Zukunftsmusik oder Abgesang? Wohin führt der Synodale Prozess die Katholische Kirche?
Foto: Kathpress / Paul Wuthe
Podcast vom 9. September 2024 | Gestaltung: Johannes Pernsteiner (Kathpress)
Wir befinden uns jetzt im Linzer Priesterseminar, wo gerade von der Öffentlichkeit wenig bemerkt, ein äußerst hochrangiges Treffen stattgefunden hat. 43 Kirchenvertreter und Vertreterinnen, Kardinäle, Bischöfe, Ordensleute, Theologinnen und Theologen aus ganz Europa, die an der Welt Bischofssynode im Oktober teilnehmen werden, haben im Vorfeld dieses wohl wichtigsten kirchlichen Ereignisses drei Tage lang hier beraten. Es ist mir eine Ehre, hier die Organisatoren dieses Workshops begrüßen zu dürfen.
Zuerst Frau Professor Klara Csiszar, Pastoraltheologin mit rumänisch ungarischen Wurzeln und Theologie-Dekanin der katholischen Privatuniversität Linz; bei der Bischofssynode, dabei als von Papst Franziskus ernannte theologische Expertin. Als zweites Frau Professor Myriam Wijlens, ein aus den Niederlanden stammende Kirchenrechtlerin in Erfurt und bei der Bischofssynode Konsultorin. Sodann den Erzbischof von Belgrad, Ladislav Nemeth, der zudem auch Vizepräsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen ist.
Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für ein gemeinsames Resümee der vergangenen drei Tage und auch einen Ausblick auf die Synode genommen haben. Und darf ich Sie zum Einstieg gleich um Ihren Gesamteindruck dieser drei Tage bitten? Im Vorfeld hat es geheißen, das Linzer Treffen der europäischen Synodenteilnehmer wird ein wichtiger Schritt hin zur Synode sein. Hat es das Ziel der Synode tatsächlich ein Stück näher gebracht? Was denken Sie?
Csiszar: Wir wollten einen Raum öffnen, um die Vertreterinnen und Vertreter von Europas Ortskirchen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das ist gelungen - und wir haben gemerkt, wie schnell so ein Gespräch eine familiäre Note bekommen kann. Egal ob Bischöfe oder Professoren, haben wir alle auf gleicher Augenhöhe gesprochen, besonders in den Kleingruppen. Auch die Rückmeldungen deuteten darauf, dass die Synodenteilnehmer schon einen weiten Weg hinter sich gelegt haben, von Prag nach Rom und nun nach Linz.
Sie haben die besondere Methode der Kleingruppen erwähnt. Wie kann man sich diese Gespräche vorstellen?
Wijlens: Wichtig war die Zusammensetzung der Gruppen. Wir haben dabei versucht, dass die Anwesenden nicht in ihrer Muttersprache sprechen konnten und durch dieses gewisse Handicap aus ihrer Komfortzone geholt wurden. Zudem waren in jeder Gruppe Menschen aus Ost- und aus Westeuropa, aus Nord- und Südeuropa. Das ist entscheidend, merke ich an meiner eigenen Biografie. Ich bin Niederländerin, habe lange im westdeutschen Münster gewohnt und bin jetzt schon wieder fast 20 Jahre im ostdeutschen Erfurt. Die Geschichte ist eine andere, die Verletzungen und Wunden sind anders und auch die Fortschritte, die man machen möchte. Beim Treffen in Linz ist sehr klar geworden, dass wir einander zuhören müssen - und wir haben gemerkt, man will es auch. Wir haben eine wichtige Aufgabe für Europa und können den Weg nur dann gemeinsam gehen, wenn wir einander vertrauen. Dafür braucht man wiederum Begegnung. Man muss sich persönlich kennenlernen, um sich dann auch öffnen zu können. Das gelang in den Kleingruppen, deren Ergebnisse dann im Plenum geteilt wurden. Das war unglaublich bereichernd.
Können Sie noch konkreter anhand von Beispielen schildern, wie das gelungen ist?
Nemet: In meiner Gruppe gab es je drei Personen aus dem früheren Ostblock und aus westlichen Staaten. Unser Gespräch war sehr gut, wahrscheinlich auch deshalb, da wir weniger waren als in Rom, wo jede Gruppe aus zwölf Personen bestand. Jeder kam mehr zum Reden, und nach den drei vorgesehenen Runden legten wir noch eine vierte Runde ein, bei der wir gegenseitige Fragen beantworteten. So kamen auch Ängste und fehlendes Vertrauen zur Sprache und, dass wir oft zwar von der gleichen Sache sprechen, jedoch mit unseren Worten etwas ganz anderes meinen. Es war gut zu hören, wie total verschieden wir sind. Wir aus ehemals kommunistischen Ländern kennen aus unserer Geschichte Schwierigkeiten mit dem Staat, der Polizei und Geheimpolizei, weshalb wir Vorgesetzten oft misstrauen, Offenheit in Gesprächen oft scheuen und Ängste vor größerer Demokratie haben. Zugleich haben wir gehört, wie die Menschen in westlichen Ländern leiden, dass ihre Kirchen fast leer sind und ihre Bemühungen keine Resultate erzielen, obwohl sie sich so abmühen, beten und alles gut und gewissenhaft tun. Das muss man auch annehmen, muss es schätzen und Solidarität zeigen, statt zu kritisieren, wie es sonst oft in Zentral- und Osteuropa geschieht.
Gibt es bei aller Verschiedenheit auch gemeinsame europäische Positionen, auf die Sie sich einigen konnten?
Nemet: Ja, die gab es, und es war angesichts unserer 39 Bischofskonferenzen in 40 Staaten und mindestens 50 Sprachen Europas eine große Freude, solche gemeinsamen Punkte zu entdecken. Dass wir gemeinsame Projekte machen und gemeinsam an die Zukunft Europas denken, ist eigentlich schon ein Wunder für sich. Zentral ist, dass wir alle bewusst unsere Taufe leben wollen - das ist das große Credo, das uns eint und uns führt.
Csiszar: Langsam bekommen wir auch ein Gespür dafür, was es heißt, Kirche in Europa zu denken und den Blick auch darüber hinaus zu weiten, statt in den Ortskirchen gefangen zu bleiben. Europa ist ein Kontinent der Vielfalt, und jeder ist in diesem Ringen eine eigene Farbe. Wir setzen diesen Weg fort, auf dem innerhalb ganz kurzer Zeit wichtige Schritte getan haben. Denn es besteht der Konsens, dass die Synode nicht in Rom endet, wie es klingen mag. Vielmehr soll es ein Aufbruch in eine hoffentlich gute Zukunft der Kirche sein, in eine Reziprozität des Lokalen, Regionalen und Globalen, in der jeder und jede ein wenig aus seiner Bubble heraustritt und sich darum bemüht, den anderen zu verstehen.
Wijlens: Nicht um Synodalität geht es letztlich, sondern darum, dass die Kirche und die Christen ihre Sendung ausüben. Synodalität ist nur das Mittel dazu, eine Hilfe, als ein anderer Stil - erst recht in einer Kirche, die in Europa müde, alt und ehrwürdig geworden ist. Biblische Bilder helfen uns hier weiter: Etwa, dass man im jungen Alter seine Wege selbst bestimmte, im Alter jedoch geleitet und geführt wird auf Wegen, die man selbst nicht erahnt hat. Oder auch, dass Jesus die müde vom erfolglosen Fischfang zurückehrenden Jünger auffordert, die Netze anders auszuwerfen statt immer die gleichen Methoden noch intensiver als bisher anzuwenden. Wie können wir also neue Wege gehen? Europa hat früher große Missionserfolge gesehen, mit großen Kongregationen, die in die Welt gezogen sind. Heute sind die Kirchen in Afrika, Südamerika, Asien viel lebendiger, und die Frage ist: Was können wir von denen lernen und uns gegenseitig befruchten? Gerade in diesen drei Kontinenten gab es eine unglaublich intensive Vorbereitung auf die Synode. Schon deshalb war es wichtig, auch in Europa ein solches Vortreffen zu organisieren.
Nemet: Der Unterschied zum ersten kontinentalen Europa-Treffen in Prag im Vorjahr war diesmal, dass es kein von Rom verordneter Pflichttermin war, sondern von einem engagierten Team organisiert wurde und alle, die kamen, freiwillig hier waren. Jedem spürte man hunderprozentige Überzeugung an, dass dieses Kommen wichtig war. Spürbar war auch ein neues europäisches Selbstbewusstsein, dass man nicht mehr ängstlich darüber spricht, was hier schlecht läuft, sondern es gibt auch Stolz auf das, was wir in 2.000 Jahren auf die Beine gestellt haben und auch jetzt noch tun können, denn große Kapazitäten, um auch anderen etwas anzubieten, haben wir noch immer, trotz nachlassender Lebendigkeit. Die Gespräche waren sehr ehrlich und mit großem Vertrauen, dass es unter uns bleibt und nicht gleich kolportiert wird. Gut, dass nicht so viel Presse dabei war.
Sie haben jetzt schon mehrmals das Treffen in Prag vom Februar 2023 angesprochen. Damals kam man abschließend überein, dass man sich nicht einig ist. Sind Sie jetzt schon weiter?
Wijlens: Prag war trotz allem ertragreich und interessant, auch für die Außenwelt. Ich erhielt die Einladung, vor den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaftern der europäischen Länder einen Vortrag über das damalige Treffen zu halten. Der Grund war, dass man sich fragte: Wie haben die das geschafft, innerhalb von drei Tagen ein Dokument für ganz Europa zu verabschieden und mit ganz Europa zu schreiben, wenn wir das in Brüssel nicht schaffen? Ich denke, da wird eine Aufgabe der Kirche angesprochen: Wenn wir es schaffen, eine Gesprächskultur zu entwickeln, trotz aller Uneinigkeit auch Gemeinsamkeiten zu entwickeln und die Einheit in Diversität nicht nur dulden, sondern wegen des unterschiedlichen Kontextes sogar für erforderlich halten, dann können wir auch etwa für Europa als Europa bedeuten. Wäre es nicht wunderbar, wenn es heißt: Katholiken, ja, das sind Menschen, die über alle Kulturen und Sprachgrenzen hinaus miteinander das Gespräch suchen, miteinander in Gespräch bleiben, auch wenn es schwierig ist. Dann, glaube ich, setzen wir ein Zeichen für diese Welt. Und dann kommen wir vielleicht auch noch zum Begriff der Demokratie, die in Europa gefährdet ist, und zur Frage, wie wir sie unterstützen können.
Csiszar: In Prag waren wir sehr überrascht, wie unterschiedlich die verschiedenen Ortskirchen in Europa ticken. Ich selbst pendle ja zwischen Ost und West. In Prag sah ich vor meinen Augen, was ich innerlich seit Jahren wahrnehme und womit ich selber kämpfe: Was ich in Ungarn, Rumänien oder Serbien sage, das könnte ich nie in Österreich sagen, und auch umgekehrt. Man würde mir sagen: Die ist nicht normal, wie kann sie so etwas behaupten? Also, es gibt große Differenzen, und diese Differenzen haben manche von uns wahrgenommen, die sonst zu anderen Realitäten keinen Kontakt haben. Die aus Osteuropa dachten, die vom Westen seien total liberal und nicht mehr katholisch. Sie waren genauso überrascht wie die aus dem Westen, die nach dem Treffen dachten: So also denkt Osteuropa - das gibt's doch nicht, die sind echt noch weit weg. Mit diesem Eindruck endete Prag. Und dann kam Rom. Dort haben wir bei der Synode wirklich vier Wochen lang gelernt, nicht allzu schnell zu urteilen, nicht sofort zu wissen, was der andere machen oder verstehen müsste. Sondern wir sind einfach einmal in die Welt des anderen eingetaucht und haben versucht, zu verstehen. Das ist sehr mühsam. Wir urteilen sonst sehr schnell, wenn wir mit etwas gar nichts zu tun haben. Das ging in Rom nicht. Man musste zuhören und einfach aushalten, ohne einander die Katholizität abzusprechen. Und diese Übung zeigt jetzt langsam, langsam Früchte, die wir in Linz ein bisschen genossen haben. Wir konnten sie auch vertiefen, und merkten, dass es tatsächlich möglich ist, nicht immer besser zu wissen, was der andere zu tun hat, sondern zuerst zuzuhören. Was tut dir weh? Wo sind deine Freuden, Hoffnungen und Ängste? Das von Gaudium et Spes beginnt langsam konkret zu werden.
Nemet: Waren in Prag die Delegationen noch klassisch nach Staaten oder Bischofskonferenzen eingeteilt, arbeiteten wir in Rom und Linz in gemischten Kleingruppen, was ein Riesenvorteil war - und der erste Schritt, der eine ganz andere Atmosphäre gebracht hat. Damals war auch der Druck durch die Medien noch gewaltig und die Angst, was nun passieren würde - etwa, dass die Kirche eine neue Lehre zu LGBTIQ einführen würde. Das hat sich durch die Arbeitsweise der Synode dann beruhigt. Wir haben über solche Themen geredet, auch hier in Linz, aber in ganz anderem Kontext, und mit viel theologischer Reflexion, die dazwischen geschehen ist, wodurch nun alles viel einfacher war. Viel half auch, dass der Vatikan sich über bestimmte Fragen inzwischen geäußert, zudem ist das nunmehrige Instrumentum Laboris viel konkreter geworden. Ich hoffe, dass wir diesen 2021 begonnenen Prozess nach Prag, Rom und Linz im Oktober weiter entwickeln und fortsetzen können.
Anders als in Prag gab es in Linz kein Schlussdokument, und mit 43 Teilnehmenden waren nicht einmal die Hälfte der europäischen Synodalen vertreten. War es trotzdem ein repräsentatives Treffen? Und welche Funktion hat es für die Synode?
Csiszar: Immerhin die Hälfte der Eingeladenen war da, und vielleicht kommen nächstes Mal noch andere dazu. Denn für die Beteiligten in Linz war es hervorragend, alle sprachen sich dafür aus, dass solche Treffen künftig regelmäßig stattfinden sollten. Auch von den Gruppen-Moderatoren, die zuvor weder in Prag noch in Rom dabei waren, kam die Rückmeldung, sie hätten erst jetzt das mit der Synodalität richtig verstanden und fänden es fantastisch. Das hätte ich nie zuvor gedacht. Es geht darum, kreativ Wege zu eröffnen, weil erst so ein Abbild des Lebens in Europa angesichts der gesellschaftlichen Situation gelingt - für den Umgang miteinander.
Nemet: Die Entfaltung von Neuem braucht viel Zeit und Geduld, auch in der Kirche. Synodalität ist kein Moment, sondern ein Prozess. In dem befinden wir uns und wissen noch immer nicht, wohin wir gehen und wie es am Ende aussehen wird. Das sagt uns auch Papst Franziskus. Wir lernen es erst durch die Praxis. Die Schritte, die wir seit Prag gemacht haben, zeigen, dass es eine neue Kultur des miteinander Redens möglich ist. Das erste Mal nach langen Jahren und vielen Konferenzen habe ich in Linz ein Treffen erlebt, bei dem wir uns nicht gegenseitig schlecht gemacht haben, sondern ganz einfach versuchten, etwas Positives zu sehen und den Schmerz und Leid des anderen zu verstehen statt zu verstärken. Vertrauen ist gewachsen, um auch einzugestehen, dass etwa in den postkommunistischen Ländern nicht alles nur deshalb möglich ist und gut geht, weil wir Rosenkranz und Kreuzwege beten. Es ist nicht so! Auch bei uns hat sie die Volksfrömmigkeit geändert und die meisten gehen nicht mehr in die Kirche zum Rosenkranz.
Sie alle pendeln nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen den an der Synode Involvierten und denen, die sich damit wenig beschäftigt haben. Gelingt es, dass das bei der Synode eingeübte Modell, diese Kultur des Miteinanders, auch auf andere ausstrahlt? Oder ist es vielleicht anderswo schon umgesetzt?
Wijlens: Ich komme gerade von einem fünfwöchigen Aufenthalt in Australien zurück, wo ich eingeladen war, von der Synode zu berichten, und erlebte auch, was die Kirche dort macht. Die australischen Bischöfe haben infolge der massiven Missbrauchskrise den Synodalitäts-Appell des Papstes aufgegriffen und versucht, damit das Vertrauen im Volk Gottes wiederherzustellen. Sie erkannten: Alleine würde ihnen das nicht gelingen, alle müssten an Deck sein und mitrudern. So luden sie zu einem Plenarkonzil mit 175 Nicht-Bischöfen und 44 Bischöfen, die zwei Jahre lang das Gespräch miteinander suchten. 70.000 nahmen an diesem Prozess teil, an dessen Ende vorigen Sommer beschlossen wurde, dass ab nun jede Diözese eine eigene Synode veranstaltet, weil die lokalen Gegebenheiten in dem großen Kontinent doch sehr verschieden sind. Beim Auftakt in einer Diözese war ich dann dabei, 5.000 Menschen hatten auch dort im Beratungsprozess schon vorab in den Dekanaten mitgemacht und einen Pastoralplan entwickelt. Die Dynamik dabei fasziniert. Ich erlebte unter anderem ein Treffen von Schuldirektoren mit, die sich die Frage stellten, was es bedeutet, synodale Kirche in einer Schule zu sein. Es geht dabei nicht nur um Strukturen, sondern auch um die Konversion des Denkens. Europa könnte von den Erfahrungen Australiens sehr profitieren - da etwa die Realität der Migration sehr ähnlich ist und der Umgang damit schon einige Schritte weiter.
Csiszar: Ich war seit der Synode im Vorjahr in Südamerika und Nordamerika. Dass die Südamerikaner in Sachen Synodalität besonders aktiv sind, ist ja bekannt. Sie lassen sich zudem auch die Hoffnung nicht nehmen, waren etwa nach der Amazonien-Synode weit weniger als viele hier in Europa enttäuscht, dass damals bestimmte Erwartungen nicht eingelöst worden sind. Sie machen weiter mit ihrer Dynamik und haben Anfang August eine fünftägige Südamerika-weite Konferenz veranstaltet, bei der sich Theologen mit der Bedeutung von Synodalität auseinandersetzten. Bei einem anderen Projekt, initiiert von einem Südamerikaner in den USA, wurde die ganze Welt zu einem Onlinekurs über Synodalität eingeladen, der in fünf Sprachen gedolmetscht wurde - darunter auch Polnisch. Über 3.000 Personen haben daran teilgenommen. Und was machen wir hier in Europa? Wo sind unsere Kräfte, unser Kapital? Was ich darüber hinaus in meiner Tätigkeit in Linz merke: Ich muss immer wieder innerhalb von ganz kurzer Zeit als Theologie-Dekanin Entscheidungen treffen. Inzwischen ist es so, dass ich ein schlechtes Gefühl bekomme, wenn ich alleine entscheide. Das dürfte ich zwar in meiner Funktion, doch es gibt eben auch andere Möglichkeiten, Menschen noch miteinzubeziehen, sich in den Gremien und Arbeitskreisen zu beraten. Das dauert dann zwar länger und erfordert mehr Unterscheidungskompetenz, aber die Möglichkeiten dazu gibt es. Die Frage lautet also, in jedem Bereich: Wie treffe ich Entscheidungen? Und welches Gespür habe ich für die Vielfalt? Ist die Vielfalt genügend abgebildet, oder sind die beratenden Gruppen zu homogen? Von meiner Entscheidung sind ja dann womöglich viele verschiedene Personen betroffen. Das kannte ich früher nicht, ich war in Osteuropa anders sozialisiert. Ungarin zu sein hieß damals, katholisch zu sein, sich möglichst nicht mit Orthodoxen oder mit den Rumänen zu vermischen. Ich lebte in einer Bubble.
Medienleute tun sich mit dem sperrigen Begriff Synodalität schwer, weil es dabei eher um Kommunikation und Beziehung statt um konkrete Schritte und Projekte geht. Gab es dennoch Vorschläge, die vom Europa-Treffen für die Synode in Rom mitgenommen werden können?
Nemet: Ganz konkrete und neue Vorschläge haben wir keine erstellt, denn das war auch nicht unser Ziel. Wir haben bereits das Instrumentum laboris, das ein sehr gutes Arbeitsdokument ist, über das wir in Linz geredet und mehr Klarheit bekommen haben. Wenn wir nach Rom kommen und dann wieder in Kleingruppen arbeiten, werden wir persönlich vorbereitet sein. Wir hoffen, dass die Methode des Ideenaustausches Ergebnisse bringt, vor allem aber, dass wir gemeinsam über die Zukunft der Kirche in der Welt denken und über ihre Aufgabe, die Gute Nachricht von Jesus weiterzugeben. Wir wollen auch die anreden, die weit weg von der Kirche sind, weil sie deren Wahrheit für nicht wichtig halten oder sie schlichtweg noch nicht kennen.
Csiszar: Was wir schon mitnehmen, ist der von vielen geäußerte Wunsch nach regelmäßigen Treffen auf Europa-Ebene. Die Ortskirchen sollen mehr voneinander wissen und nicht wie damals in Prag überrascht über die großen Unterschiede sein. Wir bringen die Erfahrung mit, dass das Gespräch mit Andersgesinnten nicht Angst auslösen muss, sondern eine Bereicherung sein kann. Wie oft habe ich beim Treffen in Linz gehört: "Jetzt habe ich dich verstanden!" Damit das gelingt, braucht es eben Zeit, Raum, Gespräche und Begegnungen, und erst wenn dieses Verständnis da ist, soll abgestimmt werden. Wenn man zumindest einen Hauch Ahnung von anderen Wirklichkeiten hat statt nur glaubt schon zu wissen wie der oder die andere denkt, stimmt dann vielleicht nicht mehr dagegen. Es ist ganz wesentlich, vom "Ich" zum "Wir" zu kommen, zu einer Einstellung, in dem man nicht nur die eigenen Themen vertritt, sondern auch die des anderen. Abstimmungen verlaufen dann anders, und Zukunft kann anders gestaltet werden. Das haben wir schon in Rom gesehen: Hätten wir dort nicht vier Wochen gemeinsam zurückgelegt, wäre das Schlussdokument niemals verabschiedet worden.
Anfangs fiel die Bemerkung, Synodalität sei nicht Ziel, sondern nur Mittel und Weg. Wie also würden Sie das Ziel beschreiben? Wie kann oder soll Europas Kirche der Zukunft aussehen?
Wijlens: Ich weiß nicht, ob ich diese Zukunft beschreiben kann. Das Wichtige ist doch, dass wir uns auf den Heiligen Geist verlassen und uns fragen: Was will Gott von uns? Es geht um die Sendung der Kirche, und auf der Suche nach diesem Weg müssen wir auf die Stimme aller Menschen hören, auf die der Gläubigen und auch der anderen, denn Gott wirkt durch alle. So wird uns ein Weg gezeigt werden, um eine glaubwürdige Kirche zu sein für eine Welt, die so sehr Hoffnung braucht. Europa ist gekennzeichnet von einem Krieg, von großen Konflikten, von Einsamkeit und Überforderung auch von Jugendlichen, die kontinuierlich online sind und sich nach Ruhe und Stille sehnen. Welche Botschaft können wir ihnen anbieten, wie sie anerkennen in ihrer Würde und ihrer Existenz? Es geht auch um den Dialog mit anderen Wissenschaften und darum, dass es nicht mehr nur die Bischöfe sind, die wissen, wo es nun langgeht. Es können ebenso auch andere Menschen sein.
Csiszar: Es gibt zwar kein Rezept für die Mission der Kirche, doch es gibt das Rezept, die Liebe Gottes erfahrbar zu machen und in der Welt zu enthüllen, da sie ja schon da ist. Dazu gibt es so viele verschiedene Wege, wie es auch verschiedene Kontexte gibt. Für mich geht es dabei darum zu lernen, wie man in die Wirklichkeiten hineinhorchen und auf die Fragen des Lebens Antwort geben kann. Oft geht es darum, einfach nur zuzuhören, da in der Welt zu sein und jeder für sich etwas zu lernen, denn wir reden ja manchmal zu viel. Im Zuhören geschieht viel Wandlung. Schon fertige Rezepte für die Sendung der Kirche, etwa wie man andere taufen und bekehren soll, wären gefährlich.
Nemet: Wir haben auch zunehmend mit einer "Religion ohne Gott" zu tun. Das sieht man etwa am Jakobsweg, für dessen Pilger Gott immer weniger eine Rolle spielt, oder anderen religionsähnlichen Dingen. Die Christen und Katholiken haben jedoch sehr wohl die klare Mission, über Jesus Christus, seine Auferstehung, die Erlösung und Zukunft für uns alle zu reden. Ich kann nicht vorhersagen, ob das erfolgreich sein wird. In der Geschichte gab es da immer größere Wellen in der Kultur, in denen es manchmal leicht und unkompliziert war, katholisch zu sein, ehe es dann wieder über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte fast unmöglich war, ein christliches Leben zu führen - auch in Europa. Inzwischen wird Religion wieder zu einem Unterscheidungs- und Abgrenzungsmerkmal, auch ist die Rede vom Heiligen Krieg zurückgekehrt. Ich hoffe daher, dass die Religion gereinigt werden kann von diesen politischen und populistischen Ideen und Ideologien, und dass deren Vertreter mehr auf Distanz gehen zu Regierungen und auch zu deren Geld. Sobald du von einer Regierung abhängig bist, darfst du diese normalerweise nur lieben, sie aber nie kritisieren oder hassen.