"Die Jugend von heute": Woran sie glaubt, worauf sie hofft
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Podcast vom 4. Mai 2022 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
In dieser Folge dreht sich alles um die Frage, was Jugendlichen wichtig ist, woher ihre Werte stammen und welche Haltungen sie zu Schule, Religion und Politik einnehmen. Über diese Fragen unterhalte ich mich heute mit Nikolaus Janovsky, einem der Studienautoren der Euregio Studie "Lebenswelten junger Menschen in Tirol, Südtirol und Trentino". Dabei gaben spannenderweise 38 Prozent der befragten Jugendlichen an, oft oder häufig über den Sinn des Lebens nachzudenken. Eine religiöse Überzeugung scheint dabei aber eher weniger eine Rolle zu spielen. Hat Sie dieses Ergebnis als Theologe überrascht? Ist das viel? Ist das wenig? Wie kann man diese 38 Prozent einordnen?
Janovsky: "Wir haben die Jugendlichen nach ihrer Selbsteinschätzung befragt. Wir haben die Jugendlichen gebeten, sich auf einer Skala zu positionieren, und zwar für sich festzulegen, ob sie einer Frage mehr oder weniger zustimmen. Also die Antworten, über die wir jetzt sprechen, oder auch die Auswertung, über die wir sprechen, geben jeweils an, was die Jugendlichen selbst denken und sagen. Es sind also weniger ist Antworten als Selbsteinschätzung. Bei diesen Selbsteinschätzung fällt auf, dass es eine verhältnismäßig große Zustimmung zu der Aussage gibt "Ich denke über den Sinn des Lebens nach". 38 Prozent der Jugendlichen sagen "das stimmt eher" oder "stimmt vollständig". Die relativ große Zustimmung auf diese Frage ist nicht sonderlich überraschend, wenn man sich ähnliche Befragungen anschaut. Sie hebt sich aber deutlich gegenüber anderen Zustimmungswerten im Thema der Religiosität heraus. Und es könnte wohl auch daran liegen, dass wir insgesamt auch bei der Religiosität sehr stark zwischen Institution und individueller religiöser Überzeugung unterscheiden. Die Frage nach dem Nachdenken über den Sinn des Lebens wird von Jugendlichen nicht so sehr in die Reihe der Themen und der Vorgaben institutioneller Religionen abgeleitet."
Dazu kommt gleich meine Folgefrage, da ja der Glaube an Gott oder die Glaube an die Religion eher eine geringere Rolle spielen. Haben Sie im Laufe der Studie herausgefunden, warum? Woran könnte es liegen, dass die philosophische Frage nach dem Sinn des Lebens für Jugendliche spannend ist, Kirche, Religion, Institutionen aber eher weniger?
Janovsky: "Jugendliche unterscheiden stark zwischen Religion und Glauben. Und der Begriff Religion verbindet sich wohl eher mit dem institutionellen Moment, also primär mit der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft und nicht der formalen Logik, sondern der im eigenen Leben spürbaren und emotionalen Zugehörigkeit. Dem gegenüber steht wohl eher der Begriff Glauben und die persönliche Glaubenshaltung, die da im Vordergrund steht. Die Religiosität der Jugendlichen entspricht auch bei unserer Befragung zum einen einer Individualisierung und natürlich auch einer Funktionalisierung der Religion; letzteres dient dazu, eine Meinung zu bilden, aber nicht umgekehrt. Was sich trotz Unsicherheiten zeigt, ist, dass es eine Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit zu einer Gruppe und dem individuellen Glaubensleben und Glaubensgedanken gibt."
Mein heutiger Gesprächspartner ist Nikolaus Janovsky. Sie sind Theologe mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie und aktuell an der kirchlich pädagogischen Hochschule Edith Stein in Stams als Vizerektor tätig. Und Sie sind auch einer der Studienautoren der Studie, die 6300 Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren aus Tirol, Südtirol und dem Trentino befragt hat. Das geschah im Jahr 2020, also zu Beginn der Corona-Pandemie. In diesem Zeitraum waren die meisten Jugendlichen bereits mit Beschränkungen, Veränderungen und Debatten konfrontiert. Inwieweit, glauben Sie, hat das auch die Ergebnisse mitgeprägt?
Janovsky: "Es kursieren sehr, sehr viele Studien, die natürlich auch versuchen, diese Frage zu beantworten. Tatsächlich liegt unser Erhebungszeitraum in sehr unterschiedlichen Phasen der Pandemie. In Österreich, wo wir gemeinsam mit den weiteren österreichischen Bundesländern erhoben haben, waren wir genau in der ersten Phase des ersten Durchgangs, die tatsächlich ein gewisser Eintrag sein dürfte. In den Ländern Südtirol und Trentino sind wir in anderen Phasen. Dort haben wir von November 2020 bis in den Februar 2021 erhoben, insofern eine gänzlich andere Phase der Pandemiebewältigung. Um auf Ihre Frage konkret zu kommen: Nein, wir können das nicht spezifisch beantworten, auch deswegen nicht, weil uns dazu die ganz spezifischen Fragen fehlen. Ich glaube, was man schon sagen kann, ist, es zeigen sich gewisse, vielleicht auch überraschende Momente. So möchte ich zum Beispiel darauf hinweisen, dass die Jugendlichen ihre Zukunft durchwegs positiv sehen und das eben gerade auch unmittelbar in einer Situation der Pandemie, auch der Betroffenheit mit folgender Pandemie. Mir ist es wichtig zu sagen, weil gegenüber sehr schnellen Schlüssen von vielleicht auch schnell durchgeführten Befragungen können wir einfach sagen, die Jugendlichen sehen auch mitten im Pandemiegeschehen ihre eigene Zukunft durchwegs positiv."
Bei der Präsentation der Euregio-Studie zu den Lebenswelten von Jugendlichen in Tirol, Südtirol und Trentino: v.l. Studienautor Nikolaus Janovsky (KPH), LR Anton Mattle und Irmgard Plattner, Vizerektorin der PHT.
Erstaunlich war für mich auch das Ergebnis, dass die "Offenheit für Wandel" von 46 Prozent als wichtig angesehen wurde, die "Bewahrung des Bestehenden" jedoch nur über 3 Prozent. Da kam bei mir die Frage auf, ob hier die ältere Gesellschaftsschicht, die Eltern oder auch wir selbst, von Jugendlichen in puncto Offenheit und Anpassung lernen können? Die wurde ja während der Corona-Pandemie ganz stark gefordert.
Janovsky: "Also ich würde sowieso zustimmen, dass wir von den Jugendlichen etwas lernen können. Gerade in diesem Punkt glaube ich tatsächlich besonders gerade die Offenheit für etwas, dass Jugendliche ein Stück weit überrascht und in ihrem Lebensweg auch wirklich als Neues begegnet. Das ist ja traditionell etwas, was uns mit dem fortschreitenden Lebensalter ein Stück weit schwerer fällt. Natürlich muss man hier schon einfach auf die Altersgruppe, die wir befragt haben, achten und genau hinschauen. Da ist es einfach eine Tatsache. Im Lebensalter von 14 bis 16 Jahren sind viele Jugendliche in einer Phase, wo sie vieles schon konkret sich vorstellen können, aber natürlich vieles davon noch nicht selber umsetzen müssen."
Um jetzt noch einen Schritt zurückzugehen. Woher kommen jetzt diese Werthaltungen? Wie können Kinder und Jugendliche diese Werthaltungen entwickeln? Was spielt dabei eine Rolle?
Janovsky: "Wenn wir zum Beispiel eine Definition verwenden, dann sind Werte eine abstrakte Vorstellung von dem, was wünschenswert ist. Die Besonderheit an Werten ist, dass sie Orientierung und Standards sind, sowie Leitvorstellungen und Werte steuern. Das Besondere an Werten ist, dass sie im Gegensatz zu Normen situationsübergreifend sind. Und sie sind sehr dauerhaft. Generell kann man sagen, Jugendlichen sind ihre eigenen Beziehungen vor allem im eigenen Umfeld sehr wichtig. Das entspricht auch wiederum dem Lebensalter. Das ist ihnen eine gute Ausbildung sehr wichtig und natürlich der eigene Lebensgenuss. Auch den, den Sie anstreben, der ist Ihnen wichtig."
Sie sind ja in erster Linie Theologe. Darum auch die Frage: Welche Rolle spielen Religion, Kirche, Religiosität, vorgelebte Spiritualität bei der Entwicklung von Werten und Normen?
Janovsky: "Wir haben versucht, aus dem Vergleich nach den Antworten der Gruppen gewisse Antworten heraus zu holen und stehen da in der Analyse der Daten sicher noch nicht am Endpunkt. Was sich schon abzeichnet, ist zum Beispiel, dass sehr religiösen Jugendlichen die Bewahrung des Bestehenden besonders wichtig ist. So ist dem "Werte-Typ", dem Selbsttranszendenz besonders wichtig, den Werte der Offenheit für Wandel zum Beispiel oder auch die Selbststärkung definieren. Und eine dieser Werte wäre dann die Bewahrung des Bestehenden. Und hier sieht man einen recht deutlich mehr Ausschlag, dass Jugendliche, die sich selber als tendenziell religiös verstehen, in diesem Bereich einen höheren Ausschlag haben. Bewahrung des Bestehenden, aber auch selbst stärkende Momente sind etwas, was für Jugendliche, die sich selber als religiös oder sehr religiös bezeichnen, durchaus auch mit einem höheren Ausschlag."
Was kann man jetzt mit den Ergebnissen dieser Studie von 6.300 Jugendlichen machen? Macht damit die Diözese Innsbruck etwas, werden etwa pastorale Konzepte angepasst? Kann man das mit in den Religionsunterricht nehmen? Wie geht es weiter oder ist die Studie eine reine "Papierarbeit"?
Janovsky: "Wenn Sie mich so fragen, dann würde ich überall sagen Ja. Ich glaube, die Kirche der Diözese Innsbruck - aber genauso natürlich auch die Diözesen in Südtirol - sollen und müssen mit diesen erhobenen Daten arbeiten. Was uns sehr stark auffällt: wir kriegen zahlreiche Anfragen aus der Arbeitswelt und ich möchte jetzt etwas gewagter daraus schließen, dass das Erheben von solchen Daten in der Arbeitswelt deutlich vertrauter und häufiger und gewohnter passiert, als es im kirchlichen Umfeld ist. Und das kann schon ein Lernmoment sein, dass wir hier auch genau hinschauen müssen und auch als Kirche und kirchliche Gemeinschaften genau überlegen müssen, mit wem haben wir es da eigentlich zu tun?"
Zum Abschluss eine allgemeine Frage: Wenn Sie da jetzt ein allgemeines Bild zeichnen müssten von den Jugendlichen in Tirol, wie schaut dieser Jugendliche/diese Jugendliche aus? Was interessiert sie? Welche Zukunftsängste haben sie? Worauf freuen sie sich?
Janovsky: "Das ist eine wichtige Frage, weil wir tagtäglich jungen Menschen begegnen. Und ich finde es auch spannend zu fragen, wie sind diese jungen Menschen, denen wir in der Straßenbahn, auf der Straße, in der Schule, an Orten wie zum Beispiel in sozialen Medien, im Internet, begegnen? Wie sind die? Und natürlich ist das ein sehr pauschales Bild. Aber ich wage die Frage, weil ich mich das auch öfter frage. Ich habe den Eindruck, dass Jugendliche überwiegend positiv sind. Ich möchte die Rede von der verlorenen Generation oder von sehr stark Angst behafteten jugendlichen Blick auf den überwiegenden Teil der Jugendlichen eigentlich dem entgegentreten. Ich glaube, dass wir junge Menschen mit großer Offenheit begegnen. Dem gegenüber stehen aber natürlich auch Ängste, die Jugendliche haben: So haben Jugendliche in einem gesteigerten Maß Angst um ihre Umwelt oder um die Umwelt an sich, sowohl ihre nähere als auch die weitere Umwelt. Sie haben auch ein Sück weit Angst um ihre Gesellschaft. Jugendliche machen sich Sorgen über ihre eigene Lebensplanung, es beschäftigt sie. Und für Jugendliche ist ein "Angst Bereich" natürlich auch die Gewalt, die sie erleben oder auch mittelbar mitbekommen. Und Fragen nach dem Tod spielen eine Rolle. Jugendliche sind in meiner Wahrnehmung aus der Studie heraus offen. Offen für Dinge, die sich verändern, offen für Einflüsse, die sie noch nicht kennen. Ob das Menschen sind oder kulturelle Einflüsse. Und Jugendliche sind wenig religiös. Obwohl sie noch immer zu einem großen Teil gerade in der von uns befragten Region ein religiöses Bekenntnis haben."
Ich danke Nikolaus Janovsky, Theologe und Vizerektor der KPH "Edith Stein". Danke auch an alle Zuhörerinnen und Zuhörer dieser Folge von "Diesseits von Eden" sagt Franziska Libisch-Lehner.