"Nun sag', wie hast du's mit der Religion?" - Zur Debatte um die "Islam-Landkarte"
Foto: Screenshot "islam-landkarte.at"
Podcast vom 8. Juni 2021 | Gestaltung: Henning Klingen*
"Die Landkarte zeigt die Vielfalt der Einrichtungen in Österreich. … Es geht uns nicht darum, einen Generalverdacht über die Musliminnen und Muslime in Österreich zu stülpen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen aufzeigen, dass es eine Trennlinie gibt zwischen dem Islam als Religion und dem politischen Islam als gefährliche Ideologie."
Es hätte die Präsentation eines Prestige-Projekts der Regierung in Sachen Kampf gegen religiösen Extremismus werden sollen – und es geriet zum Debakel: Die Rede ist von der sogenannten "Islam-Landkarte", die die zuständige Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) in dem O-Ton vorgestellt und Ende Mai der Öffentlichkeit präsentiert hat. Kein Generalverdacht gegenüber "den Muslimen", sondern ein Hinweis auf die Vielfalt des Islams in Österreich – das war die Idee.
Der Hinkefuß: Präsentiert wurde das ganze unter dem Label der "Dokumentationsstelle Politischer Islam". Oder zugespitzt formuliert: Eine Einrichtung, die sich der Dokumentation von "religiös motiviertem politischen Extremismus" verschrieben hat, präsentiert eine Landkarte, die nicht etwa "nur" zweifelhafte, eindeutig dem Extremismus zuordenbare Einrichtungen verzeichnet, sondern flächendeckend exakt 623 islamische Vereine und Moscheen. Der Skandal war vorprogrammiert. Und damit herzliche willkommen zu einer neuen Folge von "Diesseits von Eden" sagt Henning Klingen.
Wer derzeit, also am 8. Juni 2021, die Website der Islam-Landkarte aufruft, findet dort eine Stellungnahme des Projektleiters Prof. Ednan Aslan vom Institut für islamisch-theologische Studien der Universität Wien. Die Website sei derzeit wegen eines IT-Wechsels offline. Zudem bedauere er es, dass es zu politischer Instrumentalisierung des Projekts gekommen sei, so Aslan. "Die Islamlandkarte wollte eine differenzierte Diskussion über das islamische Leben in Österreich ermöglichen und einen positiven Beitrag leisten. Es sollte die Vielfalt des islamischen Lebens in Österreich aufgezeigt werden – in all seinen Schattierungen."
Transparenz ja, politische Instrumentalisierung nein
Ähnlich hat auch die Leiterin der Dokumentationsstelle Politischer Islam, Lisa Fellhofer, die Karte und das gesamte Projekt verteidigt:
"Das Wichtige ist, Transparenz zu haben und auch im Sinne der Muslime und Musliminnen in Österreich Transparenz zu schaffen. Ich bin der Meinung, wenn man das sichtbar macht, wo muslimisches Leben in Österreich stattfindet, bringt das Muslime in die Mitte der Gesellschaft, macht sie sichtbar und kann zum Dialog beitragen. Gleichzeitig als Dokumentationsstelle Politischer Islam müssen wir genau hinsehen, welche Strukturen gefährlich sein könnten, welche Strukturen hier negativ beeinflussen könnten und dann auch darauf hinzuweisen, eben um solche Tendenzen des Zersetzens der Gesellschaft einzudämmen."
Ein Ziel, das auch im interreligiösen Dialog aktive Theologinnen und Theologen in Österreich unterstreichen. Wie etwa die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak:
"Aus einer wissenschaftlichen Perspektive sind Kartografien, die z.B. die religiöse Landschaft einer Stadt dokumentieren, durchaus bekannt und auch üblich z.B. in der Religionswissenschaft. Allerdings werden, soweit ich das sehe, solche Landkarten in der Regel mit den bevorstehen Personen und Communitys gemeinsam erstellt und das verlangt aus meiner Sicht zumindest die wissenschaftliche Redlichkeit und nicht zuletzt auch der Daten- und Grundrechtsschutz, wenn es z.B. um die Nennung von konkreten Personen geht. Eine Islam-Landkarte als solche wäre also noch kein Problem. Das eigentliche Problem sind der Kontext und das Framing, in dem diese Landkarte präsentiert wird, nämlich das islamfeindliche Klima in Österreich und die Präsentation durch die Dokumentationsstelle Politischer Islam. Den Kontext und das Framing muss man aber auch als Wissenschaftler, als Wissenschaftlerin bei einem an sich durchaus spannenden Forschungsprojekt immer mit reflektieren, weil wir seit Habermas wissen, dass wissenschaftliche Erkenntnis auch niemals objektiv und wertneutral, sondern von Interessen geleitet ist. Und diese müssen aus wissenschaftsethischen Gründen transparent gemacht werden."
Wissenschaft finde schließlich nicht im luftleeren Raum statt, sondern trage stets gesellschaftliche Verantwortung. Gewiss gelte es, religiösen Extremismus jeglicher Art einzudämmen bzw. zu bekämpfen, so Polak, aber brauche es dafür gerade im Umgang mit dem Islam Fingerspitzengefühl – denn islamfeindliche Einstellungen reichten inzwischen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und auch die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe gegen Musliminnen und Muslime in Österreich habe zuletzt deutlich zugenommen:
"Wenn nun also die Dokumentationsstelle in einer solch ohnedies schon angespannten Situation eine solche Islam-Landkarte veröffentlicht, kann das nur als politisch geäußerter Generalverdacht gegenüber allen Muslimen und Musliminnen wahrgenommen werden; nicht zuletzt von diesen selbst. Da verhallen dann auch sämtliche gut gemeinten Interpretationen ungehört und auch der Rekurs auf Wissenschaftlichkeit wird wenig helfen, weil alleine das Framing schon die Deutung vorgibt und das Interesse klar und eindeutig ist. Ob also das Mittel, mit dieser Islam-Landkarte den politischen Islam zu bekämpfen, wirklich hilfreich ist, darf doch bezweifelt werden. Eher habe ich den Eindruck, dass sich die Fronten weiterhin verhärten. Die aufgeheizte Diskussion in Österreich zeigt das deutlich: Das Sicherheitsrisiko für muslimische Einrichtungen steigt; und außerdem wird es weiterhin nahezu unmöglich, beide Probleme, also das Problem des politischen Islam und der Islamfeindlichkeit, gemeinsam zu diskutieren und für beides sachorientierte Lösungen zu finden."
Radikalisierung wird gefördert, nicht verhindert
Der evangelische Wiener Religionswissenschaftler Prof. Wolfram Reiss geht noch einen Schritt weiter: Durch die Vermischung von wissenschaftlichen Zielen mit polizeilichen und geheimdienstlichen Zielen bei der Bekämpfung von extremistischer Gewalt würden nicht nur wissenschaftliche Prinzipien verletzt, sondern die hinter dem Projekt stehenden Regierungsparteien würden letztlich Fundamentalismus und Radikalisierung damit zusätzlich fördern:
"Nicht nur werden polizeiliche und geheimdienstliche Ermittlungen mit akademischer Forschung unzulässig vermischt. Es geht um die pauschale Stigmatisierung und Diffamierung einer gesamten Religionsgemeinschaft. Eine anerkannte Religionsgemeinschaft wird pauschal an den Pranger gestellt. Mitbürgerinnen und Mitbürger werden aufgefordert, Informationen zu liefern, ihre Nachbarn zu denunzieren. Jeder, der meint, irgendwo islamistische Umtriebe zu sehen, soll das melden. Wer überprüft das eigentlich, bevor solche Informationen auf einer Islam-Landkarte landen? Nach welchen Kriterien wird es überhaupt eingestuft? Hier sind viele Fragen offen."
Es werde ein Denunziantentum befördert, das einem Spiel mit dem Feuer gleichkomme. Wolle man tatsächlich Radikalisierung verhindern, sollte man religiöse Bauten egal welcher Religion deutlich sichtbar in der Öffentlichkeit machen:
"Die Verhinderung von sichtbaren Bauten fördert fundamentalistische Ideen: Hätten wir z.B. in jedem Wiener Stadtbezirk eine schöne repräsentative Moschee statt 30 bis 40 versteckte Hinterhofmoscheen, so wäre das meines Erachtens einer der wichtigsten Beiträge, um islamistischen Umtrieben den Boden zu entziehen. Musliminnen und Muslime könnten nämlich dann feststellen, dass sie ein selbstverständlicher, akzeptierter Teil der Gesellschaft sind. Es ist die Politik, die mit der Verweigerung politischer und gesellschaftlicher Teilhabe auch maßgeblich zur Entstehung von Parallelgesellschaften und Radikalisierung beiträgt."
Zuckerbrot und Peitsche
Die Innsbrucker Theologin Michaela Quast-Neulinger und der Grazer Theologe Franz Winter werten sehen in der aktuellen Diskussion grundlegendere Probleme aufbrechen: nämlich jene einer ausstehenden Neujustierungen des Verhältnisses von Staat und Religion. Der Begriff "politischer Islam" werde "wider alle Wissenschaftlichkeit zum absoluten Frame der Diskussion um den Islam gemacht", so Quast-Neulinger:
"Wir erleben in Österreich seit mehreren Jahren, wie politische Akteure die Deutungshoheit über Religion erlangen wollen, sie instrumentalisieren. Einerseits wird ein säkularer Staat behauptet und Aufgabe eines solchen Staates ist es auch, Religionsgemeinschaften und Glaubenden einen Rahmen bereitzustellen, um das Zusammenleben in diesem Staat aktiv mitzugestalten. Andererseits wird dieser Rahmen immer mehr zum System von Zuckerbrot und Peitsche umfunktioniert. Folgt ihr, gibt es ein Zuckerl in Form medialer Aufmerksamkeit und politischer Zuwendung. Seid ihr widerständig, wagt ihr es zu kritisieren, möglicherweise auch legitime Kritik einzubringen, dann gibt's die Peitsche."
Der Grazer Religionswissenschaftler Prof. Franz Winter ortet in der Debatte eine "Stellvertreter-Diskussion": Was entlang der Debatte um die Islam-Landkarte deutlich werde, sei die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen Staat und Religion noch nicht ausdiskutiert ist. Die Gretchen-Frage – "Nun sag', wie hast du's mit der Religion?" – sie harre noch immer einer eindeutigen und alle Religionen gleichermaßen betreffenden Antwort:
"Zusammengefasst könnte man bei dieser aktuellen Debatte von einer Stellvertreter-Diskussion sprechen, die eigentlich auch in Bezug auf andere religiöse Traditionen geführt werden müsste und die uns gerade in der aktuellen Situation mit vielen Fragen konfrontiert, die möglicherweise in Zukunft in Bezug auf andere Religionen gestellt werden, weil man halt einfach eine andere Position gegenüber Religionen einnimmt, weil man nicht mehr jetzt von vornherein in einem religiösen Kontext drinnen ist, sondern eigentlich außerhalb dieses Kontextes steht und sich fragt: Welche Stellung hat eigentlich diese Religion oder dieser religiöse Kontext und wie stehe ich dazu? Und möglicherweise wäre, wenn man das so weiterdenkt, die Diskussion um den politischen Islam einfach nur ein Präludium einer Diskussion, die wir dann in Zukunft auch in Bezug auf andere religiöse Traditionen führen, bis hin zu den ganz bedeutenden und Haupttraditionen, die wir in Österreich als solche kennen."
"Die Debatte ist hilfreich"
In dieser Hinsicht kann auch Martin Rötting, Professor für Religious Studies an der Universität Salzburg, der Debatte etwas Positives abgewinnen: Die Diskussion um die Islam-Landkarte sei "sehr hilfreich", so Rötting, da sie einen Lernprozess initiiere, wie wir mit Stigmatisierungen umgehen können – und wie sensibel für politische Instrumentalisierungen selbst nüchterne wissenschaftliche Daten sein können:
"Ich glaube, es ist uns allen zu wünschen, dass diese Islam-Landkarten-Debatte uns dabei hilft, differenziert und konkret zuzuhören. Argumente nicht stakkatisch und verkürzt zu verwenden, sondern in einer ausgleichenden und differenzierten Gesprächskultur und Debatte verschiedene Seiten, Argumente, auch Ängste und Emotionen zu hören, aber nicht verkürzt zu transportieren und für die eigene politische Sendung zu instrumentalisieren. Die Debatte ist hilfreich. Die Landkarte ist nicht per se schlecht, aber manche ihrer Formulierungen helfen dazu, dass die Debatte verkürzt wiedergegeben wird."
Und damit sind wir am Ende dieser Folge von "Diesseits von Eden" angelangt. Vielen Dank fürs Zuhören sagt Henning Klingen.