Apocalypse Now? - Wie Ostern, Heilsversprechen und Apokalypse zusammenhängen
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Podcast vom 3. April 2021 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
Woran denken Sie beim Begriff Apokalypse? An den Weltuntergang, die Corona-Pandemie, die Klima-Katastrophe oder an so manche Actionfilme? Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Im christlichen Kontext wird der Begriff der Apokalypse genau andersrum gedeutet - es ist ein Heilsversprechen - eine Art Hoffnungsbotschaft und Auftrag. Das erklärt der Wiener Bibelwissenschaftler und Professor für Neues Testament, Markus Tiwald:
"Auf der einen Seite haben Apokalypsen die Vorstellung einer Weltflucht an sich, weil die eigene Welt, in der man sich befindet, die eigene Gegenwart, als nicht mehr hoffnungsstiftend angesehen wird, flüchtet man sich sozusagen in gewisse Phantasiewelten. Ein anderes Moment bei solchen Erwartungen, die damit rechnen, dass Gott diese Welt gestaltet und prägt, ist, ganz einfach, dass ich sage ‚Nein, ich will mir nicht eine bessere Welt erträumen, sondern ich gestalte diese Welt‘."
"Mir ist noch wichtig, dass man unterscheidet zwischen einem Altagssprachgebrauch von Apokalyptik. Und das heißt: die Welt bricht zusammen und das paart sich nicht selten mit dualistischen Welt- und Menschenbildern. Also: Die Guten werden gerettet, die Bösen kommen in die Hölle; den Sinn der Geschichte versteht nur eine auserwählte Gruppe. Und die Geschichte läuft quasi zwangsläufig auf die Katastrophe zu. Und das verbindet sich dann bei manchen Menschen mit so einer Art spürbarer Angstlust. Und das ist eine andere Apokalyptik als die, die wir in der christlichen Tradition kennen. Die hat nichts am Hut mit Geheimwissen, nichts mit einer Trennung von ‚die Guten und die Bösen‘, sondern da ist die Rettung allen zugesagt. Es gibt auch kein fixes Enddatum, wann die Welt untergeht, sondern diese Texte werden eigentlich geschrieben, um die negative Apokalyptik zu unterlaufen. Die Welt wird hier als im Grunde gut anerkannt, der Menschheit wird zugesagt, dass sie geliebt ist und auch das Gericht Gottes dient nicht der Zerstörung, sondern der Rettung und Heilung. Aber apokalyptische Texte machen trotzdem Angst. Das wäre dann die notwendige Angst, die man manchmal braucht, um den Ernst der Lage und der Situation zu erkennen."
Die katholische Wiener Pastoraltheologin Regina Polak unterscheidet zwischen der alltagssprachlichen Apokalyptik und der biblischen. Wenn man die Apokalyptik des Christentums, des Neuen Testaments und die Endzeiterwartung von Jesus Christus versteh will, muss man sich aber auch in die Welt von Jesus Christus hineinbegeben und damit in die apokalyptische Haltung des damaligen Judentums und dem Umbruch durch die einbrechende Hellenisierung durch Alexander den Großen, meint Markus Tiwald – der einen kurzen historischen Einblick gibt.
"Und das hat dann in Folge auch bedeutet, dass die früheren Machtblöcke in Persien und auf der anderen Seite in Ägypten hellenisiert worden sind, also der griechischen Kultur anheimgefallen sind. Nach dem Tod von Alexander dem Großen haben in Ägypten die Ptolemäer geherrscht, und in dem Verband, der früher das persische Großreich gewesen ist, sind das die Seleukiden gewesen. Und diese beiden rivalisierenden Diadochenreiche haben den Großteil ihrer Konflikte auf dem Boden von Palästina ausgetragen. Also Palästina ist da dazwischen zur Pufferzone geworden. Und das, was wir hier von Israel erhalten geblieben haben, hat eigentlich eine Schaukelpolitik zwischen Ptolemäer und Seleukiden durchgeführt und hat eigentlich in dieser Hoffnungslosigkeit, die es hier gegeben hat, kein eigenes Reich zu haben und keine eigene politische Perspektive zu haben, auch keine religiöse Unabhängigkeit zu besitzen. In dieser Hoffnungslosigkeit entwickelt sich die Hoffnung auf die Apokalyptik."
Apokalyptik: eine Art Krisenphänomen
"In Zeiten, in denen es Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit gibt, hofft man darauf, dass Gott eingreifen würde. Man erwartet nicht mehr vom irdischen Verlauf dieser Welt Heil, sondern man erwartet, dass es eine Endzeit geben wird und dass Gottes Heil in dieser Endzeit errichtet werden würde."
Man kann die Apokalypse auch als den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Formen und Normen verstehen – dieses Phänomen sei in Europa bereits bekannt, sagt die Wiener Theologin Regina Polak. Sie verweist etwa auf die Schrecken des Zweiten Weltkrieg, die Schoah und die damit einhergehende Massenvernichtung von Menschen:
"Das ist ein kulturelles Wissen, das uns in Europa zutiefst geprägt hat und wo wir gelernt haben oder gelernt haben sollten, wozu Menschen fähig sind. Und wenn man jetzt diesen Zivilisations-Zusammenbruch des 20. Jahrhunderts nicht als Ausrutscher in der Geschichte betrachtet, sondern so wie das einzelne Philosophen und Soziologen tun, als eine Folge einer bestimmten Kultur der Moderne, die auf die Verbesserung und Optimierung des Menschen durch Technik, durch Wissenschaft und Politik setzt, dann kann man mit Blick auf heute möglicherweise auch sagen, dass die Krisen, mit denen wir es heute zu tun haben, in vielerlei Hinsicht auch Menschen verursachte Krisen sind und etwas mit unserer Zivilisation, wie wir mit unseren Formen, mit Politik, mit Technik, mit Wissenschaft umzugehen, zu tun haben. Insofern haben wir da eine Apokalypse im Sinne des Zusammenbruchs der Gesellschaft, der Zivilisation wie wir sie kennen, hinter uns. Und das macht wahrscheinlich, wenn man das weiß, nochmal mehr Angst, wenn man heute Entwicklungen sieht, die das Humanum und das Überleben der Menschheit bedrohen."
Die apokalyptischen Haltungen und Erwartungen der biblischen Zeit sind dabei nicht nur negativ gewesen, erklärt Markus Tiwald,
"(…) sondern es ist die Hoffnung damit gewesen, dass die Widersacher vernichtet werden und die eigene Sache gerettet wird. Damit kommen wir mit der apokalyptischen Erwartung in einen gewissen Dualismus hinein: Es gibt die Gerechten und es gibt die Ungerechten. In den Texten von Qumran - Zeitgenossen Jesu - einer Gruppierung innerhalb des damaligen Judentums, die 150-prozentig hier gewesen sind, sehr, sehr streng, aber auch sehr, sehr exklusiv nur für sich selber in Anspruch genommen haben, das Heil zu erwarten. Diese Gemeinschaft von Qumran unterscheidet hier in ihren Handschriften zwischen den Söhnen des Lichts und den Söhnen der Finsternis und erwartet einen gewaltigen endzeitlichen Krieg, wo dann die Kräfte des Lichts den Sieg davontragen würden und die Kräfte der Finsternis vernichtet werden."
Jesu lebensbejahende Naherwartung
Auch Jesus hatte eine Naherwartung, die aber im Gegensatz zu Qumran oder auch Johannes den Täufer nicht negativ und nicht nur vernichtend für die Gegner war, sondern auch hoffnungsvoll:
"Wenn man Jesus jetzt mit der Gruppierung von Qumran vergleicht, die sich ganz streng abgeschottet haben, in die Wüste gegangen sind, um sich hier ganz strikt von aller Unreinheit in Israel abzuschotten und auf den Anbruch des Königreiches Gottes zu warten, geht Jesus den umgekehrten Weg. Er verlässt die Wüste, wo Johannes getauft hat, und kehrt zurück in das fruchtbare Galiläa. Er ist wie der gute Hirte, der den verlorenen Schafen nachgeht, und er braucht sich nicht zu fürchten vor der Unreinheit dieser Welt, denn wenn Gott mit ihm ist, dann steckt er die Lahmen, die Aussätzigen, die Huren, die Zöllner, die Sünder an mit seiner heilenden Berührung. Und das dann auch Auswirkungen auf die Mahlpraxis Jesu, dass er auch die Ausgestoßenen, die Randgruppierungen und die Marginalisierten an seinen Tisch lädt und mit ihnen gemeinsam ein Festmahl feiert, weil er sagt ‚Gott berührt alle, Gott steckt alle an‘ mit dieser Heiligkeit, mit dieser Versöhntheit des anbrechenden Gottesreiches."
Für Markus Tiwald ist diese Form des Optimismus heute in der Kirche dringend gefragt, vor allem wenn es um den Umgang mit sogenannte Sünderinnen und Sündern geht:
"In der Kirche werden die Sünder ja gerne ausgeschlossen, seien es jetzt wiederverheiratete Geschiedene oder alle möglichen Leute, die nicht in die rigide Moralvorstellung der katholischen Kirche passen. Bei Jesus ist es ein anderer Weg. Er lädt alle ein und sagt ‚Gott heiligt alle. Er berührt alle‘. Nicht, weil Jesus die Sünde nicht sieht, die sieht er sehr wohl. Aber er sagt, Gott ist größer als der Sünde und Gott besiegt auch die Sünde. Und indem Gott unsere Herzen berührt, heilt er auch die Menschen. Das ist eine enorme zuversichtlich Jesus hier teilt und die er mit seinen apokalyptischen Erwartungen verbindet. Also diese Erwartungen, die Jesus hat, passen ausgezeichnet in das breite Spektrum des damaligen Judentums, aber sie sind auch sehr individuell jesuanischen zugespitzt - gerade in seiner Sorge für die Armen, für die Ausgegrenzten, für die Randgruppen der Gesellschaft. Da setzt Jesus auch sehr markante eigene Akzente."
Die Apokalyptik der Bibel ist ein Hoffnungstext, meint Polak. Dazu gehört aber auch, dass Katastrophen oder Bedrohungen nicht gehübscht oder verschleiert werden. Nicht das Happy End sei das Ziel, sondern die Reflexion:
"Die Hoffnung, die da drinnen steckt, ist, dass wir solche Apokalypsen schon einmal erlebt haben - also dramatische, katastrophale Lebenssituationen in der Geschichte - und dass wir oder das Volk Israel nach dem Zeugnis der Bibel ja immer wieder herausgeholt worden sind. Und dass diese Texte zusagen, wenn Menschen umkehren, wenn Menschen bereit sind zur Selbstkritik, wenn Menschen bereit sind zur Kritik der Umstände, der Verhältnisse, in denen sie leben, und wenn sie selber hier auch ihr Vertrauen auf Gott setzen, dann ist es möglich, auch in den katastrophalen Situationen Auswege, Lösungen und Zukunft zu finden. Diese Grunddynamik aufgrund der Erinnerung - jetzt quasi zur Umkehr aufgerufen zu werden und die Zusage, dass man aber etwas ändern kann aus eigener Kraft und getragen von der Hilfe Gottes - halte ich für ein sehr großes Hoffnungspotenzial, das in diesen Texten drinnen steckt."
Corona und Apokalyptik
Auch die seit einem Jahr weltweit grassierende Corona-Pandemie kann im Licht der christlichen Apokalyptik betrachtet werden, meint die Pastoraltheologin Regina Polak:
"Und das ist eigentlich eine Zusage, dass Gott an unserer Seite ist und wir mit seiner Hilfe auch solche Situationen oder geschichtliche Herausforderungen - wie die jetzt dieser Corona-Pandemie - bewerkstelligen können. Also da steht für mich außer Frage, dass hier auch ein Anknüpfungspunkt ist."
Für Markus Tiwald, der nicht nur Theologe, sondern auch ausgebildeter Psychotherapeut ist, sind die Corona-Ängste bis hin zu Verschwörungstheorien auch ein Zeichen dafür, dass es schwer ist, die Unsicherheiten des Lebens auch auszuhalten – die Kirche wiederum hat dadurch die Aufgabe Fragen zu beantworten und die Welt besser zu machen:
"Also aushalten zu können, dass wir nicht alles wissen, dass wir nicht wissen, wie diese Krankheit weiter mutiert, dass wir auch im Letzten nicht wissen, wie sie zustande gekommen ist. Da ist es immer leichter, sich in eine Fantasiewelt, die scheinbar logisch ist, aber von außen gesehen diesen Ansprüchen wissenschaftlich haltbar zu sein, nicht standhält. Und da denke ich mir, müssen auch Religionen immer sehr, sehr stark aufpassen, dass sie keine illusorischen Antworten auf Menschen geben. Religion wird danach bemessen werden, wie sehr sie diese Welt zum Besseren gestaltet. Religion erschöpft sich natürlich nicht darin, dass wir nur fragen, wie wir diese Welt zum Besseren gestaltet, sondern wir haben natürlich auch die Hoffnung, dass alles das, was unserem schwachen menschlichen Wollen und Tun nicht geglückt ist, dass Gott das Ganze auch noch erfasst, das menschliche Scheitern auch noch einmal unterfasst und in eine größere Weite führt. Aber wir selber müssen uns auch bemühen, in dieser Welt selber tätig zu werden, so wie Jesus das ja auch tut - er gestaltet ist die Welt verändern sie."
Appell zum Durchhalten
Die apokalyptischen Texte der Bibel appellieren damit nicht an eine naive Hoffnung, sondern an das Durchhaltevermögen der Menschen – letzteres bräuchten wir speziell bei der Beseitigung der Corona-Folgen – sagt die Theologin und Migrationsforscherin Regina Polak:
"Hoffnung heißt für mich, aus einer christlichen Tradition heraus, auch in schwierigen Zeiten die Orientierung am Guten und an Gott nicht zu verlieren. Das heißt, diese Texte geben Durchhaltevermögen, geben Kraft und geben auch durch den Glauben an Gott die Möglichkeit, sich zu distanzieren. Also wenn ich Probleme dieser Größenordnung lösen will und wir werden sie lösen müssen, und ich gehe vollkommen darin auf, dann kann mir da ganz rasch mal die Luft ausgehen. Der biblische Glaube in diesem Horizont und die apokalyptischen Texte nochmal genauer ermöglichen mir den Zugang zu Kraftquellen, die in dieser Tradition drinnen stecken."
Die eschatologische Dimension der Apokalyptik – also die Lehre von den sogenannten letzten Dingen und dem Anbruch einer neuen Welt – ist den Gläubigen aber auch der Kirche kaum noch vertraut; die versprochene Rettung und Erlösung durch Gott ist nicht mehr präsent:
"Da gibt es eine gewisse theologische Amnesie, also eine Vergessenheit über diese Tradition. Und die würde uns sowohl gesellschaftlich, politisch natürlich wirklich sehr gut tun, weil gerade die Kirche offensichtlich in einer massiven Krise drinnen steckt - Stichwort Deutschland, aber es betrifft ganz Europa. Eine solche Kirche braucht natürlich auch eine Verwandlung und braucht auch die Zuversicht, dass sie aus dieser Krise wieder rauskommen kann. Das passiert natürlich nicht von sich selbst; sondern Hoffnung, so wie sie jetzt apokalyptische Texte vermitteln, sind untrennbar immer auch mit Handeln verbunden. Es genügt nicht, ein Gefühl quasi ‚Ja, das wird schon wieder alles gut‘. Das sagt uns auch Gott nicht zu, ohne nicht doch zugleich uns dazu zu befähigen, zu ermutigen, aber auch zu verpflichten, etwas dafür zu tun, damit man aus diesen Krisen herauskommt."
Es liegt an den Pfarrgemeinden, Gemeinschaften und Ordensgemeinschaften, die eschatologisch-apokalyptische Perspektive zu verinnerlichen und den eigenen Glauben dahingehend zu vertiefen – dazu gehöre es auch die Sorgen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen – nicht gefragt sei ein peinliches Schweigen oder ein Hoffnungs-Zuckerguss - so die Theologin Regina Polak:
"Sondern dass man auch riskiert, genau hinzuschauen. Stichwort Verschwörungsmythen beispielsweise. Oder Menschen, die aufgrund dieser apokalyptischen Angst, die unsinnigsten Dinge glauben. Dass man das mit dem seelsorglichen Auge mal betrachtet und darin erkennt, dass sich hinter diesen apokalyptischen Ängsten gleichzeitig eine tiefe Sehnsucht nach Sinn, eine tiefe Sehnsucht nach Befreiung, die Sehnsucht nach einem anderen Leben in einem alternativen Leben widerspiegelt. Und auf das wäre ganz wichtig einzugehen, das beim Namen zu nennen, mit den Menschen darüber in ein Gespräch zu kommen. Also es geht nicht darum, diese negative apokalyptischen Ängste noch zu unterstützen. Aber es gilt, sie ernst zu nehmen, nach den Ursachen zu suchen und miteinander etwas zu tun. Und das sind die Aufgaben, die kann ein Mensch alleine nicht lösen. Und die Stärke ist, dass das Christentum immer in Gemeinschaften organisiert war und ist. Und in solchen solidarischen Gemeinschaften, glaube ich, ist der beste Ausdruck einer gelebten Apokalyptik."
Das war Diesseits von Eden – vielen Dank fürs Zuhören sagt Franziska Libisch-Lehner – abonnieren sie unseren Podcast oder Empfehlen sie uns weiter.