Glaube, Demokratie und Polarisierung - Glauben Christ:innen an Demokratie?
Bild: Gerd Altmann/Pixabay
Podcast vom 22. Jänner 2025| Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
In dieser Podcastfolge von Diesseits von Eden wird live von der Pastoraltagung 2025 in Salzburg berichtet, die unter dem Thema „Demokratie und die Rolle der Kirche in einer polarisierten Gesellschaft“ steht. Zu Gast ist Regina Polak, Pastoraltheologin und Mitautorin der Studie Was glaubt Österreich?. Das Gespräch beleuchtet überraschende Erkenntnisse über Glaubensvorstellungen, gesellschaftliche Werte und deren Einfluss auf die Demokratie in Österreich. Themen wie die sinkende Religiosität, Herausforderungen durch autoritäre Einstellungen und Vorurteile sowie positive Potenziale religiöser Gemeinschaften für die Demokratie werden kritisch diskutiert. Abschließend wird über die Rolle der Kirche und die Verantwortung für demokratiepolitische Bildung reflektiert.
Willkommen bei einer neuen Folge von Diesseits von Eden, diesmal aus Salzburg live von der Pastoraltagung, die von 9. bis 11. Jänner zum Thema Demokratie und die Rolle der Kirche in einer polarisierten Gesellschaft stattfindet. Neben mir sitzt gerade Regina Polak, die am zweiten Tag einen Vortrag halten wird, auch zum Thema Demokratie - u.a. zur aktuellen ORF Studie „Was glaubt Österreich?“. Diese nehme ich gleich zum Anlass zu fragen: Worum geht es da, was befragt worden und was sind so die überraschenden Ergebnisse? Oder gibt es etwas, das Sie als Pastoraltheologin überrascht hat?
Regina Polak: Schönen guten Abend. Die Studie heißt "Was glaubt Österreich" und ist ein Kooperationsprojekt, das meine Kollegin Astrid Mattes, mein Kollege Patrick Ross und ich jetzt seit zwei Jahren in Kooperation mit der Abteilung Religion und Ethik vom ORF und gefördert vom Zukunftsfonds durchführen. Die Studie hatte zwei Teile, einen qualitativen Teil, wo wir 1200 Interviews, Texte, Erzählungen bekommen haben, in denen uns Menschen quer durch alle Schichten und Geschlechter erzählt haben, worin sie Sinn im Leben finden, wie ihre Glaubenswelten sind, wie sie zu ethischen Entscheidungen kommen, welche Rituale sie praktizieren, zu welchen Gemeinschaften sie gehören. Und auf dieser Basis haben wir im Frühling 2024 auch eine repräsentative Studie durchgeführt mit über 2000 befragten Personen und einem Jugend-Oversample von 560 Personen zwischen 14 und 25 Jahren. Weil uns auch in besonderer Weise interessiert hat: Wie steht's denn um junge Menschen in Österreich? Das Ziel oder der Sinn dieser Studie war eben herauszufinden, wie finden oder worin sehen Menschen in Österreich oder in Österreich ihren Wohnsitz? Haben, den Sinn im Leben? Welche Glaubenswelten, welche Werte-Welten haben sie? Und unter anderem eben auch die Frage nach einerseits Religiosität und Demokratie. Das hat auch mit dieser Tagung hier zu tun.
Moderation Was jetzt noch fehlt, ist der überraschende Aspekt der Studie. Was gibt es da?
...und innerhalb der Christen und Christinnen sind es nur mehr 11 %, die sagen, sie glauben an einen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Das war schon auch eine Überraschung...
Polak: Wir haben eigentlich jede Menge Überraschungen gefunden. Eine Überraschung, die für mich jetzt als Theologin nicht besonders angenehm war, obwohl ich jetzt schon seit 30 Jahren eigentlich religionssoziologische Forschung mache und beobachte, wie europaweit und auch in Österreich der Kirchgang zurückgeht, die Gebetszahlen zurückgehen, die aktive Mitgliedschaft in der Kirche zurückgeht. Also in der europäischen Werte Studie war der Glaube an Gott da eigentlich immer relativ konstant hoch in Österreich und auch ein religiöses Selbstverständnis. Aber im Zuge der Pandemie haben sich Entwicklungen offensichtlich dynamisiert. Dass wir in Österreich mittlerweile nur mehr 22 % der Befragten haben, die angeben, an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit zu glauben. Und deutlich mehr Befragte, nämlich 36 %, sagen, sie glauben an ein höheres Wesen, eine geistige Energie oder geistige Macht, darunter noch viel mehr Frauen. Bei Frauen sind zirka 40 % der Befragten, die an eine alternative Transzendenz glauben. Und wenn man da dann sich noch mal genauer anschaut, mit welchen Inhalten diese Transzendenzvorstellungen gefüllt sind, dann sind es nur mehr 14 % innerhalb dieser Gruppe, die an einen persönlichen Gott glauben, zu denen man noch etwas sagen kann. Und innerhalb der Christen und Christinnen sind es nur mehr 11 %, die sagen, sie glauben an einen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Das war schon auch eine Überraschung, die jetzt aus meiner theologischen Perspektive natürlich sehr ernüchternd war und ist.
Ich muss jetzt kritisch nachfragen: Ist das wirklich eine Überraschung? Sie haben schon vorher die zurückgehenden Kirchenbesucherzahlen angesprochen: Es gibt Kirchenaustritte, es hat eine Pandemie und Krisen gegeben, Vertrauensverlust in die Kirche. Ist es dann nicht eine logische Konsequenz, dass sich das auch in einem Glaubensbild ausdrückt? Oder ist es jetzt zum ersten Mal, dass diese Studie "Woran glaubt Österreich" das in Zahlen verfestigt, was da jetzt los war die letzten Jahre?
Polak: Also es gibt natürlich in der Soziologie Theorien, die das, was sie sagen, bestätigen; dass, das was ich glaube oder der Glaube an Gott oder auch Werte eigentlich so genannte soziale Plausibilitätsstrukturen benötigen, das heißt Institutionen einerseits als auch signifikante andere Personen, die meinen Glauben teilen und auch eine gelebte Praxis. Und wenn das wegfällt, dann bleibt quasi der jeweilige Wert oder eben der Glaube an Gott noch eine zeitlang erhalten und geht dann auch zurück. Ja, einerseits ist es erwartbar gewesen. Das Tempo in dem das stattgefunden hat, hat mich dann doch schon sehr überrascht.
Ein Teil der Studie beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Religiosität und Demokratie. Was hat es dafür Ergebnisse gegeben?
Polak: Ja, das war auch eine der überraschenden Ergebnisse. Religiosität wirkt sich ambivalent aus. Das heißt einerseits Personen, die sich selbst als religiös verstehen, haben eine höhere Zufriedenheit mit der Demokratie, haben auch ein stärkeres Vertrauen in die Demokratie. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber, dass ein höherer Anteil in der Gesamtbevölkerung auch ausgeprägtere autoritäre Einstellungen hat und das insbesondere auch unter den Katholikinnen und Katholiken und Personen, die sich in einem allgemein christlichen Sinne als Christen definieren. Auch die Einstellungen gegenüber Minderheiten, allem voran gegenüber Muslimen und Migranten, noch negativer sind, als sie das in der Gesamtbevölkerung im Durchschnitt sind.
Wer sind jetzt diese Katholikinnen und Katholiken, von denen sie sprechen? Wie kann man die in eine Gruppe gießen oder wie könnte man sie beschreiben?
Polak: Für "Was glaubt Österreich" haben wir das uns im Detail noch nicht angeschaut? Aber ich habe wir haben es uns angeschaut im Rahmen der europäischen Werte Studie, wo wir einen ähnlichen Zusammenhang gefunden haben, europaweit. Wobei das in Osteuropa noch deutlicher zu erkennen ist. Und da gab es ein paar Faktoren, wo sichtbar wird, es ist nicht quasi die Religiosität als solche, die ein Risikofaktor für die Demokratie ist, sondern Religiosität in Zusammenhang mit bestimmten soziodemografischen Merkmalen korreliert mit demokratiegefährdenden oder demokratie-problematischen Einstellungen. Und das ist zum einen das Alter, das Geschlecht, den Wohnort. Heißt konkret: Die Wahrscheinlichkeit ist höher, wenn jemand älter ist, wenn jemand im ländlichen Raum wohnt und wenn jemand ein Mann ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Religiosität mit zum Beispiel einem erhöhten Autoritarismus und einer erhöhten Minderheitenfeindlichkeit korreliert.
Die Wahrscheinlichkeit ist höher, wenn jemand älter ist, wenn jemand im ländlichen Raum wohnt und wenn jemand ein Mann ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Religiosität mit zum Beispiel einem erhöhten Autoritarismus und einer erhöhten Minderheitenfeindlichkeit korreliert.
Wobei natürlich, es handelt sich hier nicht um Kausalitäten, sondern Korrelationen. Das heißt, der umgekehrte Zusammenhang könnte auch sein, wenn wir zum Beispiel aus der Perspektive einer politischen Psychologie auf diese Ergebnisse schaut, dass eine bestimmte politische Einstellung die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass man sich in den kirchlichen Raum bewegt, weil man dort vermutet, Gleichgesinnte zu treffen. Mit Kausalitäten ist das schwieriger. Aber man kann schon sagen, Religiosität kann dann und zumindest hat sich das im Rahmen der europäischen Werte Studie gezeigt, ein Risikofaktor sein für Demokratie. In der "Was glaubt Österreich"-Studie haben wir festgestellt, dass am günstigsten für demokratische Einstellungen ist eine sogenannte "distanzierte Obrigkeit", das heißt Personen, die sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, aber sich nicht aktiv engagieren haben. Diese haben höhere demokratiefördernde Einstellungen als Personen, die ganz nah dran sind. Wobei, jetzt nicht der Eindruck entsteht, Religiosität ist jetzt der demokratiegefährdend de facto, das ist so bitte nicht. Wir finden ein ähnliches Einstellungsset auch bei einem deutlichen Teil der sogenannten Konfessionslosen. Meiner Wahrnehmung nach spielt eine ganz starke Rolle, ob Personen eine geschlossene oder eine offene Identität haben, das heißt, ob sie quasi sich nur über ein Merkmal oder eine Zugehörigkeit definieren oder ob sie offen sind hin auf eine plurale Gesellschaft. Das scheint mir da ein ganz zentrales Merkmal zu sein. Und ich sage mal, intolerant können natürlich auch die Konfessionslosen sein. Das ist kein Monopol. Also man muss da schon aufpassen. Wie gesagt, es gibt natürlich nach wie vor, das sieht man ja gerade hier auf der Pastoraltagung, ganz viele Katholiken und Katholikinnen, die sich in Organisationen oder auch zivilgesellschaftlich für Demokratie engagieren. Nur statistisch sind die nicht in diesem Ausmaß sichtbar, weil eben doch ein, 1/5 tatsächlich sich tatsächlich vorstellen kann und auch dezidiert sagt einen starken Führer anstelle eines gewählten Parlaments.
Das heißt, muss ich mich jetzt als Gesellschaft oder Demokratie vor dem typisch typischen weißen männlichen Kirchgänger am Land fürchten? Geht von dem Jetzt, wenn ich das jetzt ganz überspitzt zusammenfasse, was Sie gesagt haben, eine Gefahr aus?
Polak Nein. Also ich glaube, das Demokratierisiko hat noch wesentlich weitere und andere Ursachen. Schon allein deswegen, weil der Anteil der Religiösen in Österreich mittlerweile nicht mehr so groß ist. Also Personen, die sich selber als religiös definieren, sind ungefähr 1/3 der Befragten. Also das ist ein relativ geringer Anteil. Die Demokratiegefährdung, die hängt eigentlich in der ganzen Gesellschaft drin. Also es gibt in ganz Österreich Personen, die sich einen starken Führer anstelle eines gewählten Parlaments wünschen. Und es gibt ganz viele Menschen in Österreich, die auch nicht religiös sind oder die sich als spirituell bezeichnen und sich dann abgrenzen von Religiosität oder die überhaupt eine ganz andere Weltanschauung haben, die mit der Demokratie extrem unzufrieden sind oder die ein so genanntes uninformiert oder liberales Demokratieverständnis haben, das heißt sich unter Demokratie vorstellen, dass das die Herrschaft der Mehrheit ist. Und wo zentrale Indikatoren wie Anerkennung von Minderheitenrechten, Menschenrechten und Pluralität so nicht gewährleistet sind. Das ist schon ein gesamt-österreichisches Phänomen. Und die Gruppe der Religiösen ist einfach gar nicht mehr so groß, als dass man sich da jetzt fürchten müsste. Aber jetzt aus einer Perspektive in einer katholischen Pastoraltheologie muss man natürlich schon sensibilisiert sein. Und das Leitungspersonal der Kirche ist angehalten, sensibel hinzusehen und zu wissen, man ist jetzt auch innerhalb der Kirche verantwortlich für die demokratiepolitische Bildung. Nicht zuletzt deswegen, weil "Gaudium et Spes" und viele andere Texte katholische Christen und Christinnen dazu verpflichten, sich in der Gesellschaft und zivilgesellschaftlich zu engagieren. Man muss nicht immer die gleiche Meinung haben, aber die Verantwortung für die Gesellschaft ist da. Dann muss man wahrscheinlich ein verstärktes Augenmerk darauf richten.
Man muss nicht immer die gleiche Meinung haben, aber die Verantwortung für die Gesellschaft ist da. Dann muss man wahrscheinlich ein verstärktes Augenmerk darauf richten.
Demokratie bedeutet nicht nur zur Wahl zu gehen, sondern bedeutet ein aktives Zusammenleben, Solidarität, die eigenen Ressentiments auch zu hinterfragen. Jetzt habe ich in einer Zusammenfassung der vorläufigen Ergebnisse gelesen, dass gläubige Christ:innen eher Ressentiments haben gegenüber anders glaubenden Nachbarinnen und Nachbarn, gegenüber Jüdinnen und Juden, Musliminnen, Orthodoxe. Da gibt es aber auch Differenzierungen. Können Sie das etwas erklären? Worin besteht das? Und eben wieder überspitzt formuliert oder gefragt, wollen sich Christinnen und Christen den Nachbarn am besten aussuchen - also keine Ausländer, nur katholisch, christlich und möglichst wenig Plural.
Polak: Ja, also da würde ich das Problem, das es in Österreich gibt, in Bezug auf die Distanzierungswünsche gegenüber Menschen, die eine andere kulturelle oder religiöse Herkunft haben, nicht auf die Christinnen fokussieren, sondern das ist ein gesamtösterreichisches Problem. Aber eine konfessionelle Zugehörigkeit kann Unterschiede oder kann man bestimmte Gruppen auswählen. Das haben wir uns genauer angeschaut. Und da haben wir dann gesehen die Ablehnung gegenüber Muslimen und Migranten, die ist in Österreich generell sehr hoch. Islam und Muslimfeindlichkeit sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Katholik:innen, Kindern und Personen, die sich in einem allgemeinen Sinn als christlich verstehen, haben eine im Vergleich zum Durchschnitt einen erhöhten Distanzierungswunsch gegenüber Muslimen, aber nicht gegenüber Juden, aber gegenüber Muslimen und Migranten. Orthodoxe Christen und Christinnen und Muslime und Musliminnen haben einen erhöhten Distanzierungswunsch gegenüber Juden, logischerweise nicht gegenüber Migranten, weil ja viele orthodoxe Christen und Muslime auch Migranten sind oder einen migrantischen Hintergrund haben. Also die Konfessionalität kann sich auswirken, ist aber nicht der entscheidende Faktor, sondern das ist ein generelles. Dieses Thema, mit dem man sich intensiv auseinandersetzen muss Semitismus und Islamfeindlichkeit und die Ablehnung von Migranten und Migrantinnen, das sind schon zum Teil sehr beunruhigende Zahlen. Und ich würde mich wären das nur an der Religion festzumachen. Aber sie spielt auch eine Rolle.
Noch eine letzte Frage an Sie zur Studie und zu Ihrem Vortrag: Gibt es auch eine positive Korrelation zwischen Glauben, Religiosität und Demokratie?
Polak: Na, das hohe Vertrauen in die Demokratie und überhaupt das Vertrauen in Institutionen ist etwas, das man schon mitnehmen kann. Das hat man. Das hat natürlich damit zu tun, dass Menschen, die in religiösen Gemeinschaften sind, dort auch aus demokratiepolitischer Sicht Übungsräume haben oder ihnen zur Verfügung stehen, in denen man lernt, über die Familie und über die Freunde und Freundinnen hinausgehend miteinander zu leben, Kompromisse zu schließen, Verantwortung zu übernehmen fürs Gemeinwohl. Und das halte ich nach wie vor für und auch mit Blick auf die Krisen der Zukunft für eine der zentralsten Ressourcen von Religionsgemeinschaften und natürlich auch von der katholischen Kirche. Aber das gehört nur einfach sehr bewusst auch gestaltet.
Vielen Dank für das Gespräch!