Theologie & Biografie: Mit Matthias Beck und Ludger Schwienhorst-Schönberger im Gespräch
Foto: Uni Wien / Kathbild / Franz Josef Rupprecht
Podcast vom 12. Juli 2022 | Gestaltung: Henning Klingen*
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Diesseits von Eden", dem Podcast der Theologischen Fakultäten in Österreich und Südtirol. Heute sitze ich allerdings mal nur in Wien, und zwar gemeinsam mit den beiden katholischen Wiener Theologen Ludger Schwienhorst-Schönberger und Matthias Beck. Der eine ist Professor für alttestamentliche Bibelwissenschaft. Der andere Medizinethiker und Moraltheologe.
Der Grund, warum wir hier zusammensitzen und ausnahmsweise mal sehr katholisch und sehr wienerisch unterwegs sind, ist kein thematischer, sondern ein biografischer: Denn die beiden haben zum Ende dieses Sommersemester ihre Abschiedsvorlesungen absolviert. Sie treten in den Ruhestand, werden emeritiert. Zudem sind beide aus Deutschland und sie haben beide in Wien seit 2007 gelehrt und geforscht. Bevor wir darüber sprechen und über all die Dinge, die Ihnen als Theologen wichtig sind, möchte ich sie aber kurz vorstellen.
Zunächst zu Matthias Beck: Er wurde 1956 in Hannover geboren, studierte Pharmazie und Medizin in Münster und München, dann Philosophie und bis 1993 katholische Theologie in München. 1999 promovierte er, 2007 habilitierte er sich im Fach Moraltheologie mit dem Schwerpunkt Medizinethik an der Uni Wien, und zwar mit einer Arbeit zum Thema Stammzellforschung. Seit 2007 war er außerordentlicher Universitätsprofessor für Moraltheologie mit dem Schwerpunkt Medizinethik an der Uni Wien.
Ihm gegenüber sitzt Ludger Schwienhorst-Schönberger. Er wurde 1957 in Lüdinghausen geboren, studierte von 1976 an Philosophie, Theologie und Pädagogik, ebenfalls an den Unis in München und Münster sowie in Jerusalem. 1989 promovierte er mit einer Arbeit über das Bundesbuch. 1992 folgte die Habilitation an der Uni Münster mit einer Arbeit über das Buch Kohelet. 1993 wurde Schwienhorst-Schönberger Professor für Altes Testament und hebräische Sprache an der Uni Passau. 2007 dann folgte er einem Ruf an die Uni Wien, wo er bis heuer den Lehrstuhl für alttestamentliche Bibelwissenschaft innehatte.
Es ist noch am Vormittag, das heißt eigentlich zu früh, um jetzt Alkohol zu trinken und mit irgendwas anzustoßen. Aber Sie sind ja beide emeritiert worden. Mit was müssen wir denn anstoßen? Mit norddeutschem Bier oder mit einem weißen Spritzer?
Beck: "Also ich würde für den weißen Spritzer plädieren, dass es mehr Flüssigkeit, weniger Alkohol und Bier macht. Sehr müde, so ein Spritzer, der hält wenigstens drei, vier Stunden lang wach. Und ich würde also mit dem Spritzer beginnen."
Schwienhorst-Schönberger: "Ich würde dem medizinischen Gutachten zustimmen und auch mit dem weißen Spritzer anstoßen..."
Was mir aufgefallen ist an Ihren Biografien: Sie sind ja beide nicht nur in etwa gleich alt und kommen aus Deutschland - Sie haben auch beide in Münster und München studiert. Kennen Sie sich eigentlich bereits aus dieser Studienzeit?
Schwienhorst-Schönberger: "Nein, persönlich nicht. Aber wir waren beide an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten."
Beck: "Was, du auch? Ich war 87 bis 89 dort."
Schwienhorst-Schönberger: "Ich von 76 bis 78."
Was verbinden Sie beide mit München und Münster eigentlich?
Beck: "Also bei mir war es der Reitsport. Ich war ja Junior-Europameister im Dressurreiten und damals musste man sich noch über die Zentrale Vergabestelle in Dortmund bewerben für die Studiengänge, die ein Numerus clausus-Fach waren, also Pharmazie und Medizin. Und so bekam ich zugewiesen als Hannoveraner einen Studienplatz in Braunschweig, das war die nächste pharmazeutische Fakultät. Und dann habe ich gesagt: Ich bin Reiter, ich habe die Pferde stehen im deutschen Olympiade Komitee für Reiterei, das in der Nähe von Münster, 30 Kilometer entfernt, liegt. Dann durfte ich auch in Münster studieren."
Beck: "Meine Theologie ist eine erdgebundene Theologie"
Schwienhorst-Schönberger: "Ich interessierte mich schon als Schüler für die Philosophie und wusste nicht so recht, welches Fach ich nach dem Abitur studieren sollte. Ich suchte ein Fach, in dem irgendwie alles zusammenkommt. Dann traf ich damals in den Sommerferien mein Cousin. Der war Jesuit in Japan, und der hat mir den Tipp gegeben: Studier doch erst mal vier Semester Philosophie an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten. Und das habe ich dann auch gemacht und das hab ich nicht bereut. Es bot einen wunderbaren Überblick über die gesamte Philosophiegeschichte. Also keine zu frühzeitige Spezialisierung, dass man sich in irgendwelchen Spezialgebieten verrennt. Das hat mich sehr geprägt, und das hat mir dann auch für das weitere Studium so eine Art Kompass gegeben. Also das war für mich eigentlich der Schlüssel der Studium der Philosophie an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München."
Beck: "Das würde ich auch bestätigen. Ich habe mit 31 dann angefangen, also nach dem Medizinstudium, habe die Pferde verkauft und zum ersten Mal wirklich studiert in München. Und wie du richtig sagst: die Grundlage dort bei den Jesuiten ist sehr gut. Das meiste, was ich in Vorträgen bringe, habe ich aus zwei Quellen gelernt: den Exerzitien von Ignatius und der philosophischen Reflexion der Jesuiten. Die machen genauso Hegel, Fichte, Schelling - aber du spürst doch, dass sie im Innersten immer den Blick haben auf die praktische Anwendbarkeit. Ich würde daher auch bei mir selbst von einer philosophischen Theologie sprechen oder einer erdgebundenen Theologie, vom Menschen ausgehend, weil ich primär Arzt bin und Pharmazeut. Also ich komme sehr von der Natur, vom Menschen und nicht von irgendeiner platonischen Ewigkeitsidee. Dabei haben mir die Jesuiten sehr geholfen."
Ist das vielleicht auch ein erster Berührungspunkt oder ein erster Punkt, den Sie beide teilen? Dieses monastische Moment?
Schwienhorst-Schönberger: "Bei mir war es eher die Philosophie. Im Grunde haben die Kirchenväter die Schrift philosophisch gelesen. Das Christentum war am Anfang ja keine Religion, sondern die frühen Christen verstanden sich als eine Philosophie. Und diesen Gesichtspunkt halte ich für sehr wichtig, weil man sich sonst gleichsam in einem rein induktiven Ansatz verliert, gerade auch in der Bibel. Ja, von daher war die Philosophie für mich eine Art Kompass. Natürlich ist das in der Exegese nicht unumstritten. Die Bibel ist keine Einheit, es ist ein Flickenteppich. Und das hat mich immer beschäftigt, wie man diese Frage lösen kann - einerseits die Vielfalt, andererseits aber auch ein gewisses Maß an Kohärenz. Und natürlich war Philosophie in der Antike im Grunde eine Lebensform, eine Praxis. Das war keine theoretische Reflexion, sondern es ging um die Frage: Wie kann ich gut und das heißt auch richtig leben? Und da kommt der Begriff der Wahrheit ins Spiel. Und da konnte dann die frühe christliche konnten die frühen Christen anknüpfen. Die Philosophen haben einen Wahrheitsanspruch erhoben und das hat mich immer fasziniert. Deswegen rede ich auch heute noch von der Wahrheit im Singular, auch wenn das anstößig ist."
Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger
Beck: "Ich will noch mal anknüpfen an dem, was du gesagt hast, Ludger, über die Philosophie. Ich habe auch eher diesen Zugang von unten nach oben. Das hängt mit meiner Biografie zusammen. Biografie prägt ja immer auch Theologie. Und mein Zugang ist ein naturwissenschaftlicher. Ich habe immer die Warum-Frage gestellt. Warum sind die Blätter grün? Warum wächst der Grashalm von alleine? Warum scheint die Sonne von allein? Warum schlägt das Herz von allein? Diese Fragen haben mich gequält in der Pharmazie, auch in der Medizin. Und als ich dann Philosophie studiert habe, da kam diese Warum-Fragen. In der Medizin kriegt man keine Antworten darauf. Das war der erste Zugang zur Philosophie. Und dann kommt ein zweiter, der auch meine Moraltheologie prägt: Die Exerzitien von Ignatius von Loyola. Sie haben gefragt nach dem Monastischen: Ich bin jetzt Priester, seit elf Jahren. Aber eigentlich habe ich eine monastische Berufung. Eigentlich wollte ich Jesuit werden, war schon angemeldet, sogar im Noviziat, und habe dann zwei Tage vorher abgesagt. Warum? Einmal dachte ich, ob die Jesuiten mich noch mal Skifahren lassen? Mich nochmal tanzen lassen gehen? Und dann: Ich dachte, wenn ich schon Priester werde, möchte ich Papst werden. Und Jesuiten werden niemals Papst. Jetzt ärger ich mich natürlich. Man soll mit Gott nicht rechnen. Jetzt habe ich mich verkalkuliert..."
Schwienhorst-Schönberger: "Biblische Texte entstammen einer 'Disclosure-Erfahrung'"
Professor Beck hat damit schon gezeigt, worum es ihm geht, was ihn in die Theologie getrieben hat, was sein Impetus ist. Wie ist das bei ihm? Was Sie dazu getrieben hat, sich vor allem mit dem Alten Testament so zu befassen.
Schwienhorst-Schönberger: "Dass ich zu meinem Testament gekommen bin, hat ein bisschen mit Zufällen zu tun. An der Hochschule für Philosophie der Jesuiten war ein Professor, Pater Benedikt Schwank. Der hielt Lichtbilder-Vorträge über das Heilige Land, und die fand ich sehr interessant. Und ein anderer Dozent sagte, auch Katholiken müssen die Bibel gut kennen. Und da war eigentlich bei mir ein Schwachpunkt. Zwar war mir die Bibel vom familiären Umgang her vertraut, aber Bibellektüre als eigenständige Übung der Frömmigkeit kannte ich nicht. Mit anderen Worten: Ich interessierte mich für das Heilige Land, habe mich für ein Stipendium beworben beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, habe das bekommen, habe mich gut darauf vorbereitet. Und da ging mir eine neue Welt auf: die Begegnung mit dem Judentum, mit den orientalischen Kirchen, die unterschiedlichen Formen der Schriftauslegung und auch das konkrete Land. Von der Philosophie her nur der Begriff, das geht auch nicht, sondern Begriffe ohne Anschauung sind leer. Dieses Wort von Kant hat mich angesprochen, und von daher habe ich aus der Not eine Tugend gemacht, bin dann in die Bibel eingestiegen. So bin ich da reingekommen, aber diese Spannung habe ich immer aufrechterhalten. Also dieses Philosophiestudium am Anfang, dann sozusagen die andere Welt der Bibel, die auch von der Methode her anders läuft. Das war und ist immer eine gewisse Spannung und das habe ich dann versucht zusammenzubekommen. Und ich denke, das ist eine wichtige Auflage und das ist eigentlich eine der wichtigsten Aufgaben - das muss man wieder stärker machen. Und dann kam bei mir noch eine persönliche Erfahrung hinzu: Als Student machte man damals sogenannte Selbsterfahrungskurse - Meditationen, teils ganz komische Sachen. Da ging es um Reporting, da ging es um Meditationen, da ging es um Chakrenarbeit usw. Das habe ich gemacht, bin dann einige Zeit auch beim Zen eingestiegen und da ist mir einiges aufgegangen und von dort habe ich dann einen Zugang zu einer erfahrungsbezogenen Form der Frömmigkeit gefunden, also im Grunde zu dem, was vor allem in der Mystik zur Sprache kommt. Und über diesen Umweg habe ich eigene Traditionen innerhalb der christlichen Theologie wiederentdeckt, also die christliche Tradition der Mystik, die meines Erachtens in der Theologie und auch in der normalen Seelsorge zu kurz kommt - nämlich der Kerngedanke, dass die biblischen Texte im Grunde aus einer solchen 'Disclosure-Erfahrung' stammen, aus einer Durchbruchserfahrung, wo eine Person oder vielleicht eine kleine Gruppe sozusagen in eine Dimension der Wirklichkeit hineingezogen wird, die dem Alltagsbewusstsein normalerweise entgeht. Und das ist ein hochmoderner Gedanke. Danach suchen die Leute heute wieder. Deswegen hatte ich während meiner Zeit als Theologieprofessor immer auch ein zweites Standbein, in dem ich Kurse angeboten habe im christlichen Kontext - Kontemplationskurse, die im Grunde für eine solche Erfahrung, für eine solche Erkenntnis disponieren. Deshalb verstehe ich den christlichen Glauben im Grunde als eine ganz konkrete Übungspraxis."
Prof. Dr. Matthias Beck
Beck: "Da werde ich ganz hellhörig, weil das genau mein Thema ist! Mein letztes Buch, was ich geschrieben habe, hätte eigentlich heißen müssen 'Der Einzelne'. Der Verlag hat mir dann so einen frommen Titel gegeben - 'Gott finden, wie geht das?' - stimmt auch, weil es um Ignatius geht, aber ich schreibe das jetzt gerade um, weil das auch meine Erfahrung ist: Wenn die Leute Spiritualität suchen, dann gehen die nach Asien, die suchen nicht in einer Pfarrei. Ich bin jetzt Ihr Pfarrer, da suchen Sie nicht. Da geht es um Pfarrgemeinderatssitzungen und was weiß ich nicht alles. Aber die Gemeinden brechen auseinander - das haben wir jetzt in der Pandemie gesehen. Die Kirchen sind geschlossen, in die Kirche kommt niemand mehr, aber die Menschen suchen nach Spiritualität. Deswegen: Der Einzelne. Das klingt für katholische Ohren natürlich ganz katastrophal. Wir reden ja sonst erstmal immer von der Kirche, von der Gemeinschaft der Gläubigen. Alles schön und gut. Aber wo bleibt der Einzelne? Gott und ich? Wir haben die Leute aus ihrer Verantwortung entlassen. Ich muss mein Leben führen. Ich bin mir zugemutet! Die Gesellschaft besteht aus einzelnen Individuen. Wir geißeln immer die Individualisierung - aber ich interpretiere das jetzt um: Ein Christ kann niemals reines Individuum sein, weil er Gott in sich hat, der Gott in mir. Das ist die alte Mystik. Ich habe Karl Rahner oft zitiert und ich wiederhole es auch hier noch mal: Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, der etwas erfahren hat - oder er wird nicht mehr sein. Der Glaube besteht aus Ich-Du-Beziehungen! Maria Magdalena ist die Erste am Grab - und Jesus spricht mit ihr. Sie denkt, es ist der Gärtner - er aber spricht sie mit dem Namen an. Intimer geht es gar nicht! Maria! Und dann geht ihr etwas auf. Das heißt: Den Leuten muss etwas aufgehen! Wir haben ihnen immer tote Formeln um die Ohren gehauen, den Katechismus. Das reißt doch keinen mehr vom Hocker! Der Mensch muss berührt werden! Thomas legt seine Hände in Jesu Wunden - und ist darauf hin so berührt, dass er in die Knie geht. Du musst in die Knie gehen!"
Schwienhorst-Schönberger: "Ja, das nennen wir die 'cognitio dei experimentalis'. Es ist nicht nur ein emotionales 'Herumgeeiere', es geht nicht um Emotionalisierung, sondern um eine tiefe Erkenntnis, die in der Erfahrung gründet. Die biblischen Texte sind im Grunde kondensierte Glaubenserfahrungen. Nur ist es mit ihnen wie bei Produkten aus der Tiefkühltruhe: Man muss sie auftauen, verflüssigen, erschließen. Und was tun wir? Wir legen Sätze vor, die Menschen glauben sollen - aber sie kommen nicht mit jener Wirklichkeit in Kontakt, aus der heraus diese Texte entstanden sind. Wir kommen nicht zur Quelle. Die Krise besteht also nicht darin, dass wir immer wieder neue Rede-Formen, eine neue Sprache finden müssen; nein, das ist zu wenig; wir brauchen Übungsformen, die einen Weg in die Erfahrung weisen! Und da brauchen wir schlicht und ergreifend gute Kompetenz. Und diese Kompetenz wiederum ist unabhängig von Weihe, von Laie oder Priester und vor allem auch unabhängig vom Geschlecht. Und das ist auch eine Schattenseite der Theologie, weil die Theologie im Grunde ein Sekundär-Phänomen ist: Sie reflektiert darüber - das ist ganz wichtig, ich bin wirklich leidenschaftlich gerne Theologe. Wir müssen die Dinge bedenken. Wir müssen auch eine Fülle an Wissen vermitteln, auch über die Heilige Schrift. Und wir brauchen auch eine gute Theologie der Spiritualität, eine gute Anthropologie, die nicht beim empirischen Ich stehenbleibt, sondern sozusagen in das wahre Selbst hineinkommt. Und von daher gibt es diese Verbindungen zwischen heiliger Schrift, zwischen spiritueller Praxis und moderner Lebensform. Das ist meines Erachtens die Zukunft des christlichen Glaubens. Da findet auch die Theologie ihre eigentliche, ursprüngliche Aufgabe wieder. Und wenn die Kirche in diese Richtung kommt, dann muss sie sich meines Erachtens keine Sorgen machen."
Wien: Ein anregendes theologisches Pflaster
Beck: "Ich kann da jedes Wort unterstreichen! Ich bin ja jetzt seit elf Jahren Priester und habe in meiner Gemeinde schon sehr früh zwei spirituelle Gruppen gegründet. Wir treffen uns alle vier Wochen und dann machen wir genau das: Einüben dieser Erfahrung. Jetzt habe ich denen erklärt, wie man Bibel lesen muss. Und ich würde sagen, dass wir die nicht von hinten lesen können, sondern von vorn: Also, die Jünger, die sind drei Jahre einem Mann gefolgt. Jetzt ist er tot. Da denken die, das war ein Betrüger, der wollte doch der Messias sein, hat er uns betrogen? Dann sitzen sie da am Wasser und fragen sich, was sie machen sollen. Fischen gehen wie zuvor? Sie fahren raus - und fangen nichts! An Land steht dann einer und fragt 'Habt ihr was zu essen?' - Der sieht ja, die haben nichts gefangen; keinen einzigen Fisch. Mit seiner Frage will er sie offenbar quälen, will herauskitzeln, ob sie einräumen, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Und dann kommt der Umbruch vom Ich zum Du: Er sagt ihnen, sie sollen nochmal rausfahren. Schließlich sind sie Fischer ihr Leben lang. Und die Netze sind voll. Das ist eine umwälzende Erfahrung, nach der sie keine nüchternen Glaubensformeln mehr benötigen..."
Um das ganze jetzt wieder Richtung Wien zu lenken: Sie haben jetzt 15 Jahre in Wien gemeinsam bzw. zeitgleich verbracht, gelebt, geforscht. Welchen Aspekt hat denn Wien in Ihrer theologischen Biografie gespielt? Kamen hier irgendwelche zusammen, Erkenntnisse, Gedanken, die Sie vielleicht in Münster oder München so nicht hätten haben können?
Beck: "Ich weiß nicht, wie Sie auf die Frage gekommen sind, aber zumindest für meine Biografie finde ich sie hochintelligent. Denn die ersten Jahre bin ich ja gependelt zwischen Wien und München. Aber mir fiel in München einfach nichts mehr ein. Ich will jetzt die Münchner nicht beleidigen - aber München ist reich und satt und in gewissem Sinne leer. Und weniger spirituell. Hier in Wien waren alle Musiker, hier waren die Künstler, hier waren die Schriftsteller. In Wien fiel mir wieder was ein. Also die letzten acht Bücher habe ich alle in Wien geschrieben. Also Wien ist meine Stadt, wenn ich das so sagen darf. Sie ist nicht zu groß, hat viel Kultur, ein schönes Umfeld. Also ich bin hier, wenn ich das so sagen darf, zur Entfaltung gekommen."
Schwienhorst-Schönberger: "Mir geht es ähnlich. Ich empfinde die Stadt und auch die Fakultät als sehr anregend, wohl auch aufgrund der Vielfalt. Ich bin ja von Münster zunächst nach Passau gekommen - eine kleine Stadt und eine kleine Universität. Das war für die ersten Jahre gut und richtig, aber dann hat es mich doch gereizt, weiterzugehen. Die größere Stadt, die Vielfalt und vor allem auch die große Universität bietet viele Möglichkeiten, aber auch das Umfeld. Das war eine wunderbare Zeit und die wird auch prägend sein für das, was jetzt kommen wird."
Damit sind wir schon ganz elegant in die Schlussrunde eingestiegen: Was wird denn noch kommen von Ihnen? Wissen Sie schon, wo es Sie hintreiben wird?
Beck: "Also ich weiß ziemlich genau, was kommt - und das hat nur zum Teil mit Wissenschaft zu tun. Ich habe mal gesagt: Gott ist ein Filou, ein Schlitzohr. Ich wollte immer Jesuit werden und wollte nie in ein Priesterseminar eintreten. Jetzt kam ich 2001 nach Wien und zog erstmal in ein Zimmer im Priesterseminar. Das wollte eigentlich nie. Und ich bin nie wieder ausgezogen. Und das nächste, was ich nie wollte: Pfarrer werden. Mein Onkel war Pfarrer. Das war das Spießigste, was ich überhaupt erlebt habe: Pfarrhäuser haben alle ungefähr denselben Geruch. Dann gibt es meistens eine ältere Haushälterin, die immer hinter der Gardine steht und schaut, was der Kaplan so alles macht. Das wollte ich nie. Und jetzt? - Schlitzohrigkeit Gottes - vor ein paar Wochen kündigte der Pfarrer bei uns plötzlich. Und so habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Schließlich fühle ich mich da ganz wohl im 5. Bezirk - und jetzt werde ich am 1. September Pfarrer. Aber eines kann ich Ihnen schwören und auch gern hier zu Protokoll geben: Ich werde kein Pfarrer wie mein Onkel... Wir werden ein wenig umbauen und dann möchte ich in unserer Kirche Veranstaltungen machen. Was über Christentum und Politik, Christentum und Wirtschaft, Christentum und Wissenschaft und meinetwegen Christentum und künstliche Intelligenz. Ich werde also im Grunde das machen, was ich an der Uni gemacht habe - nur jetzt für einen anderen Kreis. Für mich muss die Kirche im besten Sinne eine Heilanstalt sein. Wir sprechen vom Heiland. Wir sprechen von einer heilenden Religion. Alle meine Bücher handeln davon. Das haben wir aus dem Auge verloren. Du hast zu Recht gesagt, die Spiritualität haben wir aus dem Auge verloren. Und mit einer guten Spiritualität haben wir auch das Heilende drin. "
Schwienhorst-Schönberger: "Also der heilende Aspekt ist grundlegend. Denn im Grunde meint Erlösung diese Heilung und Befreiung aus einem Zustand, in dem wir unter der Herrschaft anderer fremder Mächte stehen. Das sucht im Grunde jeder Mensch. So gesehen muss Kirche offen sein für alle Menschen. Allerdings sie dann auch ernst nehmen. Sich auf diesen Transformationsprozess einzulassen. Also es geht nicht darum, dass sich das durch die Sünde kontaminierte Ich irgendein paar schöne Traditionen aneignet und dieser Wandlungsprozess ausbleibt. Und der hat natürlich auch eine gesellschaftliche Dimension. Insofern hat die politische Theologie auch recht. Nur muss dieser Prozess von innen kommen. Da sehe ich den Schwachpunkt. Denn wo man das verletzte und kontaminierte, kranke Ich durch Moral überfordert und immer sagt, was es alles tun sollte, stürzt es sich in den Aktionismus. Und dann kommen Schieflagen. Da merkt man, da stimmt was nicht. Das ist eine Ersatzhandlung. Deswegen, wie Jesus gesagt hat: Ein guter Baum bringt gute Früchte, ein schlechter Baum bringt schlechte Früchte. Die grundlegende Frage ist also nicht: Was kann und soll ich Gutes tun? Sondern die Frage, die vorausgehen muss, lautet: Wie kann ich gut werden? Und genau das haben wir auch im Dekalog, wo es heißt: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus der Sklaverei. Und die jüdische Tradition sagt: Das ist eigentlich das erste Gebot! Das heißt, ich muss mich zunächst als jemand erfahren, der diesen Befreiungsprozess zumindest anfänglich selbst erfahren hat. Und dann folgt er das 'Du sollst'. Also insofern geht es mir auch nicht darum, gegen die politische Theologie zu polemisieren, sondern sie in rechter Weise neu zu positionieren. Das wäre mein Anliegen."
Das waren sie, die persönlichen und die theologischen Anliegen von Matthias Beck und Ludger Schwienhorst-Schönberger. Vielen Dank fürs Zuhören bei diesem "etwas anderen" Podcast sagt Henning Klingen.