Religionsunterricht: Was er leistet und wozu wir ihn brauchen
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Podcast vom 26. Oktober 2022 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
Willkommen bei einer neuen Folge des Podcasts "Diesseits von Eden". Hier dreht sich heute alles rund um den Religionsunterricht. Meine Expertinnen dazu sind heute Helena Stockinger, seit September 2021 Universitätsprofessorin für Katechetik und Religionspädagogik an der Fakultät für Theologie der Katholischen Privatuniversität Linz; sowie Carla Amina Baghajati, Leiterin des Schulamtes für islamischen Religionsunterricht.
Die erste Frage dreht sich jetzt gleich um den Schulstart, um das Thema Religionsunterrichts, und welches Ziel der Religionsunterricht in einer Gesellschaft haben kann, in der der Anteil der Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit wächst. Aktuell geht die Statistik Austria von rund 2 Millionen Menschen aus, die sich keiner Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen. Macht in so einer Situation konfessionellen Religionsunterricht, wie wir ihn in Österreich kennen, überhaupt noch Sinn?
Baghajati: "Gerade in einer Gesellschaft, wo Religion einerseits im gesamtgesellschaftlichen Diskurs sehr wohl eine Rolle spielt - da denke ich gerade an alles, wo mit dem Stichwort "Migrationsdebatte" auch Islam immer wieder verhandelt wird, darüber diskutiert wird - ist uns der Religionsunterricht ein ganz wichtiger Ort der Bildung. Und wir freuen uns über Schüler und Schülerinnen, die, auch wenn sie vielleicht weniger selbst praktizierend sind, erkennen, wie wichtig es ist, um Anteil haben zu können, an diesen Debatten auch ein solides religiöses Wissen mitbringen zu können. Und gerade bei muslimischen Kindern und Jugendlichen spielt das eine große Rolle, denn wir kennen den Begriff muslimisch gelesen werden - also unabhängig davon, wie praktizierend. Und da ist einfach ein Interesse. Ich möchte mitreden können, wenn in den Zeitungen vom Dschihad die Rede ist als dem Heiligen Krieg, was hat es wirklich damit auf sich? Wie ist das wirklich mit Rollenbildern? Mann? Frau? Was ist Religion? Was ist Tradition? Wo stehe ich hier? Ist das eine das andere? Und da kann ich, denke ich, dann auch gleich an Helena Stockinger weitergeben, weil ich annehme, das ist etwas, was uns verbindet, nämlich Religionsunterricht als ein geschützter Raum. Ein Raum, wo es wirklich im Mittelpunkt um die jungen Menschen selbst geht, wo sie Zeit haben zu reflektieren, nachzudenken über das Leben, über den Sinn von Leben. Und wenn Religion ihnen mitgeben kann "Ich bin ein Geschöpf Gottes", "Ich habe von daher Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen" oder dass sie Gottvertrauen finden können, dann schafft das auch in bewegten und krisenhaften Zeiten wie jetzt, dass auch die Kinder spüren, sei es Pandemie, sei es Krieg, doch einen Moment der Hoffnung. Ich hoffe, dass wir auch beitragen können zu den großen Zielen von Unterricht, so wie es in den Paragrafen österreichischer Schule im Verfassungsrang formuliert ist, wo "zu einem glücklichen Menschen erziehen" vorkommt."
Interreligiöse Sprachfähigkeit gewinnen
Stockinger: "Ein wesentliches Anliegen des Religionsunterrichts, wie ich denke, ist, dass Schülerinnen und Schüler einen Einblick in Glaube und Religion erhalten und sich dazu selbst in ein Verhältnis setzen können. Das heißt, dass sie religiöse Phänomene wahrnehmen können, dass sie diese deuten können, verstehen können, dass sie über unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Positionen auch miteinander ins Gespräch kommen, das heißt auch sprachfähig werden in religiösen, in weltanschaulichen Dingen. Und hier ist auch im konfessionellen Religionsunterricht das Anliegen, unterschiedliche Ansichten, unterschiedliche Einstellungen zu Wort kommen zu lassen, miteinander ins Gespräch zu bringen. Anliegen des Religionsunterrichts ist es nicht, dass im Anschluss alle Personen, die am Religionsunterricht teilnehmen, gläubig sind. Da würde der Religionsunterricht seinen Anspruch als Bildungsauftrag im Kontext Schule, so meine ich, verfehlen. Selbst wenn es konfessioneller Religionsunterricht ist, wie es momentan in Österreich ja üblich ist, heißt es nicht, dass alle Personen gleich denken, sondern wir haben eine heterogene Klasse vor uns, die unterschiedliche Einstellungen, unterschiedliche Zugänge bringt. Und ich denke mir, dass es ein wesentliches Anliegen des Religionsunterrichts sein sollte, hier ins Gespräch zu kommen, so dass Schülerinnen und Schüler für sich selbst auch entscheiden können, wie sie zur Religion oder zu unterschiedlichen Weltanschauungen stehen. Das ist mir ganz wichtig zu sagen, gerade auch mit Blick auf Personen, die sich keiner Religionszugehörigkeit zuordnen, die entscheiden können, in welchen konfessionellen Religionsunterricht sie gehen bzw. wo es ihn schon gibt, ob sie den Ethikunterricht besuchen, dass auch diese mit ins Gespräch genommen werden und Einstellungen im Gespräch miteinander im konfessionellen Religionsunterricht auch stattfinden."
Da muss ich jetzt trotzdem noch mal nachhaken, weil die Zahl auf katholischer Seite seit den 50er-Jahren sehr signifikant zurückgegangen ist. Es gibt immer weniger Katholiken und Katholikinnen. Anders schaut es beim Islam aus; da hat die Statistik Austria durch die Befragungen herausgefunden, dass die Zahl der Menschen, die sich dem Islam zugehörig fühlen, steigt. Aber trotzdem stellt sich mir die Frage nach dem Umgang des Religionsunterrichts mit dem Anteil der Bevölkerung, der sagen "Nein, ich gehöre keiner Religion zu". Wie gehe ich denn mit diesen Schülerinnen und Schülern um? Natürlich gibt es jetzt in manchen Schulen den Ethikunterricht. Der ist aber noch nicht österreichweit in allen Schulen und Klassen eingeführt.
Stockinger: "Also wenn wir jetzt beim konfessionellen Religionsunterricht bleiben, dann ist es, ein Anliegen, diese unterschiedlichen Stimmen ins Gespräch zu bringen. Dazu gehören Personen, die konfessionslos sind, als auch Personen, die religiös gebunden sind. Personen sollen sich mit den unterschiedlichen Inputs in ein Verhältnis setzen können. Darüber hinaus stellt sich natürlich auch die Frage "Ist der konfessionelle Religionsunterricht das Modell der Zukunft?". Dazu gibt es besonders in der wissenschaftlichen Religionspädagogik vielfältige Überlegungen, auch empirische Untersuchungen dazu, wie man Religionsunterricht möglicherweise weiterentwickeln könnte, auch in Hinblick auf konfessionell kooperative Formen oder noch weitergedacht, auch auf interreligiöse Formen. Ich glaube, hier braucht es noch gute Überlegungen dazu, wie sich ein Religionsunterricht der Zukunft positionieren kann, gerade auch im Hinblick auf die heterogene Schülerinnen- und Schülerschaft. Dabei kann auch ein Blick über die Grenzen Österreichs helfen: So ist beispielsweise in Deutschland in mehreren Bundesländern konfessionell kooperativer Religionsunterricht eingeführt, in Hamburg findet das Modell des "Religionsunterrichts für alle" statt. Mit Blick auf den deutschsprachigen Raum, aber auch noch darüber hinaus, kann man überlegen, welche auf den Kontext Österreich bezogene Modelle entwickelt werden könnten. Hier sollte es auch keine Denkverbote geben, sondern wirklich die Überlegung, wie es gelingen kann, dass Schülerinnen und Schüler religiöse Bildung, die ein Teil des Bildungsauftrags von Schule ist, im Kontext Schule mitbekommen können."
Prof. Helena Stockinger, KU Linz
Religionsunterricht als Ort der Friedenserziehung
Baghajati: "Stichwort Vielfalt: Hier möchte ich natürlich auch auf die inner-muslimische Vielfalt eingehen. Wir haben ein Klassenzimmer, das höchst divers ist, nicht nur wegen der ethnischen Hintergründe. In früheren Jahren war es stark türkisch geprägt, in den Neunzigern sind viele Menschen mit bosnischen Wurzeln durch den damaligen Krieg dazugekommen, Arabisch hat immer eine Rolle gespielt, seit 2015 Syrien, wir haben Kinder und Jugendliche aus Afghanistan. Die Klasse ist also höchst divers. Nicht nur vom ethnischen Hintergrund, sondern auch vom Religionsverständnis der verschiedenen Traditionen. Stichwort Hanafiten, Schafiiten, Malikiten und Hanbaliten, um die vier sunnitischen Traditionen zu nennen, aber auch im schiitischen Spektrum. Und das ist eine Besonderheit, von der ich finde, dass sie auch international noch stärker wahrgenommen werden sollte, weil wir hier etwas modellhaft es in Österreich leisten, wenn Kinder von sunnitischen und schiitischen Background gemeinsam in einem islamischen Religionsunterricht sitzen. Und hier wird tatsächlich oft etwas geleistet, was man auch als eine Art Friedenserziehung beschreiben kann. Denn da bricht manchmal etwas auf, was sonst in der Schule gar nicht wahrgenommen wird. Schüler können ihren religiösen Hintergrund im Religionsunterricht entdecken, der dieses pluralistische Herangehen auch als Ziel hat. Es ist ein Ziel, mit einer pluralen Gesellschaft besser umgehen zu können; und das startet auch mit dem inner-Muslimischen Diskurs. Und wir sehen anhand der Fragen der jungen Menschen, dass in Transformationsprozessen auch Antworten von gelehrten Seite notwendig sind. Wir sagen oft "Die richtige Frage ist die Hälfte der Wissenschaft". Ich würde mir oft wünschen, dass Gelehrte reingezoomt würden in ein Klassenzimmer und hören könnten, wie junge Menschen denken, welche Fragen sie haben. Denn das ist ein ganz großer Schatz, gerade auch für den inner-muslimischen Diskurs."
Es gibt oft die Debatten rund um weg von Religion aus der Schule, das Kreuz soll weg oder jede Form von religiöser Bekleidung oder religiösen Symbolen, egal ob Schmuck oder T-Shirt. Jetzt frage ich mich: Was würde denn das bringen? Sind Sie ein Fan davon, dass es zwar religiösen konfessionellen Unterricht gibt, aber dafür ist die Schule sonst religionsfrei? Soll Religion komplett weg aus der Schule?
Stockinger: "Also ich glaube erstens, dass religiöse Bildung ein Teil des Bildungsauftrags von Schule ist und religiöse Bildung im Kontext von Unterricht, wie auch immer dieser dann konkret aussieht, in der Organisationsform einen Raum haben sollte. Ich sehe es im Sinne eines allgemeinen Bildungsverständnisses und auch Auftrag für ein friedliches Zusammenleben, dass sich Personen mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen miteinander auseinandersetzen. Zweitens glaube ich, dass Religion auch im Kontext Schule eine Rolle spielt, und zwar deswegen, weil Personen aufgrund ihrer religiösen, weltanschaulichen Einstellungen diese in die Schule einbringen. Das heißt, Religion kommt in Schule vor, auch wenn Schule selbst das vielleicht nicht möchte oder die in der Schule handelnden Personen oder verantwortlichen Religion aus der Schule hinausdrängen. Sobald Personen in der Schule sind, denen Religionen und religiöse Einstellungen wichtig sind, ist Religion in der Schule präsent. Schule kann dann entscheiden, wie sie damit umgeht und sie kann entscheiden lassen, wie Religionen sichtbar werden. Schulen haben dadurch auch eine Chance, mit Religion umzugehen, religiöse Vielfalt wahrzunehmen, miteinander vielleicht auch Konflikte durchzustehen, dadurch aber auch zu wachsen. Oder beschließen wir, dass wir versuchen, Religion möglichst zu verdrängen, einen Ort aus Schule zu machen, der möglichst frei von Religion ist? Natürlich nimmt sich Schule dann Lebenschancen. Religion ist für manche Menschen ein Teil, der wesentlich zum Leben dazugehört, sagt Schule. Wenn dieser Teil nicht sichtbar sein darf, dann grenzt sie in gewisser Weise auch einen Teil der Menschen aus."
"Religion kann man aus der Schule nicht einfach ausklammern"
Baghajati: "Ja, ich kann dem nur voll und ganz beipflichten und möchte auch daran erinnern, die schon erwähnten Ziel-Paragrafen österreichischer Schule, also das Schulunterrichtgesetz, Paragraf zwei, aber auch Artikel 14 (5a) der Bundesverfassung. Die sprechen noch von Religion. Und das sollen wir bitte nicht vergessen. Das ist im Verfassungsrang, dass eben an auch religiösen und moralischen Werten orientiert junge Menschen herangeführt werden, Verantwortung übernehmen zu können. Religion kommt also in der Schule vor. Das kann ich nicht einfach ausklammern. Und ich bin sehr froh, dass wir in Österreich ein Modell haben, wo Säkularität als ein Kooperationsmodell zwischen Religionsgemeinschaften und Staat gedacht wird und nicht als ein strikter Laizismus. Das ist damit auch die Chance, dass junge Menschen ganz selbstverständlich auch mit der Sichtbarkeit von Religion konfrontiert werden, und dies im praktischen Zusammenleben wirklich einüben können. Wie sollte ich das schaffen, wenn ich den religiösen Hintergrund, den Menschen nun mal mitbringen, nicht mehr mitdenken würde? Dass es Menschen gibt, die ganz bewusst sagen "Ich brauche Religion nicht, ich fühle mich wohl in der Gruppe weltanschaulich geprägter", ist etwas Entscheidendes. Und ich denke, Religionsgemeinschaften, die sich in Österreich so viel Kompetenz erarbeitet haben, sind da sehr gut aufgestellt von sich aus auf die Kolleginnen und Kollegen des Ethikunterrichts zuzugehen. Gerade bei Projekten oder im Bereich von Schulveranstaltungen, kann vieles interreligiös und offen gestaltet werden."
Carla Amina Baghajati, Schulamt der IGGÖ
Sie haben es schon angesprochen: Seit einem Jahr gibt es den Ethikunterricht. Wie empfinden das die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen? Ist es eine Konkurrenzveranstaltung zum Religionsunterricht? Ist es eine Bereicherung?
Baghajati: "Wenn man das Feuilleton verfolgt, sind da zum Teil sehr hitzige Debatten aufgebrochen, zum Teil auch sehr polarisiert. An den Schulen selbst ist es oft sehr viel entspannter, denn wenn Menschen zusammenarbeiten sowie guten Willen und Kollegialität mitbringen, ergibt sich vieles auf einer niederschwelligen, einfachen menschlichen Basis. Und da kommen die angesprochenen Kooperationen dann auch in Gang. Der Gesetzgeber hat dazu beigetragen, dass das erleichtert wird, in dem etwa auch in dem entsprechenden Durchführungserlass angegeben ist, nach Möglichkeit Ethik- und Religionsunterricht im Stundenplan parallel zu setzen. Und das macht dann auch das Kooperieren leichter, dass man sich mal gegenseitig besucht im Unterricht oder gemeinsame Aktivitäten stattfinden können. Interessant finde ich, dass etliche Religionslehrerinnen und -lehrer sich entschieden haben, auch die Ethik Ausbildung zu machen. Das war ja auch eine Diskussion: Geht das überhaupt? Ist das glaubwürdig, dass ein Religionslehrer Ethik unterrichtet? Auch das entscheidet die Praxis, und ist oft eine Vertrauenssache. Und wir freuen uns natürlich, wenn Schuldirektoren von sich aus auf Religionslehrer zugehen. Diesen Fall haben wir auch in Bezug auf muslimische Religionslehrkräfte, zum Teil auch auf sichtbare Muslime. Ich denke hier an die Frauen, die auch durch ihre Begleitung sichtbar muslimisch sind und gleichzeitig auch einen Ethikunterricht geben."
Wann kommt der Ethikunterricht für alle Schulstufen?
Stockinger: "Von der wissenschaftlichen Religionspädagogik wurde der verpflichtende Ethikunterricht ersehnt und wir haben uns darüber gefreut, dass dieser nun auch wirklich eingeführt ist. Wir hoffen, dass das auch wirklich auf alle Schulstufen ausgedehnt wird. Die Kooperation Religionsunterricht und Ethikunterricht wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren noch verstärken und hoffentlich ausgebaut werden, weil die beiden Fächer sehr ähnliche Anliegen verfolgen, gerade mit Blick auf ethische Bildung. Dass sich Personen mit unterschiedlichen Zugängen, unterschiedlichen moralischen Vorstellungen auseinandersetzen und sich auch dazu in ein Verhältnis setzen lernen, sind sehr ähnliche Zielsetzungen und dementsprechend ist zu hoffen, dass hier starke Kooperationen auch stattfinden. Beim Thema Konkurrenz haben wir die Anmeldezahlen im Blick, denn ein gewisses Konkurrenzverhältnis gibt es zwischen allen Fächern momentan bei der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung aufgrund der sinkenden Studierendenzahlen. Aber das betrifft jetzt nicht ausschließlich Ethik, sondern generell alle Fächer."
Baghajati: "Vielleicht noch ein Nachsatz: Es ist auch befruchtend, wenn Ethikunterricht jetzt wirklich etabliert wird. Beispielsweise haben die Schulämter alle die ethische Dimension in ihren Lehrplänen noch mal extra herausgefiltert. Und das ist auch auf der Homepage des Bildungsministeriums nachzulesen. Finde ich ein sehr schönes Projekt und kann vielleicht ein interessanter Hinweis für Kollegen im Ethikunterricht sein da mal reinzuschauen und gleich Ideen zu bekommen."
Meine nächste Frage richtet sich auch gleich wieder an Sie, Frau Carla Amina Baghajati. Heuer bzw. nächstes Jahr gibt es ein großes Jubiläum: 40 Jahre islamischer Religionsunterricht. Dieser wurde 1982/83 zum ersten Mal eingeführt worden ist. Was ist in diesen letzten 40 Jahren passiert? Wie hat sich dieser Religionsunterricht verändert?
Baghajati: "Ich würde mit einer geänderten Erwartungshaltung - auch aus dem Elternhaus - ansetzen. Als es eingeführt wurde, haben viele Eltern wohl ein Stück Heimat-Unterricht erwartet. Das war noch eine Generation von Menschen, für die die Migration noch recht frisch war und die Interesse hatten, dass die Kinder so eine Art kulturelles "Da bin ich zu Hause Gefühl" erleben. Wenn man einen Taferlklassler fragt "Was ist deine Religion?", ist früher zum Beispiel oft als Antwort "Türkisch" gekommen. Das hat sich geändert und ich finde das sehr gut. Es kann auch den großen Wert des islamischen Religionsunterrichts zeigen und dass auf einer emotionalen Ebene auch eine Zugehörigkeit zu Österreich entwickelt wird. Eltern haben heute erkannt, dass der islamische Religionsunterricht, indem er auch auf Deutsch stattfindet, die Sprachfähigkeit von jungen Menschen stärkt. Selbst wenn sie einen Moscheeunterricht besuchen, selbst wenn sie zu Hause vielleicht eher in einer anderen Sprache über Religion reden, im islamischen Religionsunterricht sprechen sie auf Deutsch und brauchend damit ein eigenes Vokabular. Die Sprache schafft auch emotional einen Bezug, im Sinne von "ich bin eben hier nicht fremd". Ich könnte natürlich jetzt auch lange darüber sprechen, was sich in der Religionspädagogik seither alles getan habe. Aber da ist Helena Stockinger genauso da. Die Religionspädagogik ist noch relativ jung und ich bin natürlich sehr froh, dass wir methodisch und didaktisch Riesensprünge gemacht haben. Andere Unterrichtsmaterialien, Kompetenzorientierung, ausgebildete Lehrer. Denn anfangs hatten wir keine Lehrerausbildung."
"Es geht um religiöse Mündigkeit"
Ich komme jetzt schon zu meiner letzten Frage an Sie beide: Wenn man Menschen nach ihrem Religionsunterricht fragt, habe ich das Gefühl, es hat jeder eine Meinung dazu. Ist wahrscheinlich anders als Mathe oder Englisch oder Geografie. Zum Religionsunterricht hat meistens jede und jeder eine Meinung, oft ganz negativ, selten total positiv. Und jetzt habe ich mich gefragt: Was sollte sich denn da jetzt ändern, dass der Religionsunterricht als etwas Positives, Freudiges, auch als eine Form der religiösen Wissensvermittlung angesehen wird?
Stockinger: "Wenn wir auf die pädagogisch didaktische Entwicklung der letzten Jahre blicken, die in der wissenschaftlichen Religionspädagogik - sowohl katholisch, evangelisch, islamisch - zeigt sich, dass sich sehr viel getan hat im Kontext des Religionsunterrichts. Wir haben hier unterschiedliche pädagogische, didaktische Konzepte theoretisch ausgearbeitet. Teilweise sind manche noch nicht vollkommen in der Praxis angelangt. Das müssen wir leider sagen. Das heißt, gerade wenn Personen auch im Religionsunterricht den Eindruck haben, dass eine Glaubensvermittlung stattfinden sollte. Das kann ich jetzt explizit für den katholischen Religionsunterricht ausschließen. Katholischer Religionsunterricht möchte nicht Glauben vermitteln. Katholischer Religionsunterricht möchte, dass Personen Glaube, Religion kennenlernen und sich dazu in ein Verhältnis setzen können; dass ein Raum geschaffen wird, wo miteinander auch über existenzielle Fragen gesprochen werden kann, wo religiös theoretische Impulse auch von Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden, wo Perspektivenwechsel stattfindet. Also er möchte einen Raum eröffnen, wo Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch kommen, von und miteinander lernen und sich in ein Verhältnis setzen zu Religion und Glaube. Religionsunterricht. Ich möchte nur nochmal ausdrücklich betonen, weil das immer wieder, teilweise auch in Medien so verstanden wird. Religionsunterricht möchte nicht, dass Personen nach dem Religionsunterricht gläubige Menschen sind, sondern Religionsunterricht möchte, dass Personen im Anschluss sich in ein Verhältnis setzen können zu Glaube und Religion."
Baghajati: "Das könnte ich unterschreiben und möchte ergänzen, es geht wirklich um eine religiöse Mündigkeit. Es geht darum, junge Menschen fit zu machen, dass sie das, was sie an religiösem Wissen mitbekommen haben, nicht nur zur eigenen Konfession, sondern auch zu anderen Konfessionen. Religiösen Analphabetismus wäre nämlich wirklich fatal. Wir können eigentlich Europa in der ganzen Komplexität auch die Welt nur verstehen, wenn da auch eine gewisse religiöse Bildung dabei ist. Und hier Menschen fit zu machen, mündige Entscheidungen zu treffen, Einordnungen zu treffen, das kann ein Religionsunterricht leisten. Für den Islam leistet der konfessionelle Religionsunterricht, gerade auch in der Bearbeitung der muslimischen Vielfalt, etwas ganz Entscheidendes, auch in einer Entwicklung, dass man spürt "Ich bin muslimisch und ich bin gleichzeitig österreichisch europäisch". Es geht zusammen, muslimisch zu sein und ja zu sagen zu Pluralismus, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit."