Raus mit euch! - Wie man als TheologIn außerhalb von Uni und Kirche Karriere machen kann
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Podcast vom 4. September 2023 | Gestaltung: Henning Klingen*
Es gibt EINE Frage, die wohl alle Theologie-Studierenden – egal ob katholisch, evangelisch, islamisch – irgendwann mal von Mitstudierenden, Freunden, Verwandten zu hören bekommen: Was willst du denn DAMIT später beruflich machen? Willst du Pfarrer / Pfarrerin / Imam werden…? Vielleicht liegt in dieser Frage ein wenig verborgen, was ein Problem des Theologie-Studiums ist: Dass sich Menschen "außerhalb" offenbar nicht vorstellen können, was man da eigentlich studiert – und wozu das gut sein soll. Welt und Studienfach: unvereinbar. Außer vielleicht, man wird Pfarrer oder bleibt gleich an der Uni hängen, macht akademische Karriere.
Meine heutigen Gesprächspartnerinnen sind TheologInnen – ABER sie haben AUSSERHALB von Kirche und von Uni Karriere gemacht. Raus aus Uni-Theologie-Bubble. Und rein in einen Beruf, in dem ihnen – so meine Vermutung – die Theologie und das, was man im Studium lernt, nützlich war. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Diesseits von Eden, dem Podcast der Theologischen Fakultäten Österreichs. Mein Name ist Henning Klingen – heute im Gespräch mit Menschen über Karrieren außerhalb von Uni und kirchlichem Amt. Als Gäste begrüße ich dazu:
Maria Katharina Moser. Sie ist Direktorin der Diakonie, eine der größten kirchlichen Hilfsorganisationen im Land, getragen von der evangelischen Kirche. Frau Moser hat evangelische UND katholische Theologie studiert in Wien, 2005 promoviert. Und sie hat interkulturelle Frauenforschung in Manila studiert.
Ihr zur Seite sitzt Doris Helmberger-Fleckl, sie ist Chefredakteurin der Wochenzeitung "Die Furche". Sie stammt aus Kirchdorf an der Krems und hat katholische Theologie, aber auch Germanistik an der Universität Graz studiert.
Und schließlich begrüße ich Christian Friesl. Er ist u.a. Leiter des Bereichs Bildung und Gesellschaft in der Industriellenvereinigung. Ich sage u.a., weil Christian Friesl als promovierter UND HABILITIERTER katholischer Theologe immer noch auch ein Standbein an der Uni hat, wo er im Bereich der Werteforschung tätig ist.
Genug der Vorrede – Frau Moser, um mit Ihnen und gleich einer Ausnahme zu beginnen: Sie sind Theologinnen UND auch evangelische Pfarrerin hier in Wien. Aber eben nicht nur das, sondern Sie sind seit 2018 – heute auf den Tag seit 5 Jahren! – Direktorin der Diakonie. Sie haben vorher im ORF gearbeitet als Journalistin, auch an der Uni waren Sie tätig. Wir können und wollen jetzt keine Biografien zerpflücken, aber in Ihrem Fall scheint mir das dennoch angebracht: Katholische UND evangelische Theologie studiert – und interkulturelle Frauenforschung in Manila. Wie kam es dazu?
Moser: "Na ja, das war ja hintereinander. Mein erstes Theologiestudium war die katholische Theologie, und ich habe diese Frage, die Sie eingangs erwähnt haben - Was machst du da eigentlich damit? - ganz häufig gehört, vor allem auch von meinen Eltern damals, die gemeint haben, gerade für Frauen sei katholische Theologie ein brotloses Studium. Mir war das damals eher wurscht, als junger Mensch denkt man ja unter Umständen gar nicht so sehr daran, was man damit macht, sondern man fragt sich: Was interessiert mich? Und bei mir war es so, dass mich damals die Pfarrgemeindearbeit in der Jungschar und in der katholischen Jugend sehr inspiriert hat. Das war wirklich in der Schulzeit ein Feld, wo man sich ausprobieren konnte. Und gleichzeitig war mir klar: da stimmt irgendwie was mit der Frauenfrage überhaupt nicht in der katholischen Kirche. Und das wollte ich genauer wissen. Ich habe schon gewusst, es gibt so was wie feministische Theologie. Ich hab gewusst, es kommt ein bisschen an der Uni auch vor. Und das war eigentlich meine Motivation für das katholische Theologiestudium zunächst."
Maria Katharina Moser
Und dann hat man mir gesagt: Du spuckst Gift
Und das evangelische Studium dann ...?
Moser: "Das kam sehr viel später, nachdem sich diese kritischen Anmerkungen von damals als treffend herausgestellt haben. Ich wollte zuerst eigentlich diese klassische, von Ihnen angesprochene Karriere machen; ich habe promoviert in katholischer Theologie und dann sollte es in Richtung Habilitation gehen. Und da dachte ich, jetzt machst du besser nix Feministisches mehr, sonst wird das nichts mit einer Professur. Dann habe ich gemerkt, dass das eine Schere im Kopf macht - und ich habe mich dann entschieden, in den Journalismus zu gehen. Da ist man von Kirche und Lehrerlaubnis an der Uni unabhängig. Ich habe gern als Journalistin gearbeitet, aber ich habe irgendwann gemerkt, dass mir das zu wenig ist, immer über das zu berichten, was andere tun. Gerade in einem kirchlichen und sozialen Umfeld. Und dann habe ich mich entschieden, wieder das kirchliche Feld zu suchen, habe in der Zwischenzeit die evangelische Kirche ganz gut kennengelernt, habe mich entschieden zu konvertieren und das irgendwie auch gleich mit einem evangelischen Theologiestudium zu verbinden, das die Voraussetzung ist, die Ausbildung zur Pfarrerin zu machen."
Also haben wir hier direkt schon einen ersten wichtigen Punkt angesprochen, nämlich dass Theologie und Biografie ganz oft sehr eng verwoben sind. Doris Helmberger-Fleckl, ich habe gerade eben bei der Einleitung gesagt, Sie haben eine klassische Kombination gewählt: Theologie und Germanistik. War für Sie eigentlich eine Uni-Karriere ein mögliches Szenario, oder wie haben Sie auf diese Frage - Was willst du denn damit machen? - eigentlich geantwortet damals?
Helmberger-Fleckl: "Ja, dazu muss man sagen, dass das nicht meine erste in Kombination nach der Matura war. Also ich habe ein Gymnasium besucht und nach der Matura war es so, dass ich ganz was anderes machen wollte. Ich wollte Architektur machen und bin deswegen auch nach Graz gegangen und habe Architektur studiert. Und zum Biografischen: Ich war in einer Familie, die sehr oft und sehr intensiv religiöse Fragen oder theologische Fragen diskutiert hat. Mein Bruder hat auch Theologie studiert. Wir sind in einer Pfarrei groß geworden, die sehr intensiv auch missionarisch gearbeitet hat. Ich bin dann eher so ins Charismatische abgeglitten und es hat sich dann herausgestellt, dass der Kaplan, der uns sehr geprägt hat und der tatsächlich im sprichwörtlichen Sinn charismatisch war, eher so eine Richtung vertreten hat, wo ich heute die Füße in die Hand nehmen und das Weite suchen würde. Aber er hat gewusst, wie man Jugendliche begeistert. Ein Phänomen, das wir natürlich heute noch immer kennen. Nach der Matura habe ich dann Architektur studiert und bin dann ich eine Krise geraten, man kann sagen eine Lebenskrise, weil ich gemerkt habe: das ist es nicht. Und da bin ich nach Medjugorje gefahren mit einer Busgruppe über Silvester und hatte da einerseits das Erlebnis, dass ich gemerkt habe, dass da schon eine Kraft ist, die viele Leute suchen. Gleichzeitig ist das ein Riesengeschäft und eine Abzockerei. So habe ich es dann auch erlebt und beim Zurückfahren war ich im Bus und dann haben wir diskutiert über den Zölibat und ich habe halt meine Thesen vorgebracht, nämlich im Sinne von 'Muss nicht sein, steht nicht in der Bibel...'. Und dann hat man mir gesagt: Du spuckst Gift. Und das war eine große Lehre im Sinne von: Da läuft doch so viel falsch in diesem Bereich. Es kann doch nicht sein, dass immer dann, wenn man kritische Rückfragen stellt, man irgendwie quasi als teuflisch dargestellt wird. Und dann habe ich beschlossen, dass mich das interessiert, ich möchte das intellektuell verstehen; und dann habe ich das Theologie-Studium begonnen, aber nie vor dem Hintergrund, irgendwie selber was in der Kirche zu machen, sondern einfach, weil es mich interessiert hat. Und so war es dann auch, dass ich das dann in diesen Bereich des Journalismus weiterentwickelt habe, wo man dann beides verbinden konnte."
Doris Helmberger-Fleckl
Christian Friesl, Sie sind hier gewissermaßen, wie ich gesagt habe, ja auch eine Ausnahme, denn Sie haben noch dieses Standbein an der Uni, am Institut für Praktische Theologie. Wieso ist Ihnen das eigentlich wichtig? Ist der Job bei der Industriellenvereinigung nicht ausfüllen genug, nicht erschöpfend genug ...?
Friesl: "Also der Job in der IV ist durchaus ausfüllend und er macht mir auch sehr viel Spaß. Diese kleine Anstellung an der Universität - das sind zehn Stunden in der Woche - die habe ich deswegen, weil ich mich dort mit einem Thema beschäftigen kann, mit dem ich mich mein ganzes berufliches Leben beschäftigt habe, nämlich mit dem Thema Werte und Werteforschung. Das ist ein Stück meines Rückgrats sozusagen; in einem Forschungsverbund mitzuarbeiten, der sich mit der Frage von Werten und Religion und Empirie befasst. Und dazu kommt: Es ist sehr abwechslungsreich, vier Tage in der Woche die Kultur in einem Wirtschaftsverband zu erleben und dann einen Tag auch an einer Universität und gerade in einer theologischen Fakultät. Die Themen sind anders, die Sprache ist anders, und das gefällt mir gut. Und dazu kommt: Für mich war in meiner ganzen beruflichen Laufbahn wichtig, Theorie und Praxis zu verbinden. Das ist etwas, was, glaube ich, kennzeichnend ist für meine Biografie, dass ich immer versucht habe, sachlich zu arbeiten. Ich muss und will Dinge anwenden und umsetzen. Und auch aufgrund dessen funktioniert das so bisher gut."
Ich habe schon gesagt, Sie sind auch habilitiert. Eine Habilitation spricht ja dafür, dass eigentlich biografisch eine akademische Karriere geplant war. Stimmt das?
Friesl: "Auch das hat mit Theorie und Praxis zu tun. Als ich mich habilitiert habe, war ich ehrenamtlich Präsident der Katholischen Aktion Österreich. Auch das war ein Job, den ich irrsinnig gerne gemacht habe. Das war eine ehrenamtliche Tätigkeit, aber mit bis zu 20 Stunden in der Woche. Und ich wollte nicht weg aus Wien, hauptsächlich deswegen, aber auch aus familiären Gründen. Und der nächste Karriereschritt nach der Habilitation wäre natürlich gewesen, an eine kleine Universität in Deutschland zu gehen - und das wollte ich nicht und habe dann eine Alternative gesucht. Und eine Alternative war die Position in der Industriellenvereinigung, weil sie dort jemanden gesucht haben, der einen Bereich für Gesellschaftspolitik aufbaut. Und die erste Idee war ja, dort drei Jahre zu bleiben und wieder zurück zu kommen. Aber nachdem es ein toller Job ist, bin ich, wie man auf gut Österreichisch sagt, picken geblieben und mache bis heute daher beides."
Christian Friesl
Analysieren, reflektieren, engagieren
Was sind Kompetenzen, die Sie im Studium gelernt haben, die Ihnen jetzt hilfreich sind in Ihrem Job außerhalb der Uni, außerhalb der Theologie, außerhalb des kirchlichen Amtes?
Friesl: "Vieles, was ich gelernt habe, hat mit Denken und Analysieren zu tun, aber auch mit über den Tellerrand schauen, auch über Gott sprechen und darüber nachdenken. Ich hatte in meinem Studium das Glück, dass ich sehr früh mit der Pastoraltheologie in Kontakt gekommen bin. Ich hatte schon im ersten Studienjahr eine Reihe von älteren Kollegen, die mich mitgenommen haben in Vorlesungen und Seminare des zweiten Abschnitts. Das waren damals der Professor Klostermann, der immer so interdisziplinäre Seminare hatte, etwa mit Adolf Holl. Also es ging sehr dynamisch zu. Und dort habe ich viel gelernt, etwa dass Aufmerksamkeit eine ganz wichtige Kompetenz von Theologinnen und Theologen ist. Und das hat sich dann natürlich auch bei Paul Zulehner, bei dem ich zehn Jahre Assistent war, fortgesetzt. Also dieses Thema, auf Gesellschaft zu schauen, aufmerksam zu sein, einschätzen zu lernen, da habe ich viel vom Studium mitgenommen."
Moser: "Etwas, was ich im evangelischen Studium gelernt habe, war etwa die Ethik; aber auch die Predigtlehre, dass man lernt, das Evangelium mit der Lebenssituation von Menschen ins Gespräch zu bringen und dabei sehr aufmerksam zu sein für Lebensrealitäten und sich mancher Dinge zu enthalten, wie zum Beispiel der Kanzelschelte, also dass man die Menschen, die da sind, irgendwie 'beschimpft' für ihr Fehlverhalten. Und dieser Vermittlungsauftrag zwischen Lebenssituation und Evangelium, das ist eine ganz wesentliche Kompetenz, denke ich, die ich auch im Studium gelernt habe. Und zurückblickend auf die katholische Zeit war für mich ein Austausch-Projekt mit den Philippinen ganz wichtig. Da ging es um die Konfrontation: Kirche der Armen werden hieß das. Und die Konfrontation mit den Lebenssituationen von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen auf den Philippinen von Armut betroffen sind, da auch mit zu leben und das Erfahrene dann einer theologischen Reflexion zuzuführen. Also eine Theologie, die aus der Erfahrung kommt. Und ich denke, das hilft mir auch sehr als Diakonie-Direktorin, das ist eine ganz wichtige Kompetenz. Eine, von der ich jetzt kritisch fragen würde, ob sie ausreichend vorkommt im heutigen Theologiestudium...? Ist das nicht vielleicht manchmal ein bisschen sehr historisch ausgerichtet...? Und dann möchte ich noch kurz etwas erwähnen, das zu dem passt, was Herr Friesl bezüglich der Katholischen Aktion gesagt hat: Für mich war es ganz wichtig im Erststudium, in der FH engagiert zu sein. Also das, was so ein bisschen neben dem Studium ist, aber auch mit universitärer Demokratie zu tun hat. Also sich einbringen, Interessensvertretung politisch verhandeln zu lernen, das war was ganz, ganz Wichtiges."
Helmberger-Fleckl: "Ich habe mich nicht in dieser Art engagiert, ich habe auch da meine Beine in die Hand genommen. Ich habe bei einer Zeitung mitgearbeitet, die sich mit sehr abgefahrenen Themen beschäftigt hat. Was mich während des Studiums sehr interessiert hat, waren schon auch so diese konfessionellen Abgrenzungen, die sich auch biografisch widergespiegelt haben - mein Mann ist evangelisch, meine Kinder sind evangelisch. Wir hatten quasi einen '30-jährigen Krieg' zur Frage, wie unsere Kinder getauft werden sollen. Ich habe ihn nicht gewonnen... Ich war dann ein Jahr in Straßburg und habe dort eine für mich sehr wertvolle Erfahrung gemacht, nämlich in der Minderheitensituation zu sein. Ich war die einzige katholische Theologin in einer Gruppe von fünf Theologinnen, wo alle anderen evangelisch waren aus Skandinavien. Und das Kuriose war: Ich habe mich nie so katholisch, nie so 'österreichisch' gefühlt wie in diesem Jahr in Straßburg. Ich habe Kirche nie so spannend gefunden wie damals. Jetzt würde ich sagen: das war vollkommen verrückt. Aber so war es damals. Was noch spannend war, war dann die Diplomarbeit, die ich relativ schnell geschrieben habe, weil ich schon einen Job vor Augen hatte - die "Furche" hatte da schon angeklopft. Meine Diplomarbeit habe ich geschrieben über das Projekt Weltethos vom Hans Küng. Aber auch bioethische und sozialethische Fragen haben mich im Studium immer fasziniert."
Das Studium möglichst lebensnah gestalten
Wenn Sie jetzt von Ihrem beruflichen, nicht theologischen Alltag aus auf das Studium zurückblicken: Gibt es da Dinge, wo Sie sagen, das müsste eigentlich im theologischen Studium stärker beachtet werden?
Moser: "Das ist ja eine ambivalente Frage. Also für mich im katholischen Erststudium war ganz wichtig, dass feministische Theologie vorkommt. Und wir haben uns damals als Studentinnen dafür eingesetzt. Inzwischen ist ja Frauen- und Geschlechterforschung bis in die Lehre vorgedrungen. Das ist irgendwie schon gut und wichtig, aber gleichzeitig denke ich mir manchmal, dass das eine wichtige Erfahrung ist, sich mit Leidenschaft für eine Sache einzusetzen, zu kämpfen. Aber mir wäre wichtig, dass das Studium nicht zu 'historisch' ausgerichtet ist, sondern es Möglichkeiten vorsieht, mit gesellschaftlichen Fragen zu konfrontieren und die gesellschaftliche Dimension theologisch zu reflektieren."
Friesl: "Also ich denke, die Zeit, als ich studiert habe und die heutige kann man nicht vergleichen. Ich habe zu einer Zeit studiert, als die Studierendenzahlen die höchsten waren. Es herrschte keine Krisen-, sondern eine Aufbruchsstimmung, es waren volle Hörsäle, man hat auch schon über Feminismus gesprochen und darüber, dass die Frauenfrage ein Problem in der Kirche darstellt. Aber insgesamt waren es vor allem junge Menschen, die aus einem kirchlichen Umfeld kamen und so wie ich in meiner Heimatgemeinde als Ministrant in der Jungschar gearbeitet haben und die diese Erfahrung zum Theologiestudium geführt haben. Heute haben wir es mit vielen Studierenden zu tun, die auch aus anderen Fächern und Fakultäten unsere Vorlesungen besuchen. Das ist gut so. Wir haben es aber auch mit vielen Studierenden zu tun, die aus Interesse Theologie studieren und nicht, weil sie eine Vorprägung haben wie wir damals."
Helmberger-Fleckl: "Was natürlich eine große Änderung war, ist das neue Studienfach Ethik. Wenn ich heute studieren würde, würde ich wahrscheinlich das wählen. Aber um an Sie, Herr Friesl, anzuschließen: Auch wir waren damals irgendwie volkskirchlich sozialisiert. Und das ist, glaube ich, nicht zu vergleichen mit der Sozialisierung der Studierenden heute. Und weil ich die Ethik erwähnt habe: Ich glaube, Theologie ist immer dann spannend und auch später im Leben hilfreich, wenn sie interdisziplinär betrieben wird, also wenn sie im Gespräch ist auch mit anderen Wissenschaften. Für die Ethik würde ich das meinen, auch die Soziologie ist sehr wichtig, bei bioethischen Fragestellungen braucht man natürlich auch das Gespräch mit Medizinern. Also dieses interdisziplinäre Gespräch schon im Studium zu erleben - das wäre ein wichtiger Punkt. Und um das vielleicht noch zu ergänzen: Bei uns gab es einen gewissen Gap zwischen den 'Kombinierern' und den reinen Fachtheologie-Studierenden. Ich habe das eigentlich immer schon als Chance wahrgenommen, noch ein zweites Standbein zu haben, eine zweite Denke zu entwickeln, vielleicht dort auch mich erklären zu müssen, warum ich das mache und weniger im eigenen Saft zu schmoren. Ich habe das als sehr wichtig empfunden, um da nicht im Kopf allzu eng zu werden."
Friesl: "Ja, Interdisziplinarität ist wichtig, aber mindestens genau so wichtig ist es meines Erachtens, ein zweites Standbein zu haben, eine zweite Ausbildung, eine zweite Kompetenz zu erwerben. Das gibt Sicherheit und ein gewisses Maß an Freiheit im Blick auf die Berufswahl."
Mit der Unverfügbarkeit des Lebens umgehen
Sie haben bei der Frage nach den Kompetenzen Dinge wie Aufmerksamkeit, analytisches Denken etc. angeführt. Das ist aber noch nicht dezidiert "theologisch". Ich vermute mal, diese Kompetenzen würden auch Philosophie-Studierende sich zusprechen... Gibt es also auch Kompetenzen, die bewusst mit dem Theologischen verknüpft sind?
Moser: "Ich würde gern die Textkompetenz nennen, die wir in der Exegese, also in der Bibelwissenschaft, lernen. Die halte ich für ganz wichtig. Und da könnte man jetzt das, was Sie gerade angesprochen haben, auch sagen: Na ja, Textkompetenz kann die Literaturwissenschaft auch vermitteln, aber es sind eben 'andere' Texte und Literaturwissenschaftler agieren mit anderer Perspektive. Eben nicht aus der Perspektive der biblischen Botschaft. Und sie tun das vielleicht oder wahrscheinlich auch dann mit einer anderen Motivation. Also der Begründungszusammenhang ist ein anderer. Und der Begründungszusammenhang ist das, was das Theologiestudium speziell macht. Ich kann das vielleicht noch ein bisschen praktischer verdeutlichen am Beispiel der Diakonie: Die Diakonie erbringt soziale Dienstleistungen im Bereich Pflege, im Bereich Menschen mit Behinderungen, Unterstützungsleistungen. Ist diese Arbeit anders, als wenn man gepflegt wird vom Roten Kreuz oder von der Lebenshilfe? Ich glaube im Konkreten nicht - aber die Frage, warum ich das mache, macht einen Unterschied. Und in der Begründung ist ein Unterschied, den ich auch in der Gesellschaft für wichtig erachte. Es ist nämlich ein ganz spezifischer Beitrag, der da aus kirchlicher Perspektive und damit auch theologischer Perspektive eingebracht wird, nämlich dass wir lernen als Theologen und Theologinnen, mit dem im Leben, was unverfügbar ist, was wir nicht in der Hand und unter Kontrolle haben, umzugehen. Zu wissen, dass es diese Unverfügbarkeit einfach gibt und sich ihr zu stellen. Und ich glaube, das ist wirklich was ganz spezifisch Theologisches."
Friesl: "Es ist meines Erachtens auch völlig legitim, das Theologiestudium zu verwenden, um in der eigenen Religiosität mehr Durchblick zu haben. Für mich war das ein Motiv. Ich wusste, als ich Theologie studierte, dass ich gar nichts anderes studieren möchte. Ich wusste, ich möchte mich mit Religion beschäftigen. Und ich wusste auch, ich möchte für mich mehr Klarheit haben durch das Studium. Also ich wusste mit 18 jedenfalls nicht, was ich dann beruflich damit tun würde. Was Bischöfe gesagt haben und auch Kirchenpolitik war mir völlig wurscht. Es ging um Analyse und das Nachdenken über die Praxis, die ich in der Jugend gelebt und erfahren habe. Und ich denke, dass das auch heute noch für manche zumindest ein Motiv ist, Theologie zu studieren."
Helmberger-Fleckl: "Ich möchte auch noch mal beim Biographischen bleiben und das schon angesprochene Verhältnis von Glauben und Wissen kritisch hinterfragen. Das ist ja bis heute ein Thema: Wie weit geht die akademische Freiheit? Wo kommt einem die 'Missio' oder ein 'Nihil obstat' dazwischen? Das ist ja die Grundfrage der theologischen Fakultäten: Gibt es hier so was wie Forschungsfreiheit oder nicht? Und wie weit reicht die Freiheit? Ich nenne nur das Stichwort der 'Causa Lintner'. Das hat mir schon ein wenig den Atem geraubt, und ich war froh in dem Moment, dass ich nicht an der Universität forschend tätig bin. Also ich sehe da schon bis heute eine gewisse Herausforderung in der Selbstdefinition und im Selbstverständnis der Theologie, gerade natürlich der katholischen Theologie. Wie verstehe ich mich als forschender Mensch gleichzeitig mit dieser Offenbarung als Quelle und mit dieser Institution? Das waren für mich Momente, die mich davon abhalten, mich weder kirchlich noch an der Universität zu engagieren."
Moser: "Der Vollständigkeit halber würde ich gern dazu sagen, dass dieses Problem der Kontrolle der Forschung oder auch der Lehre durch die Kirche im evangelischen Feld nicht gegeben ist. Für die evangelische Kirche ist die wissenschaftliche Ausbildung ihrer Pfarrer und Pfarrerinnen sehr wichtig. Und das heißt schon, dass die Frage ist lautet: Wie relevant für das Pfarramt ist denn das, was man an der Fakultät lernt? Und wenn ich das richtig beobachte, wird die Theologie immer kleinteiliger. Die großen theologischen Entwürfe der 1980er- und 90er-Jahre sehe ich heute nurmehr wenig. Und die Frage stellt sich immer mehr, wie denn universitäre Theologie und kirchliche Praxis zusammengehen."
Jetzt mache ich etwas, was mir eigentlich nicht zusteht als Moderator: Ich gebe ebenfalls eine biografisch-theologische Selbstauskunft: Ich habe mich zum Theologiestudium entschieden, ohne viel für Gott übrig gehabt zu haben - aber ich hatte auch nichts gegen ihn. Ich bin klassisch katholisch sozialisiert, aber es war jetzt nicht so, dass ich gesagt hätte, das muss ich unbedingt studieren. Dann wurde ich konfrontiert in der ersten Vorlesung im ersten Semester mit unendlich vielen Argumenten, warum Gott nicht existieren kann. Ich habe studiert in Münster in den 1990er Jahren. Das war dort der Hort der Neuen Politischen Theologie von Johann Baptist Metz. Und die hat Theologie immer mit Gesellschaft und Geschichte verknüpft und gefragt: Wie können wir heute von Gott reden angesichts der Schrecklichkeiten, die Geschichte produziert. Und das war die Initialzündung bis heute, sich mit theologischen Themen, Aspekten, Argumenten auseinanderzusetzen und immer wieder auch in die Praxis zu kommen. Also das ist jetzt meine theologisch-biographische Selbstauskunft.
Leidenschaft für Gott - und Realismus im Blick auf mögliche Jobs
Ich würde Sie jetzt gerne mit Blick auf die Uhr in eine letzte Runde einladen, die direkte Ansprache an Studierende der Theologie heute zu wagen: Was wären denn Hinweise, Ideen, Anregungen, die Sie Studierenden der Theologie heute mit auf den Weg geben würden?
Helmberger-Fleckl: "Wie schon gesagt: Das mit dem zweiten beruflichen Standbein halte ich für sehr wichtig. Auch um frei im Kopf zu sein und zu wissen: es gibt mehr als die Theologie. Und meine zweite Erfahrung war einfach, ganz fest auf das zu setzen, was einen interessiert und was man kann. Und sich nicht abschrecken zu lassen davon im Sinne von da gibt es keine Jobs oder da hast du keine Chance. Ich habe das Glück gehabt, dass ich diesen Job bekommen habe, den einzigen, den ich haben wollte in ganz Österreich, weil die 'Furche' gibt es halt nur einmal, und jetzt bin ich Chefredakteurin durch 'Zufall', ohne dass ich das irgendwie groß angesteuert habe. Es hat sich alles irgendwie gefügt. Das war Glück oder Gnade, auch ein bisschen Eifer und Arbeit. Aber ich glaube, man muss ganz fest darauf vertrauen, dass Gott und dahin setzt, wo unser Platz ist. Und daran muss man vor allem selber glauben. Und da ist das Theologiestudium eine große Bereicherung in Kombination mit einem anderen Fach."
Friesl: "Für die Studierenden macht es Sinn, sich im Studium auch einen Schwerpunkt zu suchen, also auch zu überlegen: Was ist das Fach, was ist das Thema, was ist der Inhalt, der mich besonders interessiert, wo ich mich auch ein Stück weit profilieren kann? Das macht sicher auch den Berufseinstieg leichter. Und nachdem Sie vorher auch das beschrieben haben, was zumindest in meiner Zeit viele auch als kritisch dargestellt haben, nämlich dass das Theologiestudium den Glauben nicht nur voranbringen kann, sondern auch irritieren kann, glaube ich, dass es hilfreich ist, auch ein paar Leute um sich zu haben, mit denen man neben dem Studium auch über solche biografischen, persönlichen Glaubensthemen sprechen kann."
Moser: "Ich möchte das gern aufgreifen: bleibt an euren Leidenschaften dran! Findet diese im Studium! Lasst euch nicht einschüchtern von dem, was vielleicht irgendwann mal sein könnte jobmäßig! - Und sucht euch ein Feld des Engagements. Das kann die Pfarrgemeinde sein, das kann ein Besuchsdienst im Pflegeheim sein, das kann das menschenrechtliche Engagement in einer NGO sein..., und versucht dann, das, was ihr dort erlebt und erfahrt, mit dem, was ihr theologisch lernt, zu verbinden. So wird man ein Theologe und eine Theologin, die eine eigene Theologie hat. Und ich glaube, das ist das, was im Endeffekt das Zentrale ist: Zu wissen, wer bin ich als Theologe und Theologin und was ist meine Theologie?"