Rassismus: (K)ein Kind der christlichen Kirchen?
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Podcast vom 9. Mai 2023 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
War Jesus wirklich weiß? Ist Gott wirklich ein weißer, alter Mann mit Bart im Himmel? Vielleicht müssen manche Podcast-Hörer:innen jetzt schmunzeln, aber so weit sind die Bilder nicht hergeholt. Darum spreche ich mit der Pastoraltheologin und OSZE-Sonderbeauftragten Regina Polak und dem evangelischen Neutestamentler Markus Öhler über Rassismus und weiße Fragilität in kirchlichen Strukturen.
Im Zuge der Rassismusdebatte heißt es oft, dass man gar nichts mehr sagen dürfe, alles verboten sei und auch das N-Wort nicht mehr ginge. Aber ist denn wirklich alles verboten, wenn es um einen sensiblen Umgang mit rassistischen Strukturen in der Kirche geht? Das frage ich gleich Regina Polak, denn sie ist die OSZE-Sonderbeauftragte für Rassismus und Antisemitismus.
Polak: "Ich glaube, dass die Frage nach einer verboten oder gebotene Sprache zu kurz greift. Denn wenn man sich mit Rassismus, seiner Entstehungsgeschichte und seinen nach wie vor wirklich manifesten Auswirkungen auf Menschen – mit anderer Hautfarbe, aber auch auf Muslime – und dann die eigenen rassistischen Strukturen in der eigenen Wahrnehmung entdeckt, dann wird man außerhalb von Ge- und Verbotskategorien denken. Dann ist eine veränderte Sprache eine Folge einer veränderten Sicht auf Menschen und ein Ausdruck davon, dass man sensibilisiert ist für Ungerechtigkeit und Ungleichheit infolge von Rassismus. Ich glaube, es bringt auch politisch relativ wenig. Auch im Bereich der OSZE ist die primäre Frage nicht die der Sprachregelung. Das ist etwas, was dort eigentlich kaum diskutiert wird, sondern es geht vorwiegend, um die Sicherung, Förderung und Wahrung von Menschenrechten gegenüber allen Menschen, unabhängig von Rasse, Religion, ethnischer Herkunft und geschlechtliche Identität. Das übersteigt eigentlich die Sprachfrage."
Warum ist die Gleichheit aller Menschen in kirchlichen Strukturen, was eigentlich angesichts der christlichen Nächstenliebe eine Selbstverständlichkeit sein sollte, noch keine Selbstverständlichkeit? Regina Polak, die Gleichheit aller Menschen, sollte ins Christentum eingeschrieben sein; gelebt wird sie aber noch nicht. Woran fehlt es?
Polak: "Ich glaube, auch das ist eine Frage des geschichtlichen Erbes. Also, wenn wir uns unsere Wertestudien-Ergebnisse anschauen, dann gibt es nach wie vor einen Zusammenhang zwischen der religiösen Einstellung und der Einstellung gegenüber Menschen aus anderen Kulturen oder Religion. Ich glaube, hier zeigt sich, dass christliche Kirchen nicht unabhängig von Gesellschaft existieren und gesellschaftliche Trends oder Dynamiken nicht an den Kirchentoren haltmachen, sondern dass die Gläubigen in den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften immer von ihrer Geschichte geprägt sind. Und zu dieser Geschichte gehört auch das Erbe des Rassismus und der damit verbundenen Wahrnehmung von Menschen. Wir wissen aus der europäischen Wertestudie, dass Menschen mit einer eher sehr traditionalistischen Religiosität, die keine religiöse Praxis haben und eher autoritär sind, auch eine signifikant hohe Neigung zu fremdenfeindlichen Einstellungen haben. Aber das ist nicht der einzige Faktor. Da wissen wir auch, dass ökonomische Fragen eine Rolle spielen, die Frage der politischen Einstellung, die Frage des Einkommens, die Frage des Geschlechts – dieser Zusammenhang ist bei Männern in der Regel stärker ausgeprägt als bei Frauen. Außerdem ist es eine Frage der Generation und bei älteren Menschen stärker ausgeprägt als bei jüngeren; und sogar die Frage der Konfession. Der Zusammenhang ist bei Orthodoxen stärker ausgeprägt als bei Protestanten. Die Katholik:innen sind bei der Mitte. Man sieht hier sehr, sehr deutlich, dass Religiosität eingebettet ist in eine geschichtliche und gesellschaftliche Dynamik."
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Ich gebe das Wort gleich an Markus Öhler weiter. Regina Polak hat über gesellschaftliche Traditionen und Geschichte gesprochen. Und da frage ich mich: Wann ist die Entwicklung gewesen, dass Jesus weiß geworden ist? Wahrscheinlich hat es einen weißen Jesus nicht geben können? Ist der weiße Jesus ein Zeichen einer rassistischen Struktur? Also wie und wann ist Jesus weiß geworden? Und ist das eine europäische Inkulturation, die man wieder rückgängig machen kann?
Öhler: "Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass es eine Inkulturation ist. Es ist eine Inkulturation in das römische Bildmotiv des Mannes, der dafür sorgt, dass Leute behütet werden oder eines Lehrers. In diesen Darstellungen, in denen wir zum ersten Mal auch Farbe haben – in den Katakomben - ist Jesus als ein weißer Mann dargestellt. Weil man sich halt gedacht hat, dass er so ausschaut, oder dass er so dargestellt werden sollte, weil es das kulturelle Umfeld der Betrachter:innen war. Insofern schaut ein Jesus in einem äthiopischen Kontext aus, wie ein Äthiopier und nicht wie ein weißer Mann. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Aber natürlich ist es so, dass im Christentum, das sehr stark von dem nordwestlich europäischen Kulturraum geprägt worden ist, das weiße Bild weitergetragen und verfestigt wurde. Und als die Missionsreisen dann losgegangen sind, ist dieser weiße Jesus in alle Weltgegenden gebracht worden. Die Missionare haben auch selten darüber nachgedacht, ob das überhaupt passt. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, das wird in der gegenwärtigen Diskussion immer vorgebracht, dass der weiße Jesus eine Herrschaftsfigur ist. Auch die Missionare selbst waren weiß und haben sich so präsentiert. Das hat sich verfestigt. Die Frage ist für mich, ob das Christentum jemals ohne solche Vorstellungen gewesen ist. Auch wenn wir ins Neue Testament hineinschauen, gibt es Stereotypen über bestimmte Völker. Wenn wir an die frühe Ausbreitung des Christentums denken, dann ist man die Länder der sogenannten Barbaren ist aufgebrochen, um auch dort das Evangelium zu verkündigen. Und es gibt auch starke Vorbehalte gegenüber anderen Völkern, die immer wieder zum Ausdruck kommen. "Alle Zyprioten lügen", heißt es im Titus Brief. Insofern ja, da findet sich schon so was. Und das gehört, wie Regina Polak ganz richtig gesagt hat, einfach zu der kulturellen und gesellschaftlichen Prägung von Anfang an dazu. Und es ist dann einfach auch verstetigt und stärker gemacht worden."
Polak: "Wobei ich in dem Zusammenhang darauf hinweisen möchte, wovon reden wir, wenn wir von Rassismus reden? Der Rassismusbegriff, so wie wir ihn heute verwenden, ist ein spezielles Konstrukt – nicht von der Kirche, sondern von weißen Herrschern und insbesondere von der Wissenschaft – der sich deutlich unterscheidet von Vorurteilen, Strukturen oder Fremdenfeindlichkeit, wie wir sie in der Geschichte davor finden. Also Rassismus heute würde ich eher als ein politisches Ordnungskonstrukt bezeichnen, das sich an unterschiedlichen Differenzlinien festmacht. Das kann die Hautfarbe sein, das können auch religiöse oder soziale Kategorien sein. In jedem Fall dient eine kollektive Beschreibung einer anderen Gruppe dazu, diese legitimerweise von Recht- oder von sozialen Teilhabemöglichkeiten auszuschließen. Und ich würde die Hauptverantwortung dann nicht den Kirchen geben. Was man kritisch anmerken muss, ist, dass sie im Wind mit gesegelt sind. Also in der Geschichte des Kolonialismus waren die Hauptakteure nicht die christlichen Kirchen, sondern die hatten aus der Sicht der damaligen Akteure ein Anliegen, das man aus heutiger Sicht nicht gutheißen, aber verstehen kann, weil es ihnen darum ging, die Seelen zu retten. Es gab auch immer wieder Widerstand unter den christlichen Akteuren im Verlauf der kirchlichen Geschichte. Ich denke an den Bartholomäus de las Casas in der Auseinandersetzung, ob schwarze Menschen Sklaven oder überhaupt Menschen sind? Da gab es schon auch immer wieder Stimmen, die sich da im Rekurs auf die Gleichheit aller Menschen kritisch zu Wort gemeldet haben. Also der kirchliche und der theologische Anteil ist, dass hier zu wenig Widerstand geleistet wurde und man im Windschatten von Machtinteressen mitgesegelt ist. Aber der Rassismus ist kein Kind der christlichen Kirchen."
Wenn Rassismus kein Kind der Kirche oder des Christentums ist, bleiben trotzdem Fragen offen. Sie haben beide gesagt, dass Stereotype und Vorurteile in dieser Religion eingeschrieben sind. Es hat Vorurteile und Stereotype im Neuen Testament sowie im Alten Testament gegeben. Es hat den kirchlichen, christlichen Anteil an Sklaverei gegeben, an sonstigen rassistischen oder faschistoiden Systemen. Wie soll jetzt die Theologie 2023 damit umgehen?
Öhler: "Also eine Idee ist, dass man als weißer Theologe, wirklich darauf hört, wie andere Theologien ausschauen, dass man ihnen eine Stimme gibt. Man merkt es jetzt verstärkt, dass es Bemühungen dafür gibt, Theolog:innen aus anderen Kulturen einzuladen, aus Afrika, aus Südamerika und so weiter, um sie wirklich auch in ein Gespräch hineinzubringen und nicht als die, denen man immer gegenüber fremd dasteht, zu betrachten und die man mit einer gewissen Verwunderung zuhört. Ich glaube, das funktioniert manchmal mehr, manchmal weniger, weil einfach Kulturunterschiede offengelegt werden. Also man muss auch sagen, dass die Theologie sich in vielen Bereichen, hauptsächlich im 20. Jahrhundert, weiterentwickelt hat, was das Bewusstsein gesellschaftlicher Phänomene angeht. Dass es dann natürlich auch Konfliktlinien mit Theolog:innen aus Afrika oder aus Asien geben kann, ist klar. Dennoch wäre es wichtig, dass man sie thematisiert. Wir machen im Sommer einen Kongress von Neutestamentler:innen in Wien, wo es zum Programm dazugehört, Leute aus Gegenden mit hineinzunehmen, denen es nicht so leicht möglich ist, nach Europa zu kommen und dieses Gespräch zu fördern. Insofern tut sich da was. Aber es könnte noch sehr, sehr viel mehr sein."
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Polak: "Also ein Punkt ist die selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Theologiegeschichte. Die findet schon statt. Ich nenne die postkolonial-theologischen Ansätze, die auch mittlerweile Gott sei Dank endlich im deutschsprachigen Raum rezipiert werden – nicht zuletzt von jungen Wissenschaftler:innen, die sich dieser Thematik widmen. Da ist, glaube ich, im deutschsprachigen Raum die Luft nach oben noch offen. Also da gibts noch weiter Entwicklungsbedarf, das zu rezipieren. Das andere ist, sage ich, etwas praktische Theologen, sich auch anzuschauen, wie sich theologische Systeme oder einzelne theologische Gedanken und Theorien, in der Praxis ganz konkret aus? Also ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Theologien immer auch selbst inkulturiert sind und damit Denkformen oder Strukturen befördern und transportieren können, die nicht als eine Art Hoppala, sondern systemisch rassistische Einstellungen befördern. Also da müsste man sich immer den Zusammenhang theologischer Theorie und ganz konkreter christlicher und kirchlicher Praxis anschauen. Ein dritter Punkt ist für mich die Frage nach dem Umgang mit kulturellen Unterschieden, weil die Unterschiede oder das Anderssein nicht das Problem sind. Ganz im Gegenteil. Also aus einer transkonfessionell-katholischen Perspektive gibt es das Christentum nur in unterschiedlichen inkulturierten Formen. Die Schwierigkeit, und das ist ein möglicher Anknüpfungspunkt an rassistische Vorstellungen, sind dann Höherwertigkeitsvorstellungen. Also wenn man beginnt, die Unterschiede zu hierarchisieren und dann ist zufällig die jeweils eigene Position, die höhere, die bessere und daher auch die anzustrebende. Das aber heißt nicht, Unterschiede zu verwischen oder zu verharmlosen, sondern sich hier wirklich mit Unterschieden auseinanderzusetzen. Für die Katholik:innen, die hier zuhören, denke ich mal, wäre es wichtig, sich die Stellungnahme des katholischen Lehramts zum Rassismus anzuschauen. Die gibt es nämlich auch schon seit Längerem, allen voran von Johannes Paul II. Dieser hat sich mehrfach klar geäußert, dass der Rassismus in jeder Form eine Verletzung, zum einen des Glaubens und der Überzeugung von der Gleichheit aller Menschen ist, Stichwort Ebenbild des Menschen. Und zum anderen eine Verletzung der Einheit der Menschheit darstellt. Das kommt als unterschiedliche Paraphrasierungen in verschiedenen Texten immer wieder vor. Das kennen aber viele unserer Gläubigen hierzulande nicht."
Markus Öhler, Sie haben vorher von Stereotypen und Vorurteilen im Neuen Testament gesprochen. Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und sagen, die Bibel ist eine rassistische Lektüre oder strotzt nur so von Vorurteilen. Es sind aber trotzdem Stellen dabei, die man mit dem heutigen Auge und Wissen sensibler liest. Wie gehe ich jetzt als Christ:in im Jahr 2023, mit solchen Stellen um? Was ist Ihre Empfehlung?
Öhler: "Diese Stellen sind natürlich weit diskutiert und die Umgangsformen damit sind ganz unterschiedlich. Ich glaube, man sollte sie nicht rausstreichen oder politisch korrekt umformulieren, weil damit die Geschichte, aus der sie kommen, verdeckt wird. Also man kann ganz ehrlich sagen, was da eigentlich steht und sich das eingestehen. Zweitens ist es wichtig zu verstehen, in welchem historischen Kontext solche Texte stehen und sie mit anderen Texten – auch nicht christlichen – zu vergleichen, um zu sehen, dass sie an den vielen Vorurteilen, die gegenüber anderen Völkern und Menschengruppen bestanden, partizipieren. Und drittens muss man daraus lernen, seine eigenen Flecken in den Blick zu nehmen und zu fragen: Wo sind denn die Aussagen, die in unserer Zeit passieren, die vielleicht auch mir selbst passieren? Das ist das, glaube ich, worauf uns diese Texte verweisen können. Denn es ist nichts ideal, sondern es gibt immer noch etwas zu bearbeiten. Das betrifft in der Theologie einen großen Teil der neutestamentlichen Exegese, die bis weit in die 70er und 80er-Jahre antijudaistische antisemitische Stereotypen weitergeführt hat. Und auch heute findet man das noch in etlichen populären Büchern. Hier ist noch wirklich viel, viel Arbeit zu machen. Und man kommt dieser Sache nicht aus, indem man einfach diese Stellen streicht, sondern man muss sie aufarbeiten. Das war ganz wichtig."
Polak: "Ich würde dieses Thema auch am Fremdenethos und am Fremdenrecht im Alten Testament festmachen. Da gibt es natürlich auch extrem fremdenfeindliche Stellen, die werden dann immer schamhaft verschwiegen und die andere Seite sehr stark gemacht, also dass der Fremde auch Rechte im Gemeinwesen Israels hat und du ihn wie deinen Nächsten lieben sollst. Das wird stark gemacht, dass andere eher peinlich verschwiegen. Wenn man sich das genauer anschaut, ist interessant, gegen welche Gruppen sich die fremdenfeindlichen Texte im Alten Testament richten. Und da geht es weniger um die Kulturfrage, weil die Frage heterogener Kultur im Alten Testament eigentlich normal war, sondern es geht eigentlich um Macht- und Reichtumsfragen. Das heißt, die fremdenfeindlichen Texte richten sich vor allen gegen jene Gruppierungen oder Völker, die aufgrund ihres Reichtums, wie Händler oder heute würde man sagen kapitalreiche Personen, die mit ihrer Kultur und ihrem Reichtum die Identität Israels bedrohen. Das ist zwar auch nicht fein, aber das macht es nachvollziehbarer. Weil man dadurch sieht, der Kern der Kritik oder der Begriff des Fremden im Alten Testament ist gar nicht so sehr ein Kulturbegriff, sondern eine Frage nach den Rechten von fremden Personen. Und wenn ich jetzt als praktische Theologin die Heilige Schrift lese, lese ich sie lerntheoretisch. Hier empfinde ich es als interessant, dass man an der Geschichte dieser Texte sehen kann, dass das Ethos, das in der Genesis formuliert wird – der Mensch als Abbild Gottes – damals dermaßen revolutionär war, dass man sich das heute gar nicht mehr vorstellen kann. Revolutionär war auch die Konzeption eines Rechtscorpus, für fremde Menschen, die vulnerabel sind, und nicht nur eines Duldungscorpus. Und wenn wir uns heute anschauen, wenn man antirassistische Kampagnen macht, das dauert es auch ziemlich lange, bis das akzeptiert wird. Ich lese die Heilige Schrift als ein Buch, in dem man den Lernprozess beobachten kann, wie das Volk Gottes Schritt für Schritt und mühsam und mit vielen Rückschlägen lernt, die von Gott geoffenbarte Rechtsordnung im Blick auf Fremde zu verstehen, zu lernen und einzuüben."
Ich habe mich bei der Vorbereitung zu diesem Podcast gefragt, ob nicht der Rassismus für weiße Menschen sehr schwierig ist zu begreifen, weil wir ihn nicht erfahren. Wir sprechen auch hier auf einer Metaebene über ein Thema, das primär People of Color betrifft. Uns hauptsächlich von außen, weil wir uns dafür interessieren. Wir alle drei, wir, die wir hier sitzen, sind weiß und sprechen über Rassismus und die historische Aufgabe, die die Kirchen haben. Ich empfinde das als ein Dilemma. Wie geht es Ihnen damit?
Öhler: "Ich denke, die Problematik ist dabei, dass es entweder in eine Metaebene oder in eine etwas patriarchale Ebene rückt; man übernimmt, sozusagen die armen People of Color hinein, die sich sonst nicht so helfen wissen oder so. Also das ist ganz problematisch, auch wenn es gut gemeint ist, natürlich, aber das ist sehr, sehr schwierig. Und ich glaube, dass die Strategie, People of Color wirklich zu Wort kommen zu lassen, ihre eigenen Auslegungen biblischer Texte zu hören, ihre eigene Theologie darstellen zu lassen und sich die als Beobachter wirklich mal konkret vor Augen führen zu lassen. Das wirkt am besten, gegen dieses Gefühl, als ob wir jemanden beobachten, mit dem wir eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. James Cone (amerikanischer Theologe) hat unter anderem die Lynchmorde in den USA mit der Kreuzigung Jesu verglichen und gesagt, dass die Schwarzen in den USA viel stärker nachempfinden können, was das eigentlich bedeutet, als Weiße. Und ich glaube, er hat völlig recht damit. Und sich das erst einmal einzugestehen, was Sie angesprochen haben, dass wir eigentlich über Rassismus aus einer Beobachterperspektive reden, ist schon ein wichtiger Schritt dazu, um das zu überwinden."
Polak: "Also ich glaube, das Gottesbild ist das geringste Problem, das wir haben mit Blick auf Rassismus. Wenn ich mir da unsere empirischen Studien anschaue oder auch die Forschung zu Gottesbild mittlerweile gibt, da findet so ein massiver Umbruch statt. Das größere Problem ist, dass Gott personalisiert wird. Man glaubt eher an eine höhere Macht, an eine Energie oder versucht Gott zu fassen als eine Wirklichkeit, die jenseits von Geschlecht und anderen irdischen Wirklichkeiten ist. Das Gottesbild ist, glaube ich, nicht das Hauptproblem. Sozialwissenschaftlich ist das viel größere Problem, dass Religion in unseren Breitengraden, also in europäischen Breitengraden, wieder ganz stark als nationaler und kultureller Identitätsmarker benutzt wird. Und das heißt, was wir auch in der Forschung belegen können, zur Abgrenzung und zur Ausgrenzung von migrantischer und islamischer Religiosität. Rassismus zeigt sich heute nicht mehr in seiner biologistisch argumentierenden Form, sondern eher in Kulturrassismus und lebt vom Konzept, dass es höherstehende und weniger hochstehende Kulturen gibt. Das haben wir teilweise auch innerkatholisch; ich brauche jetzt nur an den Umgang mit anderssprachigen Gemeinden oder anderssprachigen Priestern denken. Da gibt es massive Probleme in dieser Hinsicht und das wäre eigentlich ein riesiges Übungsfeld, sich das anzuschauen. Das, was Sie angesprochen haben, dass Ihnen das selbst so unangenehm ist, kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen. Die große Herausforderung ist, sich wahrzunehmen, wie stark man selbst, ob man das will oder nicht, von rassistischen Wahrnehmungsformen geprägt ist. Ich bin in Ottakring aufgewachsen, das war immer schon ein „Ausländer Bezirk“ und da hat man als Kind mit der Muttermilch aufgesogen, dass man beispielsweise mit den jugoslawischen Kindern im Park nicht spielt. Da ist das Wort Rassismus nie gefallen. Aber mir war als Kind rasch klar, dass es hier Hierarchien gibt, auch in der Kinderpopulation und dass man als Kind aufpassen muss, mit wem man spielt. Und das ist natürlich unglaublich schmerzhaft, wenn man das wahrnimmt, wie sehr einen das geprägt hat und dass einem dann auch auf der sprachlichen Ebene immer wieder Sätze herausrutschen, wo man selbst merkt, wenn man sich mit Rassismus beschäftigt: „Es steckt immer noch in meinem Kopf, es steckt immer noch in meiner Wahrnehmung". Ich glaube, diesen Prozess, die eigenen Wahrnehmungsstrukturen selbstkritisch wahrzunehmen, kann man niemandem ersparen, der sich damit wirklich ernsthaft auseinandersetzen will. Und das tut weh. Und vielleicht geht es auch nie ganz weg. Wobei ich den Eindruck habe, junge Menschen tun sich grundsätzlich leichter, weil sie schon in einer viel pluraleren Gesellschaft aufwachsen als meine Generation. Aber den Schmerz kann man, glaube ich, niemandem ersparen. Da muss man irgendwie durch, um zu lernen, was es tatsächlich bedeutet, dass alle Menschen gleich sind. Mir fällt zum Abschluss noch ein Zitat von Hannah Arendt ein, dass sie in ihren Totalitarismus Studien formuliert hat, wo sie sagt "Die liberalen Gesellschaften des Westens haben überhaupt noch gar nicht den Schrecken erfasst, der in der jüdisch christlichen Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen steckt. Wenn nun plötzlich wirklich viele Menschen aus allen Kulturen dieser Welt auf engem Platz zusammenleben". Dieses Ethos von der Gleichheit aller Menschen ist nicht einfach, und das gilt es in allen Generationen neu zu lernen. Und in einer globalisierten Welt werden die Probleme deutlicher sichtbar. Aber ich sehe gleichzeitig die Chancen, das zu verändern, noch nie so groß wie heute. Aber es wird ein bisschen ein Kampf."
Danke für diese Abschlussworte. Das wars wieder vom Podcast Diesseits von Eden. Danke fürs Zuhören.