Halleluja! - Die (neue) Lust am Worship
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Podcast vom 20. Juni 2021 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum, /
lobt ihn in seiner mächtigen Feste!
Lobt ihn für seine großen Taten, /
lobt ihn in seiner gewaltigen Größe!
Mit dem Psalm 150 begrüßt sie Franziska Libisch-Lehner zu einer neuen Ausgabe von "Diesseits von Eden". In dieser Folge dreht sich alles um die Begeisterung beim Gebet, den Worship und Lobpreis.
"Zum ersten Mal in Berührung gekommen bin ich damit, glaube ich, als ich so Anfang 20 war, war ich auf einer Interrail Tour und in Schweden war da eine lobpreist Gemeinde und aus Neugier an den Urlaub. Ich habe damals Straßenmusik gemacht, dann hab ich mir einen Tag frei genommen und habe die besucht. Und ich glaube in meiner Erinnerung, dass das tatsächlich der erste Lobpreis-Gottesdienst war, den ich in meinem Leben gesehen habe."
Religionswissenschaftler Martin Rötting über seinen ersten Worship-Gottesdienst Mitte der 90 Jahre – rund zwei Jahrzehnte davor, war es auch die Welt des evangelischen Theologen Wilfried Engemann, Universitätsprofessor für Praktische Theologie und Religionspsychologie an der Uni Wien. Das, was er damals erlebte, erleben seine Studierenden heute noch in ähnlicher Form, sagt er.
"Einzutauchen in eine heile Welt, in der alles stimmt und in der sie die Welt da draußen auch eine Zeit lang vergessen können. Also die Theologen würden dann vielleicht von einer Art nicht mehr vorhandener Distanz zu dem, was Menschen in einem Gottesdienst tun, sprechen."
Meditation, Stille, Gemeinschaft im Mittelpunkt
Lobpreis und Anbetung sind besondere Formen des Gebetes und Ausdruck des christlichen Glaubens. Seit dem Urchristentum sind diese Gebetsformen Bestandteil des Gottesdienstes aller Konfessionen. Die Phänomene der Trance, der Hingabe und der Weltvergessenheit sind nichts Neues in Religion und Mystik. Sie alle sind Teil der Geschichte der Gottesdienst-Formen, Teil des Lebens und der ganz praktischen Religiosität, informiert der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien, Wilfried Engemann:
"Deswegen gibt es in der Geschichte der christlichen Religion immer wieder Gottesdienste, wo nicht irgendwelche Sachverhalte ventiliert werden, christliche Lehre erörtert wird, sondern wo Meditation, Stille, aber auch fröhliche Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen, ohne dass das durch liturgische Formen amtskirchlich strukturiert wird."
Neu ist das Phänomen Worship also nicht, sagt auch der Innsbrucker katholische Dogmatiker Willibald Sandler. Neu daran ist vor allem der Umgang damit:
"Es ist so wie immer: für eine große Mehrzahl von Christen und der Bevölkerung ist es neu; was dadurch kommt, dass das eigentlich Neue ist, dass in einer Weise darauf reagiert wurde wie bisher nicht, z.B. auch von der universitären Theologie - wurde es bislang mehr ignoriert; dann hat man die Pfingstbewegung im Allgemeinen entdeckt und behandelt sie wegen des starken Wachstums und einer zunehmenden Rezeption, die auch von verschiedenen Bistümern und Bischöfen herkommt."
Als Vorreiter nennt der Innsbrucker Theologe zum Beispiel Kardinal Christoph Schönborn. Der Wiener Erzbischof hat die 1987 gegründete Loretto Gemeinschaft - eine katholische Bewegung mit sogenannten "Geistlichen Zentren" in Wien, Salzburg, Linz und Graz – bereits als Weihbischof unterstützt und gefördert:
"Entzündet von Medjugorje, total auf katholischer Linie, irgendwo gemerkt haben ‚Wir haben Feuer und wollen das weitergeben. Wir brauchen eine Ausbildung dafür. Wir brauchen eine Schulung‘. Sie haben nicht gewusst, wo und wie und sind zu dem damaligen Weihbischof Schönborn hingegangen. Und der hat dann - und es ist schon bemerkenswert und ziemlich mutig und langfristig auch klug, glaube ich - gesagt ‚Ja, wirklich gut, das haben wir eigentlich nicht im katholischen Feld. Geht's zu einer Jüngerschaft Schule von Jugend mit einer Mission‘. Und die sind dann dorthin gegangen, haben dort sehr starke evangelikale und charismatische Impulse gebracht. Und das Eigenartige ist, dass sie das verbinden konnten mit Marianischem und Medjugorje, wo man von der Geschichte her sagen muss: das war das totale Anti-Bild von den Erneuerungsbewegungen, die aus dem evangelikalen Umfeld kommen."
Charismatisch, evangelikal, katholisch
Charismatisch-evangelikale Bewegungen bringen für die Katholische Kirche auch Anstöße und neue Möglichkeiten mit, sagt der Autor des im September herauskommenden Fachbuches "Charismatisch, evangelikal und katholisch: Eine theologische Unterscheidung der Geister". Ihre Stärke liegt etwa in der Kultur der Präsenz der Gotteserfahrung.
"Ich denke, dass charismatisch-evangelikale Bewegungen eine Chance sind für katholische Kirche in der Weise, in der Weise, dass sie Erfahrungen und eine Kultur der Präsenz von Gotteserfahrung hineinbringen. Das ist eine Stärke. Das fehlt oft im Katholischen und dann wird vieles, was christliches Leben ist, irgendwie abstrakt, weil ein Moment von Erfahren und Erleben fehlt, von dem, wie großartig es ist, dass es ein Gott gibt, der dich liebt."
Eine Gefahr bemerkt der Innsbrucker Dogmatiker Sandler jedoch in puncto eines "Präsenz-Hypes" und dem Abkappen negativer Erfahrungen:
"Dass man nicht sofort einen Zuckerguss drüber gibt; dass sofort das alles in eine durchgehende Präsenz-Erfahrung gebracht wird, dann ist das so ungefähr, wie wenn der Priester sagt: 'Die kleinen Kinder müssen auch was kriegen, die kriegen ein Zuckerl zuerst und später dann die Kommunion'. Das bringt alles durcheinander. Denn es ergibt sich daraus die Erfahrung: die Erstkommunion ist ein 'Rückschritt'. Jetzt kriege ich kein Zuckerl mehr ... Es braucht also eine Schwarzbrot-Spiritualität, die wachsen muss. Und da gibt's eine lang gewachsene Erfahrung von Nüchternheit im Sakramentalen. Und wenn Nüchternheit und Trunkenheit zusammengehen, dann kann eine Form von nüchterner Trunkenheit entstehen, die kann einen wirklich wachsen lassen, ohne dass man abhebt."
Engemann: Religion als Lebensgestaltung
"Wir werden auch durch Religion nicht davon suspendiert, als wir selbst auf der Welt zu sein. Im Gegenteil: wenn es gut geht, trägt Religion dazu bei, dass ich durch Religion besser mein Leben gestalten kann. Aber das entbindet mich nicht davon, die Außenwelt, das Leben, Probleme, Schwierigkeiten wahrzunehmen und zwar in ihrer wirklichen Herausforderung. Und sie nicht nur dazu zu instrumentalisieren, um die Siege Gottes zu preisen."
Es geht in der Religion um den Menschen als Menschen mit all seinen Wünschen, Sorgen und Herausforderungen, betont der evangelische Theologe Wilfried Engemann, der vor allem vor einer Simplifizierung menschlicher Emotionen und Nöten warnt. Emotionen haben aber durchaus Platz bei charismatischen Bewegungen, weist der an der Uni Salzburg lehrende Religionswissenschaftler Martin Rötting hin. Sein Aber: Das rationale Durchdringen ist in solchen Gruppen oft weniger wichtig als das Gefühl des "sich fallen Lassens":
"Das kann man kritisch sehen, wenn man den Anspruch einer theologischen Reflexion hat. Es ist immer die Frage, wie mit diesen Emotionen umgegangen wird. Also in dem Moment, in dem jemand sich emotional in etwas reinfallen lässt, wird er auch vulnerable. Immer wenn ich mich verliebe, bin ich sozusagen vulnerabel. Dort wird sich verliebt, so wird es ja auch oft tatsächlich wörtlich genannt, in Jesus, in eine Heilsfigur oder in Gott über Jesus. Und diese ganz persönliche Beziehung lässt natürlich auch eine rationale Kritik nur bedingt zu. Also eine theologische Tradition, die z.B. bestimmte Aussagen von Jesus im Kontext kritisch sieht, weil sie eben die Verfasserschaft hinterfragt usw. - etwas völlig Normales in der Theologie und auch notwendig - wird dann eben von Menschen, die gerade in dieser Phase sind - es ist nicht deren Thema. Deren Thema ist eher wie hilft mir das, was mir gesagt wird, im konkreten Leben weiter?"
Suche nach einem religiös-spirituellen Navigationssystem
Diese Emotion ist auch eine von vielen Gemeinsamkeiten von charismatisch Begeisterten – was in weiterer Folge auch zu einer gemeinsamen Identität und einer gemeinsamen "Sinn-Landkarte" für das religiös-spirituelle Navigationssystem von Menschen führt, erklärt Martin Rötting:
"Die wir für unser Spiritualitäts-Navigationssystem verwenden, in der dann eben drei Aspekte vorkommen: Also ich habe eine Gruppe, zu der ich mich zugehörig fühle. Es gibt dort Musik, die mich anspricht und es gibt eine versprochene Möglichkeit einer sehr persönlichen Beziehung zu Gott über Jesus, die eben ausgedruckt wird durch die Art des Workshops, Gebete, die sehr, sehr, sehr typisch sind, die den Körper mit einbeziehen, die eine ganz starke, intensive Liebe zu Jesus immer wieder zum Thema machen und Hingabe. Und ich glaube, dadurch beginnt dann die Identitätsstiftung."
Diese "Sinn-Landkarte" bildet auch die spirituelle Identität von Menschen, die immer weniger von traditionell "kirchlichen Sinn-Landkarten" angesprochen werden – da sie schlicht nicht alle aktuellen Fragen der Menschen beantworten können. Es braucht also Alternativen, sagt der Religionswissenschaftler.
"Und dann entstehen Patchwork-Identitäten, eben eine Zusammenfügung verschiedener Sinn-Strukturen. Das muss jeder von uns machen, weil wir in einer pluralen Welt leben. Und die Sinn-Strukturen dieser Communitys zeichnen sich eben durch die drei Aspekte aus und dadurch entsteht deren eigene Lebens-Navigation, also eine Art Navi, der sich updated durch das, was in dieser Community geschieht, aber eben auch durch das Verhältnis zu anderen. Das ist gleich wie in allen anderen Spiritualitäten, aber was sich bei denen auszeichnet ist, dass ihre Sinn-Landkarte so eine Art kleinen Absolutheitsanspruch bekommt. Also die schaffen nicht nur die große Erzählung der Religionen wie früher. Das geht gar nicht mehr in einer pluralen Welt, aber sie kreieren so etwas wie eine gewisse 'heile Welt', wo dann gesagt wird ‚So musst du Jesus leben und nicht anders‘ - und in dem Moment kann es eben kippen, weil die Identität dann auch eine Ausgrenzung wird. Also, dass man dann sozusagen mit einer Art Mitleid auf die anderen Menschen schaut, ‚sie können Jesus noch nicht so lieben, oder? Dieses und jenes ist noch nicht perfekt."
Versunken in die Anbetung
"Hier muss ich mich nicht erklären. Hier spielt es keine Rolle, woher ich komme und welche sozialen Voraussetzungen oder Kontexte mich geprägt haben. Hier bin ich einfach nur einer unter vielen. Versunken in die Anbetung."
Der evangelische Theologe Wilfried Engemann weist damit auf den gemeinsamen Erfahrungsschatz charismatischer Bewegungen hin. Die Gefahr lauert jedoch in der Geschlossenheit, da andere – also Außenstehende – diese Erfahrung der Hingabe nicht teilen oder teilen können, warnt der Religionswissenschaftler Martin Rötting:
"Also eine Art geschlossene Community, die dann eben auf einen bestimmten Prediger, auf ein bestimmtes Set von Songs, auf eine bestimmte Art des Worship fixiert ist und sich schwer tut mit anderen Formen der Spiritualität. Das heißt nicht, dass ich sage alle Menschen, die zu diesen Gruppen gehören, sind so. Aber es gibt diese Möglichkeit, dass es sich so entwickelt. Und das ist natürlich dann schwierig, weil dann diese Gruppierung einen Sonderweg geht, beispielsweise auch im breiten Spektrum der verschiedenen katholischen Spiritualitäten, wenn sie sich um eine katholische Bewegung handeln würde, gehen sie einen Sonderweg. Und je mehr der 'sonder' wird, desto mehr wird er für die anderen eventuell auch sonderbarer. Das heißt, nicht mehr zu verstehen. Man kann nicht mehr damit andocken. Und dann an der Stelle geschieht es, dass von außen wahrgenommen wird, dass es ja keine rationale Reflexion mehr gibt. Das ist dann natürlich irgendwann ein Problem, weil sich die Leute dann wirklich absondern würden. Normalerweise kann man solchen Dingen gegensteuern. Da ist die Frage, ob die Gründer oder die Initiatoren, die Träger einer Bewegung das wollen."
Damit endet eine Folge "Diesseits von Eden" – vielen Dank fürs Zuhören sagt Franziska Libisch-Lehner – abonnieren sie unseren Podcast oder Empfehlen sie uns weiter.