten zu schaffen. Und das sind, glaube ich, die Aufgabenfelder, die hier für uns ja ganz zentral sind in der theologischen Ethik."
Herr Prof. Rosenberger, Sie sind u.a. Umweltbeauftragter der Diözese Linz und da auch in ganz engem Kontakt mit diözesanen Prozessen. Inwieweit kann man auch auf dieser Ebene diesen Friedensprozess, diesen Nachhaltigkeitsprozess fördern?
Rosenberger: "Die Österreichische Bischofskonferenz hat 2015 nach dem Erscheinen der Enzyklika Laudato si sehr schnell reagiert und auf einer Vollversammlung beschlossen, Maßnahmen zu setzen, um die Impulse von Laudato si auch in die Praxis zu bringen. Dazu hat gehört, dass die österreichischen Diözesen sich Umwelt-Leitlinien gegeben haben. Dazu gehört auch, dass wir eine ökosoziale Beschaffungsordnung etabliert haben, die auch eine Verbindlichkeit hat für die entsprechenden einkaufenden Stellen der Diözesen. Und dazu gehört, dass man das Energy-Monitoring voranbringt und hier schaut, dass man in Zukunft eben die Energieverbräuche reduziert und vor allem dann auch mit regenerativen Energien befriedigt. Und da sind wir schon ein ganzes Stück vorangekommen in den letzten Jahren. Jetzt kommt der nächste Schritt: Man will ein Update machen seitens der Bischofskonferenz. Und gerade bei dem Bereich Energie noch einen deutlich ambitionierteren Schritt setzen, wo man dann auch wirklich ein echtes Energiemanagement über die Diözesen legt. Das wird schon ein riesiger Schritt sein, wenn das gelingt. Also hier passiert eine ganze Menge. Vieles ist natürlich von der Basis in den Pfarren abhängig. Und ja, manche Prozesse sind noch mühsam. Wir haben in Oberösterreich von der Umwelt-Arbeit der Diözese etwa eine Kampagne in den letzten Jahren durchgeführt, um Pfarren ins Klima-Bündnis zu bringen. Es sind mittlerweile fast 60 Paaren Mitglied im Klima-Bündnis und haben damit auch Maßnahmen ergriffen, ihre Bilanzen nachhaltiger zu gestalten. Aber man muss sagen, das sind 60 Pfarren von über 500. Also da ist noch viel zu tun und man merkt, wie da auch manches sehr zäh und mühsam läuft, um die Menschen hier in Bewegung zu bringen. Da müssen wir als Kirche auch zugestehen, dass wir vielleicht nicht besser sind als der Rest der Gesellschaft."
Erlebnisbasierte Schöpfungserfahrungen
Kann denn der Glaube an Gott tatsächlich zu einem Engagement für Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, für eine ökologische Trendwende motivieren? Wenn Sie, Professor Rosenberger, erzählen, dass es selbst an der Basis nicht so einfach ist, diese Themen unterzubekommen, wie kann man die Menschen, die Christen dazu motivieren, Schritte zu setzen? Und kann der Glaube an Gott tatsächlich zu so einem Engagement motivieren?
Rosenberger: "Also grundsätzlich kann der Glaube das von vorne bis hinten. Denn wenn wir wirklich die Bibel richtig lesen, dann sehen wir wieder eine hohe Sensibilität für das Wunder der Schöpfung. Da ist aber auch für die Zerbrechlichkeit, die sie trägt und wo schon auch der Imperativ immer wieder eingemahnt wird, mit dieser Schöpfung achtsam und sehr sorgsam umzugehen. Gerade auch, weil sie eine Leihgabe Gottes an uns Menschen ist und nicht etwas, was unser Besitz wäre. Und Leihgaben, da geht man ja besonders achtsam damit um. Also da steckt eine hohe Motivation drin, auch wirklich das Gut wieder zurückzugeben und eben nicht in schlechten Zustand. Also da würde ich sagen, die Grundmotivation ist reichlich da. Warum funktioniert das aber oft in den Pfarren noch nicht? Zum einen glaube ich, es gibt immer noch zu viele Pfarren, wo über diese Themen und diese Dimension des Schöpfungsglaubens wenig gesprochen und wenig informiert wird. Aber ich glaube, es kommt ein Zweites dazu: Das muss auch erlebbar werden. Ich muss diese Schönheit der Schöpfung, dieses Staunen auch erlebbar machen. Und ich erwäge gerade, wie es gelingen kann, dass wir in Linz wesentlich stärker als bisher erlebnisbasierte Schöpfungserfahrungen vermitteln. Also wirklich mit den Leuten in ein Naturschutzgebiet hinausgehen und gemeinsam mit Biologen dann dort den Menschen zeigen, was die Kostbarkeiten sind und so diese Emotionalität wecken, die eigentlich zur Motivierung nötig ist."
Guggenberger: "Letzteres möchte ich ganz unterstreichen - und es gibt ja auch schon sehr viel Angebot in dieser Richtung; Wanderexerzitien und Ähnliches. Es ist wirklich ganz wichtig wahrzunehmen, was wir eigentlich zu verlieren haben, das wirklich zu erleben und zu erspüren. Zum ersten Teil der Frage kann ich auch ganz unterstreichen, was Michael Rosenberger gesagt hat: Ich denke, man kann nicht in einem positiven Verhältnis zu einem personalen Gott leben wollen, wenn einem die Dinge und die Personen, die ihm wichtig sind und am Herzen liegen, nicht auch wichtig sind und am Herzen liegen. Da kommt man sonst in eine kognitive Dissonanz, die eigentlich nicht tragbar ist. Also ist für mich biblischer Glaube notwendig verknüpft mit Fragen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung. Dass wir immer wieder traurig sind und daran scheitern, an unserem eigenen Anspruch, das ist Grund genug, sich immer wieder selbst daran zu erinnern und weiterzuarbeiten in diesen Bereichen."
Die Fragen der Schöpfungsverantwortung, Frieden und Gerechtigkeit, Chancengleichheit etc. sind ja seit den 70er-Jahren eigentlich gleich geblieben. Ist also nicht schon alles gesagt? Oder motiviert diese Energie- und Ukrainekrise noch stärker dazu, diese Themen neu aufzugreifen und neu zu denken?
Guggenberger: "Wiederholen muss man sich ja immer wieder, was dann an Wissen da ist. Was im Grunde aber wichtiger ist, ist die Arbeit an positiven Konzepten. Und da können wir eigentlich an den Ausgangspunkt unserer Diskussion zurückkommen - auf die Frage von Lebenskonzepten oder die Frage, was gutes Leben ausmacht. Daran müssen wir eigentlich arbeiten. Die bloße Warnung vor den Gefahren - das kann zu Fatalismus führen. Man hört ja mittlerweile auch schon den Begriff der 'Apokalypse-Müdigkeit'. Die Leute wollen diese negativen Nachrichten gar nicht mehr hören. Aber ich denke immer: die gegenwärtige Situation macht eben die Dringlichkeit eines Umsteuerns noch einmal bewusster. Aber wie gesagt: Vorausdenken. Wo sind denn tatsächlich unsere Vorstellungen eines gelingenden Lebens, die eben andere Modelle sein könnten als das bisher gehabte? Hier ist noch lange nicht alles gesagt."
Rosenberger: "Da kann ich gut anschließen: Also von den Inhalten her, glaube ich, haben seit den 70er-Jahren die wesentlichen Themen auf dem Tisch gelegen. Aber die Dramatik der Situation hat sich deutlich verschärft im Laufe der Jahre und Jahrzehnte. Und diese Dramatik noch zu thematisieren und ernst zu nehmen, das ist etwas ganz Wichtiges. Wir haben ja in der Kirche die Tradition der apokalyptischen Rede. Also die ist schon Teil biblischer Schriften im Alten Testament, im Neuen Testament, auch in der Verkündigung Jesu. Und von daher zeichnet sie eigentlich unsere Glaubenstradition aus. Apokalyptik heißt einerseits natürlich schon auch, Katastrophen nicht verharmlosen, sondern sie sich wirklich auch in ihrer vollen Dramatik klarzumachen. Apokalyptik heißt aber auch aufzuzeigen: Es gibt Wege, hier rauszukommen und Hoffnung zu machen, Mut zu machen, diese Wege zu gehen. Die Apokalyptik möchte Menschen aktivieren und das, glaube ich, wäre die große Herausforderung und Aufgabe auch von Kirche in dem Zusammenhang: nicht zu verharmlosen, wie dramatisch die Lage momentan ist. Die Chance, das 1,5 oder zwei Grad-Ziel der Pariser Klimaverhandlungen noch zu erreichen, ist gering. Aber es gibt diese Chance und wir können sie packen. Und genau daran müssen wir jetzt mit großer Entschiedenheit arbeiten. Und da kann der Glaube Kraft, Motivation und Ausdauer geben."
Ich sage Danke an meine beiden Gesprächspartner Wilhelm Guggenberger aus Innsbruck und Michael Rosenberger aus Linz. Das war schon wieder mit der aktuellen Folgen von "Diesseits von Eden" - diesmal zum Thema Nachhaltigkeit, Schöpfung und Energiekrise. Ich sage Danke an alle Zuhörerinnen und Zuhörer, danke an alle Gesprächspartner und ich wünsche allen noch einen schönen Sommer.