Der Schöpfung gerecht werden: Wie Christentum und Islam über die (Um)Welt denken
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Podcast vom 30. Juni 2021 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner, Moderation: Henning Klingen*
Puh, ist das heiß! Mancherorts kletterte das Thermometer in diesen Tagen auf fast 35 Grad. Extreme Wetterphänomene geben sich die Klinke in die Hand, war der Mai viel zu verregnet, folgte im Juli Hitze und Trockenheit. Der Klimawandel – er lässt sich nicht mehr leugnen. Man könnte es auch religiös wenden und sagen: die Schöpfung ist angeschlagen. Von uns, vom Menschen. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Diesseits von Eden" sagt Henning Klingen.
Immer mehr Menschen sehen ein, dass der Mensch Raubbau an der Welt, an der Schöpfung betreibt und auf Kosten der Armen und der nachfolgenden Generationen lebt. Wie aber gegensteuern? Genügt es, das individuelle Konsumverhalten zu ändern? Oder braucht es Systemschwenks? Und wir wären natürlich kein theologischer Podcast, wenn wir dieser Frage nicht einen speziellen Dreh geben würden: Was sagen eigentlich die Religionen, was sagt die Theologie zu dieser Herausforderung? Zieht man da an einem Strang?
Fangen wir mal ganz basal an: Wenn man die Dramatik der Situation erkennt, so formuliert es die evangelische Theologin Annette Schellenberg von der Universität Wien, dann braucht es weder Bibel noch Schöpfungstheologie, um ins Handeln zu kommen:
"Das ist eigentlich das Gebot der Stunde, dass wir etwas machen gegen diese Ausnutzung der Schöpfung et cetera. Ich bin mir noch nicht ganz so sicher, wie viel uns das Alte Testament da hilft. Ich finde, man muss sich primär aus naturwissenschaftlichen Gründen für die Erhaltung der Natur einsetzen - weil sonst geht alles zuende und wir werden selbst nicht überleben. Ich muss ehrlich gestehen: ich brauche an sich die Bibel nicht, um zu diesem Schluss zu kommen, weil es einfach so offenkundig ist."
Ähnlich sieht das auch die muslimische Theologin Ursula Fatima Kowanda-Yassin: Es braucht nicht die Religion, um sich ökologisch zu engagieren – aber: Es hilft dann doch in der eigenen Community, die religiöse Karte zu spielen:
"Dass nicht alle Muslime und Musliminnen, die sich engagieren, das unbedingt in Zusammenhang mit der Religion setzen. Also es gibt viele, die einfach in Organisationen mitwirken, z.B. Greenpeace, wo sie sagen 'Ja, ich möchte was tun' und die müssen das jetzt nicht unbedingt religiös begründen, die machen das einfach. Das ist auch so ein Kritikpunkt am 'Öko-Islam': Warum muss man das mit der Religion verbinden? Warum muss man das so hervorheben? Ich habe einfach gemerkt, dass viele Musliminnen und Muslime das betonen, weil sie einfach in ihrer eigenen Community bewusst machen wollen, dass Religion nicht nur Gebet und Fasten usw. bedeutet, sondern es bedeutet auch, sich in der Gesellschaft zu engagieren und mit aktuellen Themen zu beschäftigen. Und dass das Umweltthema auch eines ist, das heute sehr wichtig ist und das auch sehr verbindend ist. Und da kann man auch viel bewirken. Da gibt es eigentlich viele offene Türen."
Warum ist der Einsatz für die Schöpfung aber nun trotzdem eine Sache der Theologie? Der Innsbrucker katholische Theologe und Dekan der katholisch-theologischen Fakultät, Wilhelm Guggenberger, erklärt das so:
"Ich denke mir, es ist nicht denkbar, mit einem biblischen Blick auf die Welt zu sehen, ohne wahrzunehmen, dass wir für diese Welt auch Verantwortung übernehmen müssen."
Den Einsatz für Nachhaltigkeit beschreibt Guggenberger mit der Trias von Friede, Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung – Begriffe, die die christliche Gesellschaftslehre seit den 1980er-Jahren prägnant prägen:
"Diese Begriffs-Trias entspricht im Grunde sehr gut dem Verständnis von Nachhaltigkeit im säkularen Bereich. Auch dort spricht man von drei Säulen der Nachhaltigkeit: einer ökologischen, aber eben auch einer ökonomischen und sozialen - mittlerweile übrigens ergänzt durch die beiden Begriffe Peace and Partnership. Das gehört also notwendigerweise zusammen: Die Motivation zum Handeln, die Glaubensinhalte und diese Felder der Weltverantwortung."
Sonderstellung des Menschen?
Der Mensch des Alten Testaments sieht sich selbst in einer Sonderstellung in der Welt, erklärt die Bibelwissenschaftlerin Schellenberg:
"Das eine ist der Gedanke einer Sonderstellung des Menschen, dass der Mensch im Schöpfungsraum eine besondere Stellung hat. Das ist an sich relativ nahe liegend, dass Menschen auf diese Idee kommen. Denn wir haben einfach Fähigkeiten, die die Tiere nicht haben. Wir können reden, wir gehen aufrecht."
"Der Mensch wird angesprochen, dass er Verantwortung trägt, dass er so etwas wie einen Sachwalter der Schöpfung ist. Also einerseits wird er erinnert an seine Verantwortung, andererseits wird angesprochen, was der Mensch alles leisten kann: Er ist ein Geschöpf, das eben besonders ist, weil er nachdenken kann, weil er entwickeln kann. Und gleichzeitig wird er daran erinnert, dass er auch fehlerhaft ist. Das heißt, der Mensch kann, wenn er sich nicht bemüht oder die falschen Entscheidungen oder sagen wir mal egoistische, schädliche Entscheidungen trifft, auch das schlimmste Geschöpf sein. Er braucht sich nicht zu erheben über andere Geschöpfe, nur weil er der Mensch ist, sondern da ist irgendwie diese Waage da: Einerseits der Mensch ist großartig geschaffen in perfektester Weise in seinem Wesen und es liegt aber in seiner Entscheidung, ob er sozusagen das Beste aus sich herausholt oder ob er rücksichtslos handelt oder vielleicht sogar seine Klugheit dafür nutzt, um anderen Menschen und der Schöpfung zu schaden."
Beschreibt wiederum die muslimische Theologin Ursula Fatima Kowanda-Yassin das Menschenbild des Koran. Dieser spricht als Offenbarung zu Menschen, denn Tiere würden von sich heraus bereits Gott dienen:
"Da gibt es Verse, wo beschrieben wird, dass die Tiere und die ganze Schöpfung Alaa lobpreist in ihrem Sein einfach und sie haben sozusagen keine schlechten Absichten läuft auf die Art, aber der Mensch ist derjenige, der entscheiden kann und deswegen hat er einerseits eine große Verantwortung und andererseits viele Möglichkeiten."
Das Thema der Verantwortung des Menschen gegenüber der Erde und deren Geschöpfe ist auch eines der Genesis:
"Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht."
So heißt es in der Lutherbibel, Genesis 1,26. Die Unterwerfung der Erde, die oft damit interpretiert wird, oder heutige Umweltprobleme können damit aber nicht erklärt werden, meint Annette Schellenberg:
"Dieser Text mag mit ein Grund sein, aber ich glaube grundsätzlich dafür ist, dass es im Laufe der Zeit zu einer sogenannten Entzauberung der Welt gekommen ist, dass die Menschen aufgehört haben, die Welt als Schöpfung wahrzunehmen. Während früher in biblischen Zeiten und den vorbiblischen Zeiten die Menschen in der Natur häufiger numinose Qualitäten gesehen haben, vor allem bei Bergen, Bäumen und Quellen, und sieht, dass er die Natur als etwas Göttliches erachtet hat - wenn man das so sieht, dann geht man viel respektvoller um mit der Natur. Und dieser Glaube, diese Vorstellungen sind im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Ich glaube, das ist der wichtigere Grund, warum die Menschen von heute die Welt oder die Schöpfung ausnutzen."
Als Grund der Entfremdung von Mensch und Natur gibt die evangelische Theologin den Humanismus an - aber auch der Monotheismus spielt dabei eine wichtige Rolle:
"In vormonotheistischen Zeiten war sogar die wichtigste Grundunterscheidung jene zwischen Ordnung und Chaos - und die Götter sind diejenigen, die für diese Ordnung zuständig sind. Im Lauf der Zeit hat sich dann der Monotheismus entwickelt und in dem Zusammenhang wurde sehr stark unterschieden zwischen Gott und Welt. Gott auf der einen Seite und die Welt auf der anderen Seite. Und dort gab das eigentlich begonnen, dass die Welt sozusagen entzaubert wurde, dass man Gott eben nicht mehr in der Welt gefunden hat oder nicht mehr den Bergen numinose Qualitäten zugeschrieben hat, sondern sehr stark unterschieden hat: hier Gott und da die Schöpfung als Werk von Gott. Ich glaube, das ist ein wichtiger Ansatzpunkt."
Das Wort "herrschen" ist in der theologischen Debatte aber nicht unbestritten, meint Schellenberg. Andere Theologinnen und Theologen würden eher den Begriff des "Untertan-Machens" verwenden:
"Heute ist ja die Natur die bedrohte Größe und es besteht die Gefahr, dass der Mensch die Natur zerstört. Früher war das aber genau umgekehrt. Da war der Mensch die bedrohte Größe und stand dauernd in Gefahr, von wilden Tieren gefressen zu werden. Und auf diesem Hintergrund wird in Genesis 1 seine Vision formuliert, dass dieser Zustand überwunden sei. Und was wird so erzählt, dass Gott den Menschen diesen Herrschaftsauftrag gibt und im Psalm 8 haben wir einen sehr ähnlichen Text. Dort heißt es, Gott hat dem Menschen alles unter die Füße gelegt. Aber da kommt auch diese Hoffnung zum Ausdruck, dass die Natur und insbesondere die Tiere dem Menschen nicht gefährlich werden. Eine Zeit lang haben die Exegeten versucht, das sehr friedlich zu interpretieren und gesagt, das ist eine Art Hirten-Funktion: Der Mensch muss die Tiere wie ein Hirte lenken. Das ist etwas zu pazifistisch und zu friedlich. Und auf der anderen Seite dann gab es die, die gesagt haben, da wird die Ausbeutung der Welt befohlen. Aber meiner Meinung nach geht es weder nur um das eine, dass es besonders harmlos und friedlich ist, noch um das Brutale, sondern es geht einfach um diesen Grundgedanken, dass der Mensch im Schöpfungsganzen gegenüber diesen anderen Geschöpfen, insbesondere gegenüber den Tieren, die Oberhand hat."
Was ist Öko-Islam?
Das Thema Umwelt ist unter dem Schlagwort "Öko-Islam" auch wegen der drängenden Frage rund um Klimawandel und Umweltschutz ins Blickfeld von Musliminnen und Muslime geraten:
"Wir haben dieses Thema, es wird viel zerstört, es wird viel verschmutzt, die Zukunftsprognosen sind irgendwie beängstigend. Was sagt eigentlich unsere Religion zu dem Thema? Was müssen wir machen? Also es geht eigentlich darum, dass Muslime jetzt in ihrer Religion ein wenig forschen, was eigentlich eh schon immer da war, aber wo sie wirklich sagen Okay, das ist heute ein ganz wichtiges Thema, das muss man noch verstärkt herausheben, herausarbeiten aus religiösen Grundlagen, weil das für uns heute ein wichtiges Thema ist."
Neben praktischen Grundsätzen gibt es laut Öko-Islam-Expertin Kowanda auch eine religiös geprägte Argumentation:
"Dadurch, dass es nur einen Schöpfer gibt, gibt es nur eine Schöpfung, d. h. sie ist eins, d. h. sie ist miteinander verbunden. Alles ist miteinander verbunden auf der Welt - und jede Handlung hat irgendeine Auswirkung auf den Rest der Schöpfung. Wenn man das jetzt mit dem Ökosystem so übersetzen will, wirkt sich natürlich alles irgendwie aus: Das Gleichgewicht wird gestört. Wenn ich jetzt was ich irgendwelche Speicher von digitalen Daten in die Meere verlege und die Meere dadurch erwärmt werden, dann ändert sich eben das ganze Klima. Also das hat alles einen Bezug zueinander. Und das ist von religiöser Sicht der Begriff des Tauhīd: Eingottglaube - die Schöpfung ist eins, weil der Schöpfer einer ist."
Ähnliche Nachhaltigkeitsstrategien gibt es auch in der katholischen Kirche. Aber genügt das? Oder braucht es ein viel größeres auch katholisches Engagement in der Frage? Noch einmal der Innsbrucker Theologe Wilhelm Guggenberger:
"Genug Engagement gibt es sicher nicht. Vor allem ist dieses Engagement vermutlich nicht schnell genug. Aber das gilt sicher für die Gesamtgesellschaft. Angesichts der drängenden Probleme, die sich aus dem Klimawandel, aus dem Artenschwund, aber auch aus sozialen Ungerechtigkeiten ergeben, die sich dann wiederum in Migrationsbewegungen niederschlagen und dergleichen. Angesichts dieser massiven Herausforderungen müssten wir wesentlich stärker und wesentlich schneller umsteuern. Auf der anderen Seite stimme ich aber auch nicht in den Chor derer ein, die sagen, die Kirche würde hier wieder einmal eine drängende Frage der Zeit verpassen oder verschlafen, wie die Arbeiterfrage im 19. Jahrhundert oder die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit. Ich denke, die Kirche ist hier im Grunde ganz gut mit dabei und auch die theologische Reflexion."
Nachhaltigkeit und die Sorge um die Schöpfung geht aber noch viel weiter, betont Guggenberger:
Mir scheint diese Zusammengehörigkeit extrem wichtig: Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, das sind nicht drei additive, nebeneinander gestellte Aufgabenfelder. Ich denke mir, es liegt eigentlich auf der Hand, dass in einer Welt, in der es massive soziale Verwerfungen, Ungerechtigkeiten, Armut gibt, dass wir in einer solchen Welt mit einer Umsetzung von ökologischer Nachhaltigkeit nicht vorankommen. Und noch deutlicher ist es eigentlich im Hinblick auf den Frieden: wo strukturelle kulturelle Gewalt herrscht, wo offener Krieg herrscht, da wird Umwelt nicht beachtet, wird viel mehr zerstört. Wir können nicht die Umwelt schützen wollen, ohne zugleich auf die Bekämpfung von Armut abzuzielen. Das ist das, was Papst Franziskus in seiner Enzyklika 'Laudato si' mit dem Satz bezeichnet 'Wir müssen den Schrei der Erde hören, aber auch den Schrei der Armen'. Wir können also nicht auf die menschlichen Anliegen vergessen, auf eine Entwicklung im sozialen Bereich, wenn wir etwas für unsere Umwelt tun wollen. Und auf der anderen Seite betreffen gerade Schädigungen, die etwa durch den Klimawandel entstehen. In erster Linie wiederum die ärmsten Menschen. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit sind im Grunde zwei Seiten einer Medaille.
Und damit endet diese sommerlich-hitzige und zugleich nachhaltige Folge von "Diesseits von Eden". Vielen Dank fürs Zuhören sagt Henning Klingen. Gestaltet wurde dieser Podcast von Franziska Libisch-Lehner.