Flucht, Asyl und der Faktor Religion: Wo der weltanschaulich neutrale Rechtsstaat an seine Grenzen kommt
Foto: Pixabay / Gerd Altmann
Podcast vom 3. August 2022 | Gestaltung: Henning Klingen*
Rund 40.000 Menschen haben im vergangenen Jahr in Österreich um Asyl angesucht. Die meisten Flüchtlinge davon stammten aus Syrien oder Afghanistan. Die Fluchtgründe dabei sind so individuell wie die Menschen selber. Doch viele, gerade aus islamisch geprägten Gesellschaften Flüchtende geben als Fluchtgrund auch Religion an, das heißt, sie geben an, entweder einer in ihrem Herkunftsland verfolgten religiösen Minderheit anzugehören, oder aber sie sind zu einer anderen Religion übergetreten und befürchten bei Abschiebung eine religiöse Verfolgung. Dies, also die begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund religiöser Überzeugungen, gehört laut Genfer Flüchtlingskonvention zu den grundlegenden Definitionen des Begriffs Flüchtling überhaupt.
Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts Diesseits von Eden sagt Henning Klingen. Diesmal zugegebenermaßen zu einem schweren Thema, der Frage nämlich, wie man mit Konversionen im Asylverfahren umzugehen hat, also mit Menschen, deren innerste religiöse Überzeugung plötzlich zu einem politischen Faktor wird. Zu einem Faktor, den der Staat bei der Zuerkennung des Asylstatus bedenken und vor allem bewerten muss. Er tut das unter Berücksichtigung von Zeugen, etwa Priestern, Angehörigen oder Katechumenen, also Menschen, die die Flüchtlinge zuvor religiös begleitet haben. Aber aufseiten der Religionsgesellschaften gibt es ein Unbehagen. Beugt sich der weltanschaulich neutrale Staat mit einer Beurteilung in religiösen Fragen nicht allzu sehr aus dem Fenster?
Fluchtgrund Religion - und die Problematik staatlicher Überprüfung
Über solche Fragen hat im Juni eine internationale wissenschaftliche Fachtagung in Wien beraten. Initiiert wurde sie vom Wiener Kirchen- und Religionsrechtler Professor Andreas Kowatsch und dem emeritierten Religionsrechtler Professor Richard Potz. Beleuchtet wurde die Frage von Konversionen im Asylverfahren dabei aus rechtlicher, theologischer und auch aus praktischer Sicht.
Das wollen wir jetzt hier auch in unserem Podcast im Kleinen nachstellen. Daher genug der langen Vorrede und hinein in die Arena. In dieser erwarten Sie heute eben jener Professor Andreas Kowatsch, Vorstand des Instituts für Kirchenrecht und Religionsrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, dann die Leiterin des Grazer Instituts für Kanonisches Recht, also Kirchenrecht, Frau Professor Sabine Konrad, und schließlich der Innsbrucker Dogmatiker Professor Willibald Sandler.
Ich habe Professor Kowatsch zunächst gebeten, einmal die Relevanz des Themas deutlich zu machen und etwas gründlicher als in meiner Einleitung darzulegen, was Religion und Konversionen überhaupt mit dem Thema Asyl zu tun hat.
Kowatsch: "Die Genfer Flüchtlingskonvention, das völkerrechtliche Grundlagen, Dokument des internationalen Flüchtlingsrechts, und darauf aufbauend die europarechtlichen Normierungen, aber auch das österreichische Recht, das Asylgesetz und alles, was damit zusammenhängt, die sehen alle eine Verschiedenheit von Gründen vor, aufgrund derer ein Mensch befürchten kann oder muss, in seinem Herkunftsland Verfolgung zu leiden. Und diese Gründe sind durchaus unterschiedlich. Die Genfer Flüchtlingskonvention Konvention spricht von der 'Rasse', der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, einer politischen Gesinnung - alles Dinge, die man relativ leicht überprüfen kann. Daneben sticht der Fluchtgrund Religion heraus, weil Religion wesensmäßig innere Vorgänge in einem Menschen betrifft, so dass aus der Sicht des Staates ein Zugriff auf diesen Bereich immer mit Schwierigkeiten verbunden ist. Unsere Tagung hat sich jetzt mit der Frage befasst: Wie gehe ich mit Menschen um, die am Weg ins neue Land, ins Flucht- oder auch erst im Fluchtland eine Transformation ihrer religiösen Identität erleben und konvertieren, sich von einer Religion, der Herkunftsregion, einer neuen Religion zuwenden und dadurch erst eben befürchten müssen, in ihrem Herkunftsland verfolgt zu werden."
Prof. Andreas Kowatsch, Wien
Nur um das noch mal ganz klar zu haben: Es geht nicht darum, dass Menschen in ihrem Herkunftsland bereits religiös Verfolgte sind und deswegen Asyl beantragen, sondern es geht um Menschen, die z.B. aus einem muslimisch geprägten Land nach Österreich kommen, hier angeben, zum Christentum zu konvertieren oder konvertieren zu wollen und deswegen befürchten, nach einer Rückführung bzw. Abschiebung verfolgt zu werden. Wie überprüft der Staat so etwas?
Kowatsch: "Ganz richtig. Der Staat muss das überprüfen, weil er auch derjenige ist, der dem Menschen Schutz gewährt. Und diese Überprüfung setzt voraus, dass einerseits die neue religiöse Identität in irgendeiner Weise so weit nach außen tritt, dass sie tatsächlich dann ursächlich sein würde im Herkunftsstaat, dass dieser Person grobes Unrecht widerfahren würde. Das ist natürlich eine Prognose-Entscheidung. Wichtig ist: Es geht nicht darum, ob dieser Mensch von einer 'falschen' Religion zu einer 'wahren' Religion konvertiert ist, oder ob der Staat sich in irgendeiner Weise wertend zu den verschiedenen Religionen verhält, sondern es geht darum herauszufinden, ob diese Person jetzt aufgrund der neuen Umstände Verfolgung droht, oder ob zum Beispiel jemand, der vielleicht gar nicht als Flüchtling das Land verlassen hat, weil er im Ausland berufstätig war, jetzt eben aufgrund der neuen Situation tatsächlich die Voraussetzungen erfüllt, als Flüchtling anerkannt zu werden und dementsprechend Schutz zu genießen."
Wir werden sicher gleich noch mehr darüber sprechen, was das auch für das Verhältnis von Kirche und Staat betrifft. Aber zunächst zu Frau Professor Konrad: Sagt das Kirchenrecht in irgendeiner Form etwas zu diesem Thema?
Konrad: "Das ist selbstverständlich auch für die Kirchen ein Thema, das sich vor allem seit dem Jahr 2015 mit der großen Flüchtlingswelle noch verschärft hat. Es ist etwa ganz stark zu beobachten, dass die Erwachsenentaufen seit 2015 stark gestiegen sind. Das ist eben auf diese Konversionen zurückzuführen. Also es wird zum Teil berichtet von mehreren Dutzenden und hunderten Erwachsenentaufen, die auf diese Konversionen von Asylwerbern zurückgehen. Da wir ja verschiedene kirchliche Gemeinschaften und Kirchen sind, gibt es natürlich auch keine gemeinsame Statistik, aber man kann festhalten: die Zahlen sind stark gestiegen. Und die österreichischen Bischöfe haben darauf schon im Jahr 2015 reagiert und Richtlinien zum Katechumenat von Asylwerbern veröffentlicht. Dieses Katechumenat müssen eigentlich alle Erwachsenen, die sich taufen lassen wollen, durchlaufen. Das ist ein Jahr der Vorbereitung auf die Taufe mit dem Ziel, dass die Taufbewerber sich mit dem christlichen Glauben und auch mit der Liturgie und mit den christlichen Festen beschäftigen können und durch das Mitleben des Kirchenjahres und der kirchlichen Feste in den Glauben hineinwachsen können. Aber man muss natürlich bei Asylwerbern - vor allem bei jenen, die aus einem anderen Kulturbereich kommen - besondere Aufmerksamkeit auf diese Vorbereitung legen und auch auf andere Inhalte. So ist z.B. die Begleitung für sie eine ganz andere und betrifft nicht nur Glaubensinhalte, sondern auch ganz praktische Unterstützungen wie zum Beispiel die Hilfe bei Behördengängen."
Prof. Sabine Konrad, Graz
Den Glauben nicht nur behaupten, sondern leben
Herr Professor Kowatsch hat eben schon davon gesprochen, dass das Thema Konversion, was sehr 'Intimes' ist. Es geht um eine echte Beziehung, um eine Glaubensbeziehung. Und Kritik wurde immer wieder daran laut, dass das, was in Behörden dann passiert, ja so etwas wie 'Glaubensprüfungen' seien. Wie stellt sich das denn theologisch dar, Herr Professor Sandler: Kann man überhaupt einen Kanon festlegen, den es zu wissen, zu lehren, zu lernen gilt, damit eine Konversion gültig ist? Oder gibt die Theologie irgendwas an die Hand an Kriterien, die für einen 'glaubhafte' Konversion zu erfüllen sind?
Sandler: "Also von einer biblischen Grundlage her ist es ein lebenslanger Prozess, der keineswegs etwa durch eine Taufe abgeschlossen ist. Und eine letzte Beurteilung, ob eine Bekehrung authentisch ist oder nicht, ist etwas, was Gott selbst vorbehalten ist. Das ist eine Sache vom Jüngsten Gericht, da können wir nichts sagen. Das heißt aber nicht, dass es keine Kriterien geben würde. Es wird selbstverständlich vorausgesetzt - wieder auf biblischer Grundlage in den Evangelien, wo mit Metanoia, Umkehr etwas ganz Zentrales ist -, dass es eine minimale Voraussetzung ist, den Glauben, den man erfährt, nicht nur zu behaupten, sondern zu leben. Und das hat eine öffentliche Gestalt, das ist öffentlich sichtbar und ist auch biblisch betrachtet häufig mit Verfolgungen verbunden. Nur ist diese äußere Sichtbarkeit ein notwendiges Kriterium, aber kein hinreichendes Kriterium: Wie tief und 'echt' eine Bekehrung ist, ist letztendlich nicht zu beurteilen."
Prof. Willibald Sandler, Innsbruck
Vorschuss an rechtlicher Sympathie
Wenn ich Ihr Plädoyer bei der Tagung richtig verstanden habe, Herr Prof. Kowatsch, dann üben Sie ja auch eine gewisse Kritik daran, dass es so, wie es jetzt läuft, nicht ideal läuft. Sie fordern, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften stärker einzubinden seien. Was stellen Sie sich konkret vor? Was müsste sich verändern?
Kowatsch: "Jetzt schaut es so aus, dass die einzelnen Schutzsuchenden befragt werden und in diesen Befragungen prozesshaft auf der Suche nach der Ernsthaftigkeit der Konversion Entscheidungen sehr schablonenhafte Frage-Schemata angewandt werden, die zum Teil gar nicht wirklich auf die konkrete Situation eingehen und zum Teil noch nicht einmal auf die konkrete christliche Kirche. Die Kritik, die ich geäußert habe, zielt darauf, dass der Staat durch reine Wissensfragen nicht überprüfen kann, ob denn nun tatsächlich im Herkunftsland Verfolgung droht. Und hier ist nun die große Frage: auf der einen Seite gibt es Bischöfe oder Vertreter sämtlicher Kirchen, die meinen, die Kompetenz, das zu entscheiden, liegt in der Institution Kirche; die meinen, es sei eine innere Angelegenheit der jeweiligen Religionsgesellschaft, darüber zu urteilen, ob eine Konversionsentscheidung glaubhaft ist. Das sehe ich dezidiert nicht so, weil die private Entscheidung einer menschlichen Person, diese oder jene Religion zu haben, nun mal mit den inneren Angelegenheiten, wie die Gemeinschaft ihre Religion lebt, wenig bis gar nichts zu tun hat. Sehr wohl ist es eine innere Angelegenheit der katholischen Kirche festzustellen, dass diese Person aufgrund der Taufe zu ihr gehört. Das Faktum der Taufe darf und kann der Staat nicht in Zweifel ziehen. Nun urteilt aber der Staat nicht über das Faktum der Taufe, sondern trifft eine Prognose, ob aufgrund der Taufe und sonstiger religiöser Äußerungen nach außen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Das heißt, hier muss noch wesentlich weiter in den inneren persönlichen Bereich eingedrungen werden. Das hat allerdings mit dem Religionsfreiheitsrecht der Kirche als solcher nichts zu tun, sondern mit der individuellen Religionsfreiheit des Menschen, der seine Religionszugehörigkeit gewechselt hat, sein Bekenntnis, seine Identität geändert hat oder dabei ist, sie zu ändern. Der Staat muss aufgrund seiner eigenen Standards auch hier in Österreich schützen, dass jemand auch im Herkunftsland die neue Religion weiter ausleben möchte. Das ist die Vermutung - und diese Vermutung gilt es grundrechtlich hochzuhalten. Der Staat darf nicht erwarten, dass jemand seine Religion aufgibt, um damit religiöser Verfolgung zu entkommen. Auf der anderen Seite liegt die Frage nach der Einbindung von kirchlichen Auskunftspersonen: Das geschieht natürlich im Sinn von Zeugenbefragungen. Aber ich habe dafür plädiert, in einer Analogie zur Corona-Krise, wo ein bisschen über das institutionelle Recht in Österreich hinaus auch darauf vertraut wurde, dass in Dingen, wo die Religionsgemeinschaften sich naturgemäß besser auskennen als der Staat, dass dort der Staat einen Vorschuss an rechtlicher Sympathie auch im österreichischen kooperativen System des Miteinanders von Religion und Staat man den Auskünften einer kirchlichen Person, die den Flüchtling kennt, mehr Vertrauen entgegenbringt und das nicht auf einen reinen Zeugenbeweis reduziert, sondern in einer gewissen Weise an dieser Entscheidung, ob die Ernsthaftigkeit der Transformation der religiösen Identität vorliegt, jenen mehr Gewicht gibt, die tatsächlich aufgrund ihrer beruflichen Expertise tagtäglich in der Begleitung von solchen Menschen zu tun haben."
Eine Nachfrage zu Ihrem Lösungsvorschlag, wenn ich das so nennen darf: Da gehen Sie ja vom Beispiel der katholischen Kirche aus, die ein hoch ausdifferenziertes Rechtsverständnis hat und klare Strukturen aufweist. Wenn man das nun ausweitet auf die anderen anerkannten Religionsgesellschaften in Österreich, dann ist das Gefälle ja doch sehr groß zwischen dem hoch ausdifferenzierten katholischen System hin zu den kleinen, auch freikirchlichen, aber anerkannten Religionsgesellschaften, wo vielleicht dieses ganze 'Backoffice' überhaupt nicht gegeben ist. Das heißt, sie legen die Latte sehr hoch, oder?
Kowatsch: "Die Hürde mag hoch sein, aber das ist das Wesen des österreichischen, kooperativen religionsrechtlichen Systems: Der Staat reicht den Religionsgemeinschaften die Hand zur institutionellen Kooperation, schafft im Bereich der Gewährleistung der Religionsfreiheit auch gewisse Rahmenbedingungen; aber inwieweit die einzelnen Religionsgemeinschaften das wahrnehmen oder nicht, das kann der Staat wiederum nicht klären, weil er eben dann auf die andere Seite wechseln würde. Ich gebe Ihnen aber inhaltlich völlig recht: Selbstverständlich hat es hier eine groß aufgestellte, institutionell breit gefächerte Religionsgemeinschaft leichter: Die kann aber gewisse Hilfestellungen innerhalb interreligiös bieten, auch vor allem innerhalb der christlichen Ökumene gewisse Standards gemeinsam zu erarbeiten, die dann auch von kleineren Gemeinschaften erfüllt werden können. Voraussetzung ist allerdings tatsächlich die Teilnahme am österreichischen Kooperationssystem im Rahmen der gesetzlichen Anerkennung."
Zukunftsfähiges österreichisches Modell
Frau Professor Konrad, ist dieses Modell, was in Österreich auch kirchenrechtlich geübt wird, eigentlich zukunftsfit, oder sehen Sie irgendwo kirchenrechtlichen Bedarf zur Nachschärfung?
Konrad: "Also grundsätzlich ist es schon zukunftsfähig und es ist ja auch sehr wichtig, dass man gerade im Katechumenat bei der Begleitung individuell vorgeht. Also das ist ja überhaupt nicht gesagt, dass man nach einem festen Schema das alles beachten muss, sondern wenn jemand zum Beispiel Defizite bei den Themen Stellung der Frau, christliches Eheverständnis oder diesen Dingen hat, dann ist es natürlich selbstverständlich, dass man da individuell darauf eingeht. Von dem her ist es ja immer möglich, flexibel vorzugehen. Kurz gesagt: Ich halte das schon für zukunfts- und anpassungsfähig."
Gibt es auch in kirchenrechtlicher Perspektive eine Art Ökumene, also einen Dialog darüber, dass sich andere Kirchen für Regelungen im katholischen Kirchenrecht interessieren, sie vielleicht für sich adaptieren wollen?
Konrad: "Das wäre mir jetzt nicht bekannt. Es ist allerdings natürlich schon so im Rahmen der Ökumene, dass man sich austauscht unter den Religionsgemeinschaften und auch gemeinsam Schwierigkeiten angeht. Aber dass man jetzt konkret aufs katholische Kirchenrecht schaut und sieht, wie es dort geregelt ist - das ist mir nicht bekannt. Zumal man ja auch weiß, dass vor allem bei Freikirchen es mit der Vorbereitung auf die Taufe manchmal nicht besonders ernst genommen wird. Es gibt Berichte davon, dass jemand eine Woche, nachdem er sich zum ersten Mal beim Pfarrer vorgestellt hat, getauft worden ist. Also das wird schon sehr unterschiedlich gehandhabt in den Religionsgemeinschaften. Und von daher sehe ich jetzt keine spezielle Orientierung an der katholischen Kirche."
Als Theologe ist man ja auch immer Zeit-Diagnostiker. Zeigt die Tatsache, dass Konversionen im Asylverfahren Gegenstand einer Problematisierung sind, auch eine gewisse Schieflage im Verhältnis von Staat und Kirche an?
Sandler: "Wenn man religionswissenschaftliche Entwicklungen anschaut, dann sieht man, wie stark auch eine Bekehrung zwar ein zutiefst innerlicher Prozess ist, aber wie stark der durch verschiedene gesellschaftliche Faktoren beeinflusst ist. Und wir müssten einfach die Situation anschauen, wie Religion verstanden wird in den Herkunftsländern und wie Religion verstanden wird hier bei uns. Und da haben wir es - noch bevor wir das Verhältnis von Kirche und Staat speziell anschauen - mit entsprechenden Spannungen zu tun. Wir leben in einer - grob gesagt - säkularen Welt. Mit Charles Taylor gesprochen: Wir leben in einer Welt tiefer Verunsicherung auch in religiösen Dingen. Wer eine tiefe Gotteserfahrung gemacht hat, dem sagt das mitlaufende religionskritische Narrativ stets: vielleicht hast du einfach nur Regression erlebt und möchtest dich nicht in Schwierigkeiten stellen... Wir sind also ständig mit Vorbehalten in religiösen Fragen konfrontiert. Und nun kommen Menschen zu uns, die eh schon in eine totale Identitätskrise hineinkommen, wenn sie alles zurücklassen in ihrem Herkunftsland und dann in unser Land herkommen, wo Religion völlig anders verstanden wird. Jeder, der sich von ihnen für die Taufe entscheidet, ist ja schon aus der bei uns üblichen Form eines nicht bewussten, unentschiedenen Christentums ausgestiegen. In solchen Entscheidungen steckt Radikalität drin, die die frühe Kirche kannte, die aber seit der konstantinischen Wende verloren gegangen ist und die wir jetzt wieder neu kennenlernen bei Flüchtlingen."
Sensibilität für das Proprium der Religion wecken
Sehen Sie denn, Herr Prof. Kowatsch, dass Ihre Kritik und Ihr Vorschlag auf staatlicher Seite auf Wohlwollen und auf offene Ohren trifft?
Kowatsch: "Das kann natürlich im Nachgang einer Tagung empirisch nicht beurteilt werden, ob bzw. wie schnell der Dialog innerhalb der wissenschaftlichen Community, an dem dankenswerterweise auch viele Vertreter aus der Praxis teilgenommen haben, dann tatsächlich die Praxis in einem Land zu verändern vermag. Ich denke aber, dass das österreichische mehrstufige System und darin gerade die Obergerichte, in dem Fall der Verwaltungsgerichtshof, aber auch der Verfassungsgerichtshof sehr wohl wissen, wo unter Umständen gewisse Schwierigkeiten liegen könnten und wo dann auch etwa in Fortbildungen in Zukunft - so ist zumindest die Hoffnung - vielleicht etwas mehr Schwerpunkt gelegt wird auf eine Stärkung der Sensibilität gegenüber dem Phänomen Religion. Ich würde das sogar weiten über den konkreten Problembereich von Asyl und Konversion hinaus auf das Phänomen Religion insgesamt: Denn wir haben zunehmend Richterinnen und Richter bzw. Verwaltungsorgane, die selber aus der eigenen Biografie keinerlei oder vielleicht sogar negative religiöse Erfahrungen mitbringen. Und hier die Sensibilität für das Proprium von Religion zu wecken durch Schulung und Diskussion - wenn da auch nur ein kleiner Beitrag dazu geleistet werden kann, dann ist sehr viel erreicht."
Und das war's schon wieder mit dieser Folge des Podcasts "Diesseits von Eden". Vielen Dank fürs Zuhören sagt Henning Klingen.