90 Jahre "Salzburger Hochschulwochen": Ein Dialogforum offener Katholizität
Podcast vom 15. Juli 2021 | Gestaltung: Henning Klingen*
"Die Salzburger Hochschulwochen, die seit 1931 anerkannterweise das bedeutendste wissenschaftliche Forum des deutschsprachigen Katholizismus darstellen und auch aus der Kulturlandschaft dieser Stadt nicht mehr wegzudenken sind, markieren gewissermaßen den anderen, den intellektuellen Pol des Salzburger Sommers."
Ein wenig historisch angestaubtes Pathos darf schon sein in dieser Folge von
"Diesseits von Eden", zu der Sie Henning Klingen begrüßt. Schließlich feiert mit den Salzburger Hochschulwochen heuer die wohl renommierteste und traditionsreichste Sommerakademie im deutschen Sprachraum ihr 90-Jahr-Jubiläum. Doch die Hochschulwochen sind alles andere als angestaubt wie diese Schallplattenaufnahme aus den 1960er-Jahren. Sie sind – im Gegenteil – eine höchst agile Veranstaltungsreihe inzwischen der Universität Salzburg, die in „normalen“ Jahren bis zu 1.000 Studierende nach Salzburg lockt. Denn der Salzburger Sommer – so werben die Hochschulwochen auf Social Media – bestehe nicht nur aus den berühmten Festspielen, fluffigen Mehlspeisen, grünen Stadtbergen und klaren Seen; sondern eben auch aus den Hochschulwochen.
"Was die zahlreichen zumeist jungen Menschen in diesem traditionsreichen Raum versammelt, ist nicht Kunstgenuss, sondern das gemeinsame Bemühen um wissenschaftliche Wahrheit und der Wille, die harte Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen."
Auch das. Aber natürlich leben die Hochschulwochen, die in diesen Tagen, d.h. Anfang August, coronabedingt in einer Kombination aus digitalen und analogen Angeboten stattfinden, vom besonderen Salzburger Flair, das ihnen den modernen Beinamen einer "smarten Sommerfrische" eingebracht hat.
"Gewiss, diese Gründe mögen mitspielen. Der entscheidende Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch ganz woanders. Nämlich in der Fähigkeit, das Erlebnis echter geistige Auseinandersetzung zu vermitteln, das in dem hoch spezialisierten Lehr- und Forschungsbetrieb unserer Universitäten und Hochschulen immer mehr zu kurz kommt. Ja, man wird sogar sagen müssen, dass die Salzburger Hochschulwochen einzig und allein aus dem Zwang zur Auseinandersetzung mit einer weitgehend Entchristlichung ein ja geradezu antichristlichen Umwelt geboren wurden."
Oh, pardon, natürlich. Doch wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass die Hochschulwochen heute ein solches Renommee haben? Was war der eigentliche Impuls ihrer Gründung?
"Vergegenwärtigen wir uns kurz die entscheidenden Etappen der wechselvollen Geschichte der Salzburger Wochen."
Foto aus der Ausstellung über den Benediktinerpater Thomas Michels (1892-1979) an der Uni Salzburg
Vom Plan einer katholischen Universität
Genau. Steigen wir also hinab in das Archiv der Hochschulwochen. Das Ziel der Hochschulwochen war von Anfang an eines hohes, hehres, wie einer der Gründungsväter und langjährige Obmann, Benediktiner P. Thomas Michels, auf der Schallplattenaufnahme betont:
"Der katholische Frühling der Zwanzigerjahre, der vor allem die Jugend und die katholischen Akademiker begeistert hatte, ging zu Ende. Auf neuen Wegen musste versucht werden, das in ihm Aufgebrochene festzuhalten. So entstand der Plan, sich mit dem katholischen Akademikerverband für eine groß gedachte, nicht konfessionell beengte katholische Universität für das gesamte deutsche Volkstum, wie man damals noch sagte, einzusetzen."
Der Plan einer eigenen katholischen Universität scheiterte letztlich nicht zuletzt durch den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Aufhebung der Theologischen Fakultät.
"Bereits des Jahr 1931 stand unter dem Schatten des heraufziehenden nationalsozialistischen Totalitarismus. 1933 konnten infolge des politischen Druckes keine deutschen Dozenten und Hörer mehr teilnehmen. Trotzdem konnte das Niveau der ersten beiden Jahre gehalten werden, was umso bedeutsamer war, als es sich hier um eine der letzten freien Bastionen des Katholizismus im deutschsprachigen Raum handelte."
Marksteine konnten bereits in den 30er-Jahren gesetzt werden, so etwa in Form einer Vorlesungsreihe von Karl Rahner 1937, die zu den wohl wichtigsten religionsphilosophischen Vorlesungen des 20. Jahrhunderts zählt und worin er zentrale Gedanken seines großen Werkes Hörer des Wortes präsentierte.
"Das Jahr 1938 brachte dann mit der Okkupation Österreichs das vorläufige Ende. Aber bereits 1945 ging der unvergessliche Pater Alois Mager als Dekan der Theologischen Fakultät daran, sie zu neuem Leben zu erwecken."
Who-is-Who der Theologie des 20. Jahrhunderts
Die Liste der Vortragenden, die in den Folgejahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Salzburg referierten, liest sich wie ein Who-is-Who der Theologie des 20. Jahrhunderts: Josef Ratzinger etwa trat mehrmals als Redner auf, auch Romano Guardini, Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar oder Johann Baptist Metz kamen nach Salzburg. Aber auch Persönlichkeiten wie Robert Schuman, Viktor Frankl, Ruth Klüger oder Hans-Georg Gadamer haben die Salzburger Hochschulwochen als ein Dialogforum offener Katholizität etabliert. Darunter auch der französische Philosoph Gabriel Marcel:
"Ohne Zweifel haben wir im Verlauf der letzten 50 Jahre gesehen, wie sich die schlimmsten Beispiele von Unmenschlichkeit um uns herum gehäuft haben. Ich denke da vor allem an die Konzentrationslager und die Schrecken ohne Namen, die sich dort zugetragen haben, aber auch an die gewaltigen Völker Verschleppungen, die sich in Osteuropa, Asien und so weiter vollzogen haben. Wir stimmen im Allgemeinen darin überein, wenigstens auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs, dass derartige Vergehen nur durch völlige Verkennung der Bedingungen möglich gewesen sind, welche das wahre Menschsein ausmachen."
"1966 setzte sich der deutsche Philosoph Josef Pieper in sehr kritischer Weise vom Standpunkt einer christlichen Anthropologie und Geschichtsphilosophie aus. Mit den optimistischen Zukunftsperspektiven des Evolutionismus auseinander: 'An diesem Punkt ist ein Wort zu sagen über den Unterschied von Geschichte und Evolution. Gerade die gegenwärtigen Diskussionen scheinen mir dadurch gekennzeichnet zu sein, dass dieser Unterschied, dieser eminent wichtige Unterschied zwischen Geschichte und Evolution verwischt zu werden droht. Behauptet ist hier kurz gesagt, folgendes Auf ihr evolutiven Potenzial hin betrachtet ist die Menschheit objektiv jung und also voller Zukunft, Kraft und also haben wir Grund zur Hoffnung. Ja, genau das nenne ich die Verwechslung von Geschichte und Evolution.'"
Prof. Alois Halbmayr, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät
Bis heute prägen solche intellektuelle Erfahrungen und Erlebnisse bei den Hochschulwochen. Für den amtierenden Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Alois Halbmayr, war etwa ein Vortrag vom Transparency-International-Gründer Peter Eigen ein besonderes Erlebnis:
"Besonders gut in Erinnerung ist mir geblieben ein Vortrag aus dem Jahre 2012 von Peter Eigen. Peter Eigen ist der Gründer von Transparency International, hat lange bei der Weltbank gearbeitet und hat 2012 zwei Vorträge gehalten über die Gefahr von Korruption für Gesellschaften und was man dagegen tun kann. Ich war so begeistert von seinem Vortrag und wollte sofort zu Transparency International dazu kommen, weil mich das überzeugt hat. Und wir sehen heute weltweit, dass Korruption ein Gift ist für jede Gesellschaft, für das Zusammenleben der Menschen. Und da fand ich die Ausführungen von Peter Eigen herausragend und auch das Publikum damals war begeistert. Daran erinnere ich mich bis heute."
Und auch der langjährige Rektor der Universität Salzburg und frühere Obmann der Hochschulwochen, Heinrich Schmidinger, verbindet einschneidende Erinnerungen mit den Hochschulwochen:
"Ich bin 1972 zum ersten Mal bei den Salzburger Hochschulwesen gewesen. Es war das Matura-Geschenk meines Vaters an mich und ich habe daran teilgenommen. Die ganzen zwei Wochen, die es damals gedauert hat - und das war ein wirkliches Schlüsselerlebnis für mich."
em.Prof. Heinrich Schmidinger, langjähriger Rektor der Uni Salzburg und früherer Obmann der Hochschulwochen
Bis heute denkt er etwa an einen Vortrag aus dem Jahr 2016 zurück:
"Besonders in Erinnerung habe ich den Vortrag damals von Jan Assmann. Das war eine wichtige Begegnung für mich und ich habe seither mit ihm anhaltenden Kontakt. Aber ich könnte sicher auch noch andere nennen: zum Beispiel erinnere mich an Ruth Klüger, die eine großartige Rede gehalten hat - über Hiob und dass Isaak-Opfer. Das war alles schon sehr beeindruckend."
"Aushängeschild der gesamten Universität"
Heute sind die Hochschulwochen, die u.a. von der Äbtekonferenz der Benediktiner, dem Katholischen Hochschulwerk Salzburg, der Görres-Gesellschaft, von den Katholischen Akademikerverbänden Deutschlands und Österreichs sowie vom Forum Hochschule und Kirche der Deutschen Bischofskonferenz getragen werden, ein Teil der Universität Salzburg. Und – so unterstreicht es Dekan Alois Halbmayr – sie bedeuten einen Prestigegewinn für den Universitätsstandort Salzburg insgesamt:
"Die Salzburger Hochschule Wochen sind ein Aushängeschild der Theologischen Fakultät. Sie sind auch ein Aushängeschild für die Universität Salzburg und sie gehören ja seit 2015 zur Universität Salzburg, sind ein integraler Bestandteil der Universität. Die Salzburger Hochschulwoche strahlen weit über Österreich hinaus aus in den ganzen deutschen Sprachraum. Da kommen eigentlich jedes Jahr viele junge Leute auch nach Salzburg aus dem ganzen deutschen Sprachraum. Und das ist etwas, was auch für die Universität Salzburg wichtig ist, dass es nicht nur den Wissenstransfer nach Salzburg gibt, sondern auch von Salzburg hinaus."
Hochschulwochen-Obmann Prof. Martin Dürnberger
"Die Idee einer fragenden, reflexiven Theologie und Katholizität"
Schwenken wir nach so vielen Rückblicken langsam in die Gegenwart. Denn die Geschichte der Hochschulwochen war und ist immer auch eine Geschichte der Innovation und Neuerfindung: So wurde etwa 2006 unter dem damaligen Obmann Gregor Maria Hoff der "Theologische Preis" als Auszeichnung für ein Lebenswerk eingeführt – und zeitgleich ein "Publikumspreis" für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ein Preisträger der ersten Stunde ist zugleich der amtierende Obmann und Fundamentaltheologe Martin Dürnberger:
"Was ist die Idee, so wie ich sie verstehe, der Hochschulwochen? Die Idee einer fragenden, einer reflexiven Theologie und Katholizität. Das ist die Tradition, in der wir stehen, die sich den großen Fragen stellt: Den Fragen des Menschseins, der Gesellschaft etc. - aber im Dialog, im Verbund mit anderen Wissenschaften. Dieses Moment ist sicherlich in den letzten Jahren noch wichtiger geworden, dass man sich als Plattform begreift, um sich mit anderen den großen Fragen zu stellen. Die Theologie liefert ja nicht einfach Antworten, sondern wir stehen gemeinsam vor der gleichen Herausforderung: Was heißt Klimawandel? Was heißt Migration? Was heißt Digitalisierung und dergleichen mehr?"
Hochschulwochen 2021: Digital mit analogen Akzenten
Zuletzt stellte Corona eine entscheidende Herausforderung dar – und zwar ganz praktisch. Im vergangenen Jahr fanden die Hochschulwochen deshalb rein digital statt. Dazu wurde – wie Dürnberger betont – nicht auf die 100. Videokonferenz gesetzt, sondern auf eine Mischung aus Live-Einstiegen, vorproduzierten Videoangeboten und vor allem: Podcasts. Und dies alles kostenlos. Eine Mischung, die sich bewährt hat, wie die Zugriffszahlen zeigen. In diesem Jahr werde man die digitale Erfolgsschiene weiter verfolgen, allerdings mit einigen "analogen Akzenten" versehen, so Dürnberger:
"Das Thema in diesem Sommer haben wir eigentlich schon vor zwei Jahren gewählt und hatten dabei natürlich nicht im Blick, dass das vielleicht durch die aktuellen Entwicklungen diese Relevanz hat. Das Thema lautet 'Was hält uns noch zusammen? Über Verbindlichkeit und Fragmentierung'. Ich glaube, das ist eine Fragestellung, die uns durch die Pandemie begleitet hat und die besonders akut auch dadurch geworden ist. Was hält uns als Gesellschaft eigentlich noch zusammen, wenn unterschieden wird in systemrelevant oder nicht systemrelevant, in Geimpfte und Nicht-Geimpfte? Da hat man eine Reihe von Fragmentierungsprozessen, die zusätzlich zu denen kommen und kamen, die es bereits vorher gab. Und ich glaube, es ist eine Runde des Nachdenkens wert, sich genauer damit auseinanderzusetzen. Und das wollen wir in diesem Jahr machen, wieder mit einer Reihe von auch analogen, aber vor allem digitalen Angeboten. Und wenn Sie Lust haben, mit uns über diese Fragen nachzudenken - ich spreche Sie jetzt ganz direkt an -, dann melden Sie sich doch an, bei uns kostenlos auf der Seite der Salzburger Hochschulwochen. Die Homepages ist leicht zu finden. Da gibt's die Möglichkeit, sich anzumelden und an diesem Programm teilzunehmen."
"Damit schließt sich der Kreis unserer Betrachtungen, die wir einleitend betont haben, war der Mensch als Mittel und Treffpunkt schon immer das eigentliche Thema der Salzburger Hochschulwochen."
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen – außer vielleicht ein Hinweis auf die Website der Hochschulwochen, auf der man sich kostenlos für das heurige Programm Anfang August anmelden kann: www.salzburger-hochschulwochen.at – Vielen Dank fürs Zuhören sagt Henning Klingen.