Ein theologisches Armutszeugnis!? TheologInnen zum Vatikan-Entscheid über die Segnung homosexueller Paare
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Podcast vom 19. März 2021 | Gestaltung: Henning Klingen*
Die Enttäuschung über den jüngsten Entscheid der Glaubenskongregation zum Thema Homosexualität sitzt tief. Das hört man der Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer an. Und damit ein herzlich Willkommen zu einer neuen Folge "Diesseits von Eden" sagt Henning Klingen. Die Nachricht sorgte am Montag, den 15. März, nicht nur für einen Aufschrei katholischer Laienorganisationen, sondern auch für profunde Stellungnahmen katholischer Theologen und Bischöfe.
Worum ging es? Die vatikanische Glaubenskongregation hatte eine Anfrage erhalten, inwiefern die katholische Kirche das Recht habe, homosexuelle Paare zu segnen. Die Antwort der Glaubenskongregation fiel gewissermaßen erwartbar aus: Zwar erkenne die Kongregation "den aufrichtigen Willen" an, "homosexuelle Personen anzunehmen, sie zu begleiten und ihnen Wege des Glaubenswachstums anzubieten". Da aber die Verbindungen von homosexuellen Paaren nicht dem göttlichen Willen entsprächen, könnten diese Verbindungen nicht gesegnet werden. Gleichwohl sei damit nicht die Segnung einzelner Personen mit homosexuellen Neigungen ausgeschlossen. Eine Antwort, die Papst Franziskus gut geheißen habe, wie es hieß.
Von einer Enttäuschung sprach im Anschluss an die Veröffentlichung der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Fragen von Ehe und Familie zuständige Innsbrucker Bischof Hermann Glettler. Und der Bischofskonferenz-Vorsitzende, Erzbischof Franz Lackner, fügte am Freitag in einer Stellungnahme hinzu, es falle ihm – bei allem Verständnis für das Grundanliegen der Wertschätzung und des Schutzes der Ehe von Mann und Frau – schwer zu glauben, dass die Kirche homosexuelle Partnerschaften nicht rituell begleiten dürfe, wenn darin Werte wie Liebe, Freundschaft, Fürsorge und Verantwortung gelebt werden.
Roma locuta, causa finita?
Soviel zur Vorgeschichte oder vielmehr zur Problemstellung. Doch gilt in der Sache tatsächlich das berühmte "Roma locuta, causa finita"? Nein, sagen katholische Theologinnen und Theologen auch aus Österreich. Denn hinter dem vermeintlich endgültigen Machtwort schlummere gleich ein ganzer Strauß an theologisch nicht bewältigten Problemen, die zum Teil bis in die Nachkonzilszeit zurückreichen. Das Lehramt ignoriere moderne humanwissenschaftliche Einsichten zum Thema Homosexualität und beharre auf einem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis von Natur, lautet etwa ein Vorwurf. Dazu die Salzburger Moraltheologin Angelika Walser:
"Es ist für die Kirche bzw. das römische Lehramt im Prinzip nach wie vor unvorstellbar, dass diese Offenheit für Nachkommenschaft und auch Liebe in nicht-ehelichen Verbindungen, in schwulen Verbindungen gelebt werden könnte. Sie bezieht diesen Plan Gottes, von dem jetzt immer die Rede ist, ausdrücklich auf die Ehe. Dass es im Plan Gottes liegen könnte, dass es tatsächlich auch Menschen gibt, die homosexuelle oder auch sonstige sexuelle Orientierung haben und dass das ein Teil der guten Schöpfung Gottes sein könnte und dass es hier sehr wohl auch gelebte Liebe, Treue, Achtsamkeit, Fürsorge füreinander und gleichzeitig auch Offenheit für Kinder geben könnte - das ist für das römische Lehramt nicht vorstellbar. Das hat auch mit einem Reformstau bezüglich der Rezeption von humanwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Bedeutung von Sexualität und auch über die Bedeutung von Gender insgesamt zu tun. Die Moraltheologie fordert seit Jahrzehnten die Rezeption von humanwissenschaftlichen Erkenntnissen in der Theologie und eben auch im Umgang mit nicht-ehelichen Partnerschaften. Aber dazu ist es lehramtlicherseits noch viel zu wenig gekommen. Erste Andeutungen dazu gibt es in 'Amoris laetitia'. Aber die hatten keine normative Auswirkung."
Diesen Punkt teilen im Prinzip auch die anderen befragten Theologinnen und Theologen, so etwa der Wiener Sozialethiker Alexander Filipovic:
"Der Text argumentiert ja eigentlich nicht. Es wird eine objektive Schöpfungsordnung behauptet, also eine Schöpfungsordnung, die man zu kennen meint und dann appliziert. Diese Frage aber, dass es immer schon gleichgeschlechtliche Sexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaft gibt in der Menschheitsgeschichte, wird ignoriert. Also hier werden auch humanwissenschaftliche Kenntnisse ignoriert."
Hoff: Kein Wegducken vor der Diskussion
Der Innsbrucker Dogmatiker Johannes Hoff stellt ebenfalls ein humanwissenschaftliches Desiderat in der lehramtlichen Theologie fest – aber er zeigt zugleich auf: so einfach ist es dann auch wieder nicht. Denn ein naturwissenschaftliches Lernen bedeute ja nicht zwangsläufig, die eigenen normativen Positionen aufgeben zu müssen – wichtig ist: die Vermittlung:
"Die Frage ist: Haben wir da nicht vielleicht doch ein Erkenntnisfortschritt gemacht, und zwar objektiv, nicht nur subjektiv? Wenn wir hier einen Erkenntnisfortschritt gemacht haben, z.B. dass es auch im Tierreich Homosexualität gibt, zwar nicht als Mehrheits- Phänomen, dann würde sich ja die Frage stellen: Kann es nicht doch eine Analogie zwischen der homosexuellen Lebensform und der idealen Lebensform geben? Also ich bin ja eher noch konservativ, indem ich sage, man sollte nicht einfach Ehe und homosexuelle Partnerschaften gleichsetzen. Das halte ich für richtig und dies teilen auch viele meiner englischen Kollegen. Aber das bedeutet nicht, dass es eine Analogie zwischen homosexuellen Lebensformen geben kann und der vollkommenen idealen Lebensform, die heterosexuell ist und auf Prokreation hingeordnet ist."
Anders gesagt: Es gibt Positionen, die die Kirche nicht aufgeben kann. Aber: ein Wegducken vor einer theologischen Diskussion dieser Positionen sei der falsche Weg. Es genüge nicht, ein hohes Ideal zu statuieren und alle Abweichungen davon dann entweder als falsch zu geißeln oder einfach mit weicher Fürsorge-Pastoral aufzufangen:
"Es gibt geoffenbarte Wahrheiten, die nicht zur Disposition stehen. Das ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Aber diese durch den Glauben erschlossene Lehre ist immer verwurzelt in unserem alltäglichen Leben. Und was das konkret bedeutet, kann man immer nur im Gespräch mit den Menschen herausfinden. Wenn wir es nicht schaffen, eine solche Art von Theologie zu entwickeln, und zwar ohne die hohe Theologie aufzugeben, also nicht einfach in die liberalistische Idee zu verfallen, dass das, was eine Lebensform ist, jeder selbst entscheiden darf, solange er keinem anderen Schaden zufügt - wenn wir das nicht hinkriegen, dann haben wir unsere Existenzberechtigung verloren, weil die Kirche ja dafür da ist, den Leuten eine Lebensgestaltung näherzubringen."
Walser: Gerechtigkeit statt Barmherzigkeit!
Angelika Walser geht da strenger mit der katholischen Tradition ins Gericht. Es genüge nicht, theologische Positionen besser zu vermitteln, es müsste vielmehr klar benannt werden, wo die lehramtliche Theologie irrt, wo sie alten Paradigmen anhängt und nicht mehr auf der Höhe der theologischen Zeit argumentiert:
"Der Papst argumentiert pastoral immer mit Barmherzigkeitsargument. Die Frage des Umgangs mit Homosexuellen gehört meines Erachtens - auch in den Augen vieler Kolleginnen und Kolleginnen - aber nicht in die Liebesethik, sondern eigentlich in die Gerechtigkeitsethik. Es geht eigentlich gar nicht darum, dass homosexuelle Paare die Barmherzigkeit der Kirche bräuchten, sondern sie brauchen Gerechtigkeit und sie brauchen Anerkennung. Und zu dieser Gerechtigkeitsethik gehört dann auch eine normative Veränderung in der Lehre der Kirche. Aber eine solche normative Veränderung haben weder der Papst noch die Mehrheit der Bischöfe in den vorbereitenden Synoden vor 'Amoris laetitia' jemals angestrebt. Das war sehr klar. Und das liegt am Grundsatz katholischer Sexualmoral, dass Geschlechtsverkehr letztlich nur innerhalb der Ehe ethisch einwandfrei ist und dass diese Ehe ganz klar in einem heteronormativen Rahmen stattzufinden hat. Und zwar deswegen, weil sie nur dort biologisch hingeordnet ist, und zwar in einem natürlichen Geschlechtsakt auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft. Das heißt, dieser zentrale Normsatz der kirchlichen Sexualmoral, der letztendlich einem völlig verengten Naturrechtsdenken entstammt, ist lehramtlichen niemals ernsthaft infrage gestellt worden. Und solange das nicht geschieht, ändert sich hier in der Lehre auch nichts."
Ein weiterer, verbindender Kritikpunkt der Theologinnen und Theologen betrifft die Idee des Segens an sich. Was bedeutet es, Menschen zu segnen? Was bedeutet es, den Segen zu erbitten? Noch einmal Angelika Walser:
"Es ist mir unbegreiflich und ein sehr seltsames, theologisch falsches Verständnis von Segen, dass dort, wo Gott ja längst seinen Segen gegeben hat und eine Partnerschaft auf vielfältige Weise für die Gesellschaft fruchtbar wird - und das ist ja nicht nur in einem biologischen Sinn, sondern auch im übertragenen Sinn -, dass die Kirche behauptet, sie könne hier ihren Segen dazu nicht geben. Sie tut das längst. Gott sei Dank! Seelsorger und Seelsorgerinnen begleiten Paare der LSBTG- und Queer-Community schon seit langen Jahrzehnten ganz selbstverständlich. Was besorgniserregend ist, das ist das völlige Auseinanderdriften zwischen Pastoral und Lehre. Hier macht sich eine Doppelzüngigkeit bemerkbar. Und das ist auch der Grund für den immensen Verlust der Autorität und der Glaubwürdigkeit der Kirche derzeit. Denn in der Pastoral zeigt sich eben auch, ob Normen dann auch zur Anwendung kommen, ob sie wirklich als schützend, als stabilisierend empfunden werden oder ob sie überhaupt nicht mehr verstanden werden in dem, was sie eigentlich wollten. Wenn dem so ist, dann ist Normentwicklung angesagt. Das heißt: die Pastoral und die Lehre sind engstens miteinander zu verzahnen. Und die entkoppeln sich voneinander, in vielen anderen Bereichen auch. Und das führt zu diesem unglaublichen Vertrauensverlust, den wir derzeit konstatieren."
Filipovic: Entscheid desavouiert Idee des Segens
Das sieht auch Alexander Filipovic ähnlich: wer einem Paar, dass aufrichtig um den Segen bittet, diesen ohne gute Argumente verweigert, der beschädige damit letztlich die Idee des Segens an sich:
"Die theologische Ethik argumentiert nicht mehr mit einer objektiv-göttlichen Ordnung, die man kennt und die man dann applizieren kann. Die moralische Qualität von Beziehungen und Partnerschaften wird in der Zuneigung von Menschen und in ihrem freien Ja zur Person des anderen, der anderen gesehen. Und welche genaue Art von sexuellem Begehren da eine Rolle spielt, ist für die moralische Qualität von einer Beziehung, von einer Partnerschaft nicht entscheidend. Daher: Einem Paar, das ernst macht mit einer Beziehung, die Anwünschung von Gottes Zuspruch und Gegenwart zu verweigern ohne gute Argumente, das ist problematisch und desavouiert meines Erachtens letztlich auch die Idee des Segens selbst."
Bleibt zum Schluss jene Frage, die man eigentlich bei theologischen Diskussionen ganz zu Beginn stellen sollte: Was sagt eigentlich die Bibel zu all dem…? Der Befund ist nicht so eindeutig, wie man lehramtlicherseits gern meint, betont die Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer:
"Das Verbot, sich zu einem Mann zu legen, wie man sich zu einer Frau legt - lesbische Kontakte werden überhaupt nicht thematisiert -, findet sich ausschließlich im nachexilischen Heiligkeitsgesetz. Keine der großen Gesetzessammlungen, wie etwa das Bundesbuch oder das deuteronomische Gesetz kennt ein solches Verbot. Von einem geschlossenen biblischen Befund kann also keine Rede sein."
Fischer: Ein intellektuelles und moralisches Armutszeugnis
Beispiele für eine biblische Offenheit dem Thema Homosexualität gegenüber gibt es indes viele, führt Fischer weiter aus:
"David mit seinen vielen Frauen liebt ausschließlich Jonathan und dieser ihn. Und David bekennt beim Tode Jonathans, dass dessen Liebe ihm über Frauenliebe ging. Ruth hängt an Noomi, wie nach dem Bräutigamsjubel von Genesis 2 ein Mann an seiner Frau hängt. Das Kind, das Ruth von Boas empfängt, gebiert sie nicht für ihn, sondern gebiert sie für Noomi, und die Nachbarinnen bekennen, dass die Schwiegertochter sie liebt. Wer die Texte vorurteilslos liest, findet viele Anhaltspunkte in der Bibel, dass man gleichgeschlechtliche Beziehungen sehr wohl akzeptierte."
Es war also gewissermaßen ein Aufreger mit Ansage, den die Glaubenskongregation mit ihrer Äußerung geliefert hat. Gleichwohl: Die Enttäuschung sitzt – wieder mal – tief. Ist Rom theologisch denn gar nicht lernfähig? Und so zieht Irmtraud Fischer abschließend einen bitteren Vergleich:
"Man habe keine Vollmacht, alle Menschen zu segnen, die sich lieben. Die Vollmacht, Autos zu segnen, Haustiere oder österliches Schweinefleisch aber schon: Wo steht denn das in der Bibel? Man nimmt sich so viele Vollmachten, die keinerlei biblische Legitimierung haben. Aber immer, wenn es um das Geschlecht geht, wird man fundamentalistisch. Ein intellektuelles und auch moralisches Armutszeugnis für meine Kirche."