Streitfall "Synodalität": Was der Papst will - und was Evangelische und Orthodoxe dazu zu sagen haben
Podcast vom 24. November 2021 | Gestaltung: Henning Klingen*
Im Frühjahr hat Papst Franziskus mit einer Ankündigung die katholische Weltkirche in Ratlosigkeit und Aufregung gleichermaßen versetzt: Er kündigte für 2023 die nächste Bischofssynode, also eine Versammlung der Weltbischöfe in Rom bzw. delegierter Bischöfe aus jedem Land, an. Das Thema: Synodalität. Alltagssprachlich betrachtet ein wirkliches Unwort. Und zugleich – wie viele damals kommentierten – vielleicht das Wort, dass das Anliegen des Papstes am besten zusammenfasst: Miteinander gehen, Aufeinander hören. Nichts anderes bedeutet Synodalität.
Der Clou: Die Bischöfe sollen 2023 nicht einfach nur darüber beraten, sondern schon zuvor – und zwar ab jetzt - synodale Prozesse in ihren Diözesen und dann auf kontinentaler Ebene starten. Viel mehr als diesen Hinweis, den Titel "Eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation, Mission" und den offiziellen Startschuss Mitte Oktober gab es nicht. Seitdem dreht sich das Karussell der Deutungen: Will der Papst die Kirche umkrempeln? Oder ist das nur heiße Luft? Was will der Papst eigentlich? Und was hat das mit dem in Deutschland für so viel Wirbel sorgenden "Synodalen Weg" zu tun?
Das ist alles natürlich sehr katholisches Wortgeklingel. Tatsächlich aber haben die anderen Konfessionen auch etwas zu dem Thema zu sagen – Und so wollte ich eigentlich heute ein Live-Roundtable-Gespräch mit Vertretern der katholischen, der orthodoxen und der evangelischen Theologie führen. Eigentlich. Doch dann kam der Lockdown – und wir sind auf den virtuellen, digitalen Raum zurückverwiesen. Aber das ist ja auch ein Lerneffekt der Krise, dass wir mit diesen Instrumenten viel lockerer und selbstverständlicher als früher umgehen.
Daher freut es mich, heute digital Prof. Hans Pock, Prof. Markus Öhler und Prof. Ioan Moga begrüßen zu dürfen. Alle drei lehren an der Universität Wien – Hans Pock Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät, Markus Öhler Exegese, Bibelwissenschaft, an der Evangelisch-Theologischen Fakultät – und Ioan Moga lehrt Orthodoxe Theologie am Fachbereich Theologie und Geschichte des christlichen Ostens. Alles Männer, ich weiß. Eigentlich hätte Frau Prof. Regina Polak unsere Runde verstärken sollen – sie ist nämlich seitens der Österreichischen Bischofskonferenz als Theologin beauftragt, den österreichischen Synodalen Prozess zu begleiten, doch Frau Prof. Polak ist leider wegen eines externen Termins verhindert.
Daher zunächst mal zum Verständnis die Frage an Prof. Pock: "Synodaler Prozess" – das hört sich nach katholischem Geschwurbel an. Was ist damit – einfach gesagt – gemeint und warum ist es ein Prozess, der für ganz normale Katholikinnen und Katholiken wichtig ist?
Pock: "Zunächst vielen Dank für die Einladung, da gemeinsam über dieses Thema der Synode und Synodalität nachzudenken. Die katholische Kirche ist über Jahrhunderte sehr hierarchisch geprägt gewesen. Der Papst stand über allem, Konzilien wurden auch lange Zeit gar nicht mehr einberufen. Da hat das Zweite Vatikanum tatsächlich eine große Änderung gemacht, dass plötzlich nicht mehr nur der Papst und die Bischöfe wichtig sind, sondern das ganze gläubige Volk und dieses Volk auch mit einzubeziehen, auch in das Nachdenken der Kirche über sich selbst. Das war das Anliegen des Konzils und das spiegelt sich wider in diesem Wort synodaler Weg ;synodaler Prozess. Bisher waren Synoden hauptsächlich Bischof, Synoden oder auch Diözesen Synoden. Das gab es dann so in den 70er, 80er Jahren auch jetzt vereinzelt. Aber das Einbeziehen auf weltkirchlicher Ebene möglichst vieler Menschen in der Fragen 'Wie geht es mit der Kirche weiter?' 'Was ist der Beitrag unseres Glaubens, des Evangeliums auch für die Gesellschaft und für die Welt?' - das ist eben nicht mehr nur ein Anliegen für Bischöfe und den Papst, sondern das ist etwas, was wir gemeinsam mittragen sollen. Deshalb meint synodaler Prozess dieses gemeinsame Überlegen: Was bedeutet das Evangelium Jesu Christi in der heutigen Zeit?"
Pock: Papst und Gläubige drängen beide auf Veränderungen
Damit haben Sie schon angesprochen, die Wurzeln, die im Konzil liegen, auch die Bischofssynode selber sind ja eine Frucht des Konzils. Aber das ist ja nun mal auch schon viele Jahrzehnte her. Warum war denn dieses Selbstverständnis jetzt, in den letzten Jahrzehnten, offenbar verdeckt, dass es jetzt wiederentdeckt werden muss?
Pock: "Ich glaube, dass das Selbstverständnis schon da war, aber man hat auch in den 70er / 80er Jahren mit diesen diözesanen Synoden jedes Mal dann den Ball zurückgespielt nach Rom, hat gesagt 'Das sind unsere Überlegungen. Bitte, Rom, entscheide du' - und vieles wurde dann abschlägig beschieden. Das heißt, viele der Aufbrüche, auch im Blick auf viri probati und viele dieser heißen Eisen, die in den 70er Jahren angegangen worden sind, wurden da wieder abgelehnt und auf die lange Bank geschoben. Und damit hat man dann aber auch irgendwie die Lust an solchen Synoden verloren. Die ist jetzt in den letzten zehn Jahren wieder gewachsen. Zum einen, weil man gemerkt hat: so kann es nicht weitergehen mit dem geringer werdenden Menschen in den Kirchen, mit weniger Priestern in den Kirchen, mit den neuen Strukturen. Man muss sich was Neues überlegen. Und dazu kam natürlich ein Papst, der von Anfang an gesagt hat: Ich will nicht allein entscheiden und auch nicht nur mit den Bischöfen, sondern ich will möglichst viele Menschen mit einbeziehen. Und er spricht von Anfang an eben auch von diesem gemeinsamen Unterwegssein, von diesem synodalen Weg. Das heißt, da kommen zwei Dinge zusammen: von der Basis her das Interesse, wir müssen was verändern und von der päpstlichen Seite her ein Papst, der da auch Veränderungen möchte."
Nun haben Sie ja bereits angesprochen, dass es in Österreich schon früher synodale Vorgänge gab. Der "Österreichische Synodale Vorgang" im Anschluss an das Konzil und dann den "Dialog für Österreich" in den 1990er Jahren. Das waren hoch strukturierte, komplexe Abläufe. Es gab Gremien, Runden bis hin zu Veranstaltungen. Jetzt hat man ein wenig den Eindruck, dass das alles noch nicht so ganz ausgegoren ist, dass alles sehr in der Schwebe ist. Was müsste denn passieren, damit das Projekt gelingen kann?
Pock: "Ich glaube, dass da mehrere Faktoren zusammenspielen. Zum einen darf das Ganze nicht auf der Ebene von einzelnen Hauptamtlichen, von Bischöfen, von einigen Interessierten bleiben, sondern die Kunst wird sein, viele Menschen mit einzubeziehen, und zwar nicht in strukturelle Fragen, sondern in die grundsätzlichen Fragen: Wozu braucht es die Kirche in dieser Zeit? Was hat das Evangelium in den großen Krisen, in den großen Fragen unserer Zeit beizutragen? Und was ist dabei auch die Aufgabe der Kirchen, der Religionen? Dass man hier auch wirklich den 'sensus fidelium', den Glaubenssinn des Gottesvolkes, ernst nimmt und mit einbezieht. Das zweite wird sein, dass man die Leute nicht nur fragt und einige Papiere erstellt, sondern dass das tatsächlich ein mehrjähriger Prozess ist, der auch nicht nur in dieser einen Bischofssynode mündet, sondern dass es tatsächlich auch Überlegungen vor Ort weiterhin gibt: Wie können wir gemeinsam an dieser Zukunft mit planen, mit bauen? Also, dass es mehr ist als nur: Wir beraten jetzt den Bischof und den Papst für eine Synode und dann war's das. Sondern dass sich hier auch tatsächlich auch in den Diözesen und auch in den Köpfen der Leute etwas ändert: Unsere Meinung ist wichtig und wir tragen gemeinsam bei zu diesem Weiterbau der Kirche."
Öhler: Synodalität hat bei uns eine lange Tradition
Damit sind schon ein paar Stichworte gefallen, die jetzt das leicht machen, das zu erweitern, diese Runde und Herrn Professor Öhler hineinzuholen, der ein bisschen Einblick aus evangelischer Sicht bringen kann. Aus Sicht der evangelischen Kirchen kann man ja bei dem Thema und bei den katholischen Konflikten, die jetzt schon angeklungen sind, zu dem Thema eigentlich nur schmunzeln, oder?
Öhler: "Ja, ich habe tatsächlich geschmunzelt, als der liebe Hans das erzählt hat, weil das natürlich in der evangelischen Kirche, das viel, viel breiter besteht und eine ganz lange Tradition hat. Und zwar nicht als einen synodalen Prozess, wo man so zwischendurch mal was beitragen kann und hofft, dass irgendwann die kirchlichen Amtsträger sich das zu eigen machen oder nicht zu eigen machen, sondern eigentlich, dass die Entscheidungsprozesse in den Synoden in Versammlungen selbst laufen, wo die Basis über bestimmte Systeme sehr stark eingebunden ist, eigentlich paritätisch eingebunden ist. Insofern wünsche ich meiner Schwester-Kirche alles Gute auf diesem Weg, befürchte aber, dass man dann irgendwann doch dabei landen wird, dass ein großes Frustrationspotential dabei drinnen ist. Denn wenn jetzt, ich sage jetzt mal in Österreich: Die Kirche hat ein synodale Prozess gestartet wird und man irgendwann einmal den Bischöfen erzählt, was dabei herausgekommen ist und die das nach Rom tragen. Und am Ende bleibt dann nichts davon übrig, weil man völlig andere Entscheidungen dort trifft und dann nur sagt Ja, man hat gehört, aber man hat sich anders entschieden - da würde ich dann schon mich fragen, was so ein Prozess soll. Bei uns gibt es natürlich auch Streitfragen. Und natürlich gibt es bei uns auch Frustrationen, aber die sind sozusagen darauf begründet, dass man halt eine Mehrheitsentscheidung akzeptieren muss, die in einer Synode gefällt worden ist und die nicht durch weit entfernte Gremien gefällt wird. Also wie stellt ihr euch das eigentlich vor, dass das tatsächlich in Aktion kommt, was jetzt da beschlossen wird? Das wird mich interessieren."
Da kann man vielleicht einfach nur kurz auf zurückfragen, wie das denn bei der Evangelen bei den evangelischen Kirchen läuft. Ist Synodalität so wie Sie es geschildert haben? Hört sich das an, als wäre das ein Entscheidungsprozess auf hoher Ebene, wo verschiedene Stimmen gehört und einbezogen werden. Aber das, was der Papst jetzt anstößt, ist ja, dass das bis in die Gemeinden hineingeht, dass man mehr aufeinander hört, also fast schon anthropologisch grundiert. Was sind denn die Prinzipien oder die Strukturelemente, die es in der evangelischen Kirche gibt, um Synodalität zu gewährleisten? Wie funktioniert das von der Basis weg?
Öhler: "Also bei uns läuft es eigentlich so, dass die, dass wir ein 'Sieb-System' haben: Wir haben Wahlen in den Gemeinden, die wählen Presbyterien, also Gemeinde-Vorstände, die Gemeinde-Vorstände wählen wieder die diözesanen Versammlungen und aus den Versammlungen werden dann Delegierte in die Synode geschickt. Diese Synoden sind paritätisch aus Amtsträgern und Laien besetzt. Und dann gibt es natürlich auch noch Leute, die qua Amt drin sitzen, unter anderem auch ein Vertreter der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Aber das soll schon gewährleisten, dass die Kirchenwirklichkeit in der Synodenversammlung, die es dann einmal im Jahr gibt, auch tatsächlich abgebildet wird. Und ich habe den Eindruck, dass das eigentlich recht gut funktioniert. Es ist kein demokratischer Prozess, aber es ist ein Prozess der Delegation von unten nach oben und der bildet eigentlich schon ganz gut ab, wie die Kirchenwirklichkeit so ist.
Moga: In der Orthodoxie gibt es eine Diversität beim Verständnis von Synodalität
Bevor wir vielleicht auf die Probleme eingehen, die jetzt auch lehramtlicherseits vorliegen bei dem Thema, würde ich gerne auf die orthodoxe Kirche blicken - und zwar mit Ioan Moga. Denn in der orthodoxen Tradition ist ja der Heilige Synod das höchste Entscheidungs- und Leitungsgremium. Vielleicht nur zur Erklärung: Ist das ein ähnliches Verständnis von Synodalität, wie wir es jetzt katholischerseits suchen und wie es evangelischerseits bereits ausgeübt wird?
Moga: "Ich würde sagen, das ist etwas ganz Eigenes. Die orthodoxe Kirche hat eine synodale Struktur oder Verfassung, wie man das gerne sagt, und das ist im theologischen Bewusstsein auch in der Realität tief verwurzelt. Das oberste Leitungsgremium ist die heilige Synode, das heißt die Bischofssynode. Das bedeutet, das Kirchenoberhaupt ist nur primus inter pares, also er ist Erster unter Gleichen, obwohl er einige Vorrechte hat. Aber außer dieser heiligen Synode gibt es in einigen autokephalen orthodoxen Kirchen auch weitere synodale Leitungsgremien, wie in der russisch-orthodoxen Kirche oder der rumänisch-orthodoxen Kirche, wo auch Laien mitwirken und stark präsent sind - z.B. in der Nationalen Kirchenversammlung der rumänisch-orthodoxen Kirche. Das ist eigentlich das zentrale Entscheidungsgremium in administrativen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen Fragen. Und hier sind die Mitglieder nicht nur die Bischöfe, sondern immer zwei Laien und ein Kleriker pro Bistum. Das heißt, es gibt eine Parität an Klerikern und Laien in diesem Zentralorgan, und das wird dann auch auf weiteren unteren Stufen der kirchlichen Ebene. Also genau so wie sieht es aus, das heißt auf Bistums Ebene etwa. Es gibt auch eine Bistumsversammlung - und dort ist die Parität sogar vorteilhafter für die Laien. Das heißt, es gibt hier ein Drittel Kleriker und zwei Drittel Laien. Und diese Versammlung ist ziemlich wichtig, nicht nur in Fragen der Vakanz, also wenn der Bischof gewählt werden soll, wo sie eigentlich die Kandidaten vorschlagen, sondern auch in anderen Prozessen. Vielleicht ist das auch der Unterschied zum evangelischen Modell: Wenn es um theologische, kirchliche, also theologische, liturgische Fragen geht, dann ist die Bischofssynode die einzige Entscheidungsmacht. Bei allen anderen Fragen, die die Kirche betreffen - also soziale, wirtschaftliche, kulturelle - müssen auch diese weiteren Gremien mitentscheiden. Aber wie gesagt: das ist nur ein Modell in einigen orthodoxen Kirchen. In anderen, wie etwa in der griechisch-sprachigen Orthodoxie, ist alles nur auf die Bischöfe zentriert. Das gibt es Synodalität, aber nur auf die Bischöfe bezogen. Da haben die Laien kaum ein Mitspracherecht. Wir sehen also: In der orthodoxen Welt eine gewisse Diversität, wie Synodalität konkret dargelegt wird."
Um den Ball jetzt zurückzuspielen an Professor Pock: Was darf man eigentlich erwarten von einer solchen Synode? Geht es wirklich um die ominösen 'heißen Eisen', also wo man bis zu gemeinsamen Entscheidungen über Bischofsbesetzungen oder über die Frauenpriesterweihe etc. geht? Oder sollte man vielleicht vorher klarer sagen, was eigentlich erwartet werden kann und darf von so einem Prozess?
Pock: "Ja, genau. In der römisch-katholischen Kirche ist die Synode, auch die Bischofssynode, letztlich nicht ein Entscheidungsgremium, sondern ein Beratungsgremium wie diözesanen Synoden. Das eigentliche Entscheidungsgremium wäre ein Konzil. Das Zweite Vatikanische Konzil hat Entscheidungen getroffen, die dann aber auch bindend sind für den Papst und für die Bischöfe. Letztlich steht trotzdem immer noch an oberster Stelle der Papst. Das heißt, es ist diese hierarchische Verfasstheit, wo die Synode einfach ein Teil des Entscheidungsprozesses ist. Das heißt: Auch die nächste Bischofssynode hilft nur dem Papst, seine Entscheidungen zu treffen. Wir hatten das auch bei den letzten Synoden: Da gab es viele Vorschläge, die der Papst auch aufgreifen hätte können und sagen können: 'Ich entscheide jetzt für viri probati'. Hat er aber nicht. Das heißt aber auch: da entsteht ein Frustrationspotenzial, dass man dann etwas so Hochrangiges wie eine Synode hat, aber es fallen keine Entscheidungen. Deshalb glaube ich, dass man dem nur entgehen kann, indem man nicht zu viele Erwartungen hineinprojiziert in einen solchen synodalen Weg. Ich glaube, dass die Erwartungen sinnvollerweise auf lokaler Ebene ansetzen sollten. Was können wir tatsächlich in den Diözesen oder auf Österreich Ebene machen? Ich habe weniger hohe Erwartungen, dass durch diesen weltweiten Prozess sich in der römisch-katholischen Kirche auf oberster Ebene viel verändern wird. Da müsste der Papst tatsächlich ein neues Konzil einberufen."
Ökumenische Empfehlung: Erwartungen herunterschrauben
Herr Professor Öhler und Herr Moga, Sie haben ja jetzt gerade zum einen die Probleme gehört, von denen Prof. Pock gesprochen hat; zum anderen verfolgen Sie diesen Prozess ja auch über die Medien. Was sind denn die Ihres Erachtens die "pain points", also die schmerzhaften Punkte, die vielleicht überwunden oder geklärt werden sollten, damit der katholische synodale Prozess ein Erfolg wird?
Moga: "Also ich glaube, es ist sehr schwierig, Lektion zu erteilen, wenn man letztendlich auch konfessionell Outsider ist. Jede Kirche hat heutzutage viel zu tun. Ich glaube, das Stichwort Partizipation gilt auch für die Orthodoxen genau so. Das heißt, wir haben die Synode als Entscheidungsinstitution, nicht nur als Beratungsprozess, aber trotzdem würde auch im orthodoxen Bereich mehr Partizipation auf allen Ebenen guttun. Ich glaube, dieses Bewusstsein, dass hier allen Menschen mehr zugehört werden sollte, sollte eine gemeinsame sein. Es gibt bestimmte ökumenische Lernprozesse, wo wir voneinander lernen können, aber trotzdem sind die jeweiligen Herausforderungen doch unterschiedlich. Und es wäre irgendwie unpassend, wenn man hier Modelle gegeneinander ausspielen würde. Also jedes Modell hat Schwächen und Stärken. Natürlich, im katholischen Dialog ist immer die Frage: Wie verhält sich am Ende in der Frage der Entscheidung das Verhältnis zwischen dem Papst und einer Synode. Aber es gibt viele Momente, wo wir voneinander lernen sollen, also zum Beispiel von diesem synodalen Prozess, den jetzt der Papst Franziskus gestartet hat. Das ist etwas Einmaliges, was ich auch mit großer Spannung verfolge. Und die anderen Kirchen können nicht einfach nur sagen 'Das ist euer Prozess', sondern es wird automatisch auch uns irgendwie mit beeinflussen, weil so ein Prozess natürlich Wellen auch über die konfessionellen Grenzen hinweg schlägt. Also ich sehe die positive Seite hier im Bereich diesem Stichwort der Partizipation. Die schwierige Sache ist, wie unterscheidet man zwischen der Amtsfrage, also Bischofsamt, und einem Hang natürlich zur Demokratisierung. Wo trennt man hier die Linien? Das kann schon zu Frustrationen führen, wenn man so einen synodalen Prozess startet und große Erwartungen weckt, dass die ganze Kirche doch neu gestaltet wird, wie Kollege Zulehner sagt. Ich fürchte, dass das ist nicht der Fall sein wird. Und das muss man behutsam und vielleicht auch seitens der Hierarchie sagen."
Öhler: "Ich finde, was der Hans Pock gesagt hat, völlig richtig: Ich glaube, man muss die Erwartungen runterschrauben. Ich glaube, dass ich, wenn mich der Papst oder die römische Kirche gefragt hätte, wie man das benennt, dann hätte ich das nicht synodalen Prozess genannt, weil der Eindruck einer Synode immer der ist, dass da Entscheidungen getroffen werden. Das passiert jetzt ja nicht, sondern es ist eigentlich ein gemeinsames Überlegen, was denn gut wäre für die Zukunft der Kirche, das unbedingt zu begrüßen ist. Also jeder Versuch, Menschen einzubinden, denen die Kirche wichtig ist, ist es ganz toll und wichtig. Aber die Erwartungen zurückzuschrauben, dass da jetzt die großen Veränderungen bei den ganz heißen Eisen kommen werden, das, glaube ich, ist auch nötig. Sonst holt man sich ein riesiges Frustpotenzial bei den beteiligten Personen. In diese Bottom-up-Prozesse sind ja wirklich bringen viele Leute viel Energie und Hirnschmalz und Engagement hinein. Und wenn dann am Ende steht 'Ja, das war alles ganz lieb und nett, aber es bleibt eigentlich alles so, wie es ist', dann ist da großes Potenzial für Enttäuschungen. Das sollte man nicht schüren. Ich glaube auch, wie Kollege Moga richtig beschrieben hat: die Kirchen haben einfach ganz unterschiedliche Traditionen. Das Element des allgemeinen Priestertums einfach zu übertragen, würde nicht funktionieren. Die katholische Kirche hat da ihre eigene Perspektive und auch die orthodoxe Tradition ist ganz anders gestrickt in dieser Hinsicht. Also wir können voneinander lernen - etwa, dass es vielleicht einfacher ist, sich nicht dauernd in Diskussionsprozesse zu verstricken, sondern auch mal Entscheidungen zu treffen und die zu akzeptieren. Aber trotzdem wünsche ich meiner Schwester-Kirche, dass sie auch von uns einmal was übernehmen kann und dass da Laien noch stärker eingebracht werden in solche Prozesse. Und ein Weg ist sicherlich jetzt dieser neue Prozess, der da gestartet ist."
Fokus auf gemeinsamem Priestertum aller Getauften
Wir haben jetzt bisher viel über Kirche an sich gesprochen, aber weniger über Theologie. Und das soll ja in diesem Podcast auch um die theologischen Grundierungen gehen. Was sind denn die theologischen Knackpunkte?
Pock: "Ich glaube, dass die theologischen Knackpunkte vielfältig sind auf der katholischen Seite. Natürlich werden wir die hierarchische Verfasstheit der Kirche nicht verändern. Trotzdem hat schon das Zweite Vatikanische Konzil hier Schritte gesetzt, also das Kirchendokument 'Lumen Gentium', die Konstitution über die Kirche, legt ja fest, dass das gemeinsame Berufen-sein von der Taufe her, das gemeinsame Priestertum vor der speziellen Berufung liegt. Das heißt, auch da haben wir jetzt theologisch eigentlich festgelegt, dieses gemeinsame Berufen-sein ist das, was uns alle verbindet; und das Hierarchische, sprich auch Papst, Bischöfe und so weiter, ist im Dienst dieses Gemeinsamen. Und das sagt auch der Papst jetzt in seinem vorbereitenden Dokument für die Synode noch einmal explizit: Es gilt, diese Gestalt einer synodalen Kirche zu entdecken, als er sagt, die Kirche hat eine synodale Gestalt, wo jeder etwas zu lernen hat. Das gläubige Volk des Bischofs Kollegium, der Bischof von Rom im gegenseitigen Hinhören aufeinander, aber auch auf das Evangelium. Und da geht es dann nicht mehr primär um Strukturen. Und wer hat das Sagen, sondern da ist tatsächlich etwas Neues auch im theologischen Denken. Jetzt noch einmal drinnen in der katholischen Kirche: dieses stärkere Hinhören und nicht: der eine sagt und die anderen haben zu folgen. Wie sich das dann konkretisiert, auch kirchenrechtlich, das werden die nächsten Schritte zeigen. Aber ich glaube schon, dass es theologisch auch spannende Schritte sind, die hier gesetzt werden, nämlich stärker auf dieses gemeinsame Priestertum zu schauen oder auch auf diesen sensus fidelium."
Wie stellt sich das in den anderen Konfessionen dar - also das Verhältnis vom allgemeinen und besonderen Priestertum?
Moga: "Das wäre eine Diskussion für sich ... Orthodoxerseits bedient man sich bei Synodalität natürlich auch des Traditions-Arguments, also der Tatsache, dass in der alten Kirche vor und auch vor allem nach der konstantinischen Wende Synoden, die das Entscheidungsgremium schlechthin waren, das heißt das Instrument schlechthin, um Krisen zu lösen und theologische aber auch kanonische Fragen zu diskutieren. Und schon dort sehen wir eben, dass hier die Pneumatologie, das heißt die Frage des Heiligen Geistes im Zusammenhang mit der Synode eigentlich eine entscheidende Rolle spielt. Das sehen wir schon in der Apostelgeschichte. Also ich glaube, wenn wir jetzt vom Zuhören sprechen, von Partizipation, von Transparenz, das kann man alles Richtung Pneumatologie weiterdenken. Ein anderer Aspekt, der aus orthodoxer Sicht wichtig ist, ist, dass das eine Synode - egal auf welcher Ebene - immer auch ein liturgisches Ereignis sein muss. Das ist etwas, was nicht nur im Bereich einer Diskussion stattfindet, sondern es braucht eben auch dieses Ereignishafte auch im Bereich der Liturgie. Und in der Liturgie sehen wir auch dieses selbe Spannungsverhältnis zwischen Kleriker und Laien, aber zugleich auch die Chance des Verbindenden. Die Liturgie ist eigentlich das gemeinsame Werk, das uns alle verbindet, auch wenn wir unterschiedliche Berufungen haben in der Kirche. Deshalb sollte Synodalität, der eben nicht nur als Diskussionsprozess verstanden werden, sondern auch ein als ein liturgisch geistlicher Prozess. Und ich glaube, das kann eine viel zu starke, zugespitzte Fragestellungen ein bisschen verflüssigen, ein bisschen auflösen in Richtung des Bewusstseins: wir sind alle im Dienst. Und wie Papst Franziskus sagte: der Protagonist sind wir nicht wir, sondern der Heilige Geist. Das ist ein Prozess: Nicht nur wir untereinander, sondern mit Gott."
Ich denke, das ist auch eines der Probleme, warum der deutsche synodale Weg in der Öffentlichkeit so Konflikt gesehen wird, dass man nicht sieht, dass die Delegierten auch immer miteinander Gottesdienst feiern, dass es immer ein geistliches Ereignis ist. Bei allem Streit beugt man gemeinsam vor dem Kreuz die Knie, kann man sagen. Aber trotzdem noch mal an Herrn Professor Öhler gefragt: Was sind denn die theologischen Quellen dieses protestantischen Synodalitätsverständnisses? Ist es rein das Ereignis der Reformation, des Aufstehens, des Einzelnen? Oder was sind die Quellen dieses Verständnisses?
Die Synode als geistliches Ereignis
Öhler: "Ich würde schon bei dem auch ansetzen, was Ioan Moga gesagt hat: Man sieht schon in der Apostelgeschichte, beim sogenannten Apostelkonzil oder Apostelkonvention, dass die Pneumatologie im Hintergrund steht, verbunden mit dem Ansatz bei Paulus, dass jeder den Geist gleichermaßen bekommen hat und dass es da verschiedene Aufträge gibt, das zu leben. Das ist ja schon bei Luther ein Gedanke des allgemeinen Priestertums aller Christus, Gläubigen, aller Christen und Christinnen. Das ist sozusagen eines der Kennzeichen der Reformation. Und das hat sich einfach durchgehalten: Die Pfarrer und Pfarrerinnen, die Bischöfe, Bischöfinnen sind lediglich beauftragte Amtsträger, die das aufgrund ihrer Qualifikation, die vor allem auch eine intellektuelle Qualifikation ist, tun sollen, aber die in den Fragen der Lehre und der Schriftinterpretation nicht über den Laien stehen. Und das wird in dem synodalen Wesen, wie wir das jetzt in unseren evangelischen Kirchen eigentlich fast weltweit haben, auch abgebildet. Da ist einfach schon ein Herzstück der Reformation drinnen verpackt in dieser ganz konkreten Struktur mit ganz konkreten kirchenrechtlichen Vorschriften, Vorgaben, die das dann auch umsetzen - bis hin dazu, wie hoch muss der Anteil an Wählern sein für bestimmte Fragen, die zu entscheiden etc.. Aber natürlich ist es auch in der evangelischen Kirche so: Jede Synode beginnt mit Gottesdienst. Jeder Tag beginnt mit Andacht. Es spielt natürlich auch eine ganz, ganz wichtige Rolle. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Und es ist auch jedem bewusst, dass hier aus der Kraft des Geistes, aus der Kraft des Evangeliums heraus argumentiert werden soll und nicht, um Macht zu erreichen."
Um jetzt in die Zielgerade zu gehen für den heutigen Podcast noch einmal die Frage an Hans Pock gerichtet: Die katholischen Fakultäten sind ja gehalten, sich wie andere Einrichtungen auch an diesem Prozess zu beteiligen als Fakultäten. Was wird denn da der Input sein? Zeichnet sich das schon ab?
Pock: "Die katholisch-theologischen Fakultäten haben sich jetzt auf Dekans-Ebene zusammengeschlossen und gesagt: Wir machen nicht jeder einzelnen eine Eingabe an die Bischofskonferenz, sondern wir versuchen gemeinsam zu erarbeiten von den einzelnen Studien Standorten aus mit Vertretern unterschiedlicher Fachdisziplinen, was könnte Synodalität auch tatsächlich bedeuten? Das heißt, wir bringen das ein, was unsere Profession einfach auch ist: das historische, theologische Grundgerüst von dem, was Synodalität bedeuten kann. Das heißt, wir nehmen nicht das vorweg, was in den Befragungen der Menschen vor Ort eh geschieht, sondern wir versuchen einfach noch einmal die theologischen Grundzüge der Frage 'Was bedeutet Synodalität?' darzulegen."
Die Synode als ökumenisches Ereignis
Zum Schluss nun noch einmal die Frage an Markus Öhler und Ioan Moga: Wo erkennen Sie denn in dem katholischen synodalen Prozess evt. Potenziale, die Sie für ihre jeweilige Konfession als interessant erachten? Gibt es da etwas, wo Sie selber sagen 'Ah, das könnte für uns auch noch mal eine Anregung sein'?
Öhler: "Was ich spannend finde, ist die Frage, wie das eigentlich organisatorisch ablaufen wird. Also wie werden die Menschen eingebunden? Welche Vorgaben gibt es für diese Prozesse? Um von der Struktur zu lernen, für Fragen, die uns in den nächsten 10, 15 Jahren bewegen werden. Wobei viele der Fragen ja sehr ähnliche Fragen sind, wie sie die katholische Kirche hat. Insofern bin ich auch auf die Ergebnisse gespannt, ob da Potenzial auch dafür da ist, in der evangelischen Kirche weiterzudenken. Insofern wünsche ich wirklich alles, alles Gute auf diesem Weg, den Sie gemeinsam gehen. Und vielleicht können wir ein Stück auch gemeinsam gehen."
Moga: "Ich finde es spannend, dass hier der Papst von sich aus hier einen Prozess startet. Da kann man von lernen. In der orthodoxen Kirche haben wir synodale Institutionen, es gibt aber nach wie vor Handlungsbedarf, wie wir diese Form, die wir haben, noch mit Leben füllen. Das heißt, wie wir diese Statute, die alle doch sehr gut durchdacht sind, mit noch stärkerem partizipatorischem Leben fühlen, weil die Laien, auch wenn sie vorgesehen sind, doch oft nur noch eine dekorative Rolle in kirchlichen Entscheidungsprozessen; und so ein umfassender Beratungsprozess gerade in eine Zeit, wo kirchliche Realitäten, aber auch Gesellschaften immer gespaltener sind, finde ich sehr wichtig. Es geht darum, viele Strömungen mitzunehmen; auch dieses Zuhören ist etwas, was auch in der orthodoxen Kirche, egal in der Diaspora oder in den Heimatländern in Osteuropa, auch ein Gebot der Stunde wäre. Also ich bin gespannt, wie das in den nächsten zwei Jahren dann im katholischen Bereich aussehen wird. Da kann man nur lernen."