Die "Frauenfrage": Alte Debatte, moderne Probleme
Podcast vom 9. Februar 2021 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner & Henning Klingen
Es gibt kaum ein Thema in der katholischen Kirche, das so divers diskutiert wird wie die Frage nach der Frauenordination. Ein Kompromiss scheint kaum möglich zu sein, meint zu Beginn jedenfalls der Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Liborius Lumma.
"Wenn Sie darüber diskutieren, was eine passende Altersgrenze für Bischöfe sein könnte, dann sagen die einen vielleicht 65. Die anderen sagen 75 - und dann kann man einen Kompromiss machen und sich in der Mitte bei 70 treffen. Bei der Frauenordination sind solche Mittelwege nicht möglich. Es gibt nur Ja oder Nein."
Anders in der evangelischen Kirche. Dort werden Frauen seit den 1970er-Jahren zum vollen pfarrlichen Gemeindeamt zugelassen und ordiniert. Eine Entwicklung, die die evangelische Kirchengeschichte-Professorin Uta Heil als Errungenschaft des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
"Nun, nach evangelischem Verständnis ist das evangelische Pfarramt eigentlich geschlechtsneutral. Es gibt also keine auf das Geschlecht bezogenen Argumente, Frauen als Frau von diesem Abend auszuschließen."
Frauen als Pfarrerinnen, Frauen als Priesterinnen, sind in der evangelischen Kirche mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Und es gibt doch keine Debatten mehr darüber, meint Ute Heil.
"Es ist eigentlich erstaunlich, wie schnell es für die evangelischen Gemeinden vor Ort selbstverständlich wurde, dass Frauen auch Predigen und Sakramente spenden. Dass der Schritt richtig war, wird heute nicht infrage gestellt. Diskussionen darüber gibt es nur in ökumenischen Gesprächen."
Lumma: "Katholischerseits ist Frauenordination eher ein Randthema"
Die Ökumene scheint doch für Liborius Lumma eines der wichtigsten Argumente zu sein, warum die katholische Kirche der Weihe von Frauen bisher ablehnend gegenübersteht.
"Gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche das größte Naheverhältnis zu den Ostkirchen. Und die sind ganz stark von einer Anthropologie der Zweigeschlechtlichkeit und einer klaren Rollenzuschreibungen im kirchlichen Leben geprägt. Das Thema Frauenordination kommt zwar hier und da aufs Tapet, ist aber weitgehend ein Randthema. Und deswegen gibt es in der katholischen Kirche Stimmen, die sagen, die katholische Kirche sollte nichts einführen, mit dem sie sich von den Ostkirchen entfernt. Denn die Ostkirchen sind doch die ersten, mit denen eine kirchliche Einheit möglich sein soll."
Lumma, der jüngst in die neue Dialog-Kommission zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa berufen wurde, bringt aber noch andere Argumente, warum die Frage der Frauenämter schon eine alte ist.
"Die Päpste der letzten Jahrzehnte waren offenkundig davon überzeugt, dass sie keine Frauenordination einführen dürfen, selbst wenn sie es wollten, nämlich weil das nach ihrer Überzeugung dem Stiftungswillen Jesu widerspricht. Es kann und soll also nach Möglichkeiten gesucht werden, Frauen auf andere Weise neu und stärker an kirchlichen Entscheidungsprozessen, an der Verkündigung, an der Gewinnung neuer Erkenntnisse zu beteiligen, aber nicht durch die Zulassung zum Weiheamt. Also gerade diese Verantwortlichen würden wohl sagen: Wir tun uns mit der Frauenfrage gar nicht schwer, sondern die Frauenfrage ist schon längst entschieden."
Die sogenannte Frauenfrage ist nun aber kein rein christliches Phänomen. Auch der Islam kennt die Debatten rund um die Aufgaben, Rollenzuschreibungen und Klischees rund um das weibliche Geschlecht. Carla Amina Baghajati wünscht sich hier eine Debatte mit der überlieferten Tradition. Die Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft verlangt eine Aktualisierung von Auslegungen und von Texten.
Baghajati: Geschlechtergerechtigkeit ist auch im Islam ein Thema
"Das Selbstverständnis des Islams setzt stark am revolutionären Charakter an, mit dem der Prophet Muhammad für Frauenrechte eintrat. Hier wäre es jetzt kurzsichtig, dann einfach alles so nachahmen zu wollen, wie es zu seiner Zeit war. Vielmehr ist die damalige Zielrichtung immer wieder zu kontextualisieren. Sonst würden wir in einer oft männlichen Selbstgefälligkeit steckenbleiben, mit der dann scheinbar frauenfreundlich zitiert wird ein Hadith des Propheten 'Der Beste von euch ist der, der am besten zu den Frauen ist'. Aber wenn man das so versteht, als müsste der Mann bestimmen, was denn dieses Beste für die Frauen sei, dann ist man natürlich mittendrin in der paternalistischen Bevormundung. Problematisch sind auch Auslegungstraditionen, die von etwas wie der 'Natur der Frau' ausgehen und daraus angeblich natürliche Aufgaben für Frauen ableiten. Die Quellentexte gerade im Koran lassen sich da auch ganz anders lesen und verstehen; und das Bemühen, sie befreit von einem Vorverständnis, das durch fixe Rollenbilder geprägt ist, sprechen zu lassen, das ist da und erfreulicherweise nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern zu finden. Unter dem Begriff Geschlechtergerechtigkeit kann man sich da zusammenfinden und sich von starren Rollenbildern zu befreien, das ist genauso eine männliche Aufgabe."
Einen Ausweg sieht Baghajati, die unter anderem die Initiative muslimischer Österreicherinnen gegründet hat, nicht bei der Differenzierung zwischen Religion und Tradition, aber es brauche eine Kritik auch an und vonseiten der Theologie.
"Es wäre wirklich zu einfach, die Schuld für Frauenbenachteiligung oder gar Gewaltphänomene einfach der Tradition zuzuschieben. Vielmehr gilt es auch, die Rolle der Theologie kritisch zu beleuchten. Haben islamische Gelehrte mit ihren Auslegungen derartiges zu sehr toleriert oder gar begünstigt? Wo kann die Theologie dagegen in der Bewusstseinsbildung helfen, dass wir Geschlechtergerechtigkeit erreichen? Solche Beispiele gibt es - und gerade jetzt, Anfang Februar, Stichwort Internationaler Tag gegen weibliche Genitalbeschneidung, da ist gerade im muslimischen Kontext wirklich viel vorangegangen und viel erreicht worden."
Ähnlich die evangelische Professorin für Kirchengeschichte, Uta Heil. Sie sieht in der theologischen Argumentation Pro und Contra bestimmte Ämter für Frauen vor allem jene gefragt, die dagegen argumentieren.
Heil: "Die Beweislast liegt bei jenen, die Frauen von Ämtern ausschließen"
"Wenn man nach den theologischen Argumenten fragt, so muss man eigentlich ja die Sachlage umdrehen: Eigentlich liegt die Beweislast bei denjenigen, die Frauen von den Ämtern ausschließen wollen und nicht bei denjenigen, die die Zulassung beweisen müssen. Aber die Debatte ist inzwischen so vorangeschritten, dass die theologische Argumentation eher damit beschäftigt ist, angeblich theologische Argumente für den Ausschluss der Frau vom Amt wieder zu widerlegen. Man kann natürlich auch historisch argumentieren: am Beginn gehörten Frauen dazu. Maria Magdalena war die erste Oster-Zeugin und erst mit den Entwicklungen des Amtes, mit der Entstehung des Bischofsamtes im 2. Jahrhundert tritt die Entwicklung ein, dass Frauen aus Leitungsfunktionen ausgegrenzt werden. Also beruft man sich auf die erste Gemeinde, dann hat man auch unter historischer Perspektive eigentlich kein Argument."
Einen Schritt in Richtung Frauen hat mit seinem jüngsten Motu Proprio "Spiritus Domini" Papst Franziskus gewagt. Er hat es den Frauen nun offiziell die Ämter der Lektorin und der Akolythin geöffnet. Frauen und Männer sind nun gleichberechtigt für die kirchlichen Ämter zugelassen, die zwei zentrale Punkte des kirchlichen Lebens betreffen, nämlich die Verkündigung der Bibel und den Dienst am eucharistischen Brot und Wein.
"Diese Änderung des Kirchenrechts erscheint vielleicht zunächst kaum bedeutend. Es ist nämlich so, dass die Aufgaben von Lektor und Akolyth im katholischen Gottesdienst ohnehin auch von anderen Personen ausgeübt werden können, und dazu gehören auch lange schon Frauen. Das ist also im Gemeindeleben längst etabliert. Da sprechen wir dann auch von Lektorinnen und Lektoren. Das sind aber, um es mal etwas zuzuspitzen, sozusagen nur inoffizielle Lektoren im Unterschied zu diesen offiziell auf Lebenszeit eingesetzten amtlichen Lektoren. Und das, was der Akolyth macht, das teilt sich in der Praxis eben auf Ministranten und Ministranten, Kommunion-Helferinnen und Kommunion-Helfer auf. Die allermeisten Bischöfe haben sowieso fast nie diese offiziellen Lektoren und Akolythen eingesetzt, gerade um in diesem Bereich nicht auch noch zwischen Männern und Frauen unterscheiden zu müssen. Denn wie gesagt, bis zuletzt durften nur Männer solche offiziellen Lektoren und Akolythen werden."
Die Öffnung der beiden kirchlichen Ämter, die historisch von den sogenannten niedrigen Weihen abstammen, schien für manche Beobachterinnen und Beobachter zwar erfreulich, aber kein großer Fortschritt zu sein. Denn immerhin ist es längst lebendige Tradition, dass Frauen den Dienst als Lektorin und den Altardienst übernehmen. Eine Praxis, wie Weltweit, aber insbesondere im deutschen Sprachraum bereits seit Jahrzehnten besteht. Für Liborius Lumma enthält "Spiritus Domini" trotzdem Potenzial.
"Ob man das jetzt wirklich als einen Fortschritt für Frauenämter in der Kirche sieht oder nicht, hängt sehr von der Blickrichtung ab. Der Papst hat betont, dass die drei Weiheämter - Bischof, Presbyter, Diakon - Männern vorbehalten bleiben. Insofern bleibt diese Neuerung natürlich hinter der Forderung nach Frauenordination zurück. Das sollte man jetzt auch nicht beschönigen oder uminterpretieren. Auf der anderen Seite lässt sich vielleicht schon ein gewisses Potenzial sehen, aber das hängt sehr davon ab, ob dieses Amt des Lektorats und Akolythats in Zukunft überhaupt weit verbreitet werden wird oder nicht. Wenn man damit kreativ umgeht, dann kann man daraus schon etwas machen: Wenn ich mir vorstelle, dass es in jeder Pfarrgemeinde eines Tages eine Gruppe von solchen Amtsträgerinnen und Amtsträgern des Lektorats gibt, dann steckt da schon ein Potenzial für einen Grundvollzug christlicher Identität drin, nämlich für die Präsenz der Heiligen Schrift im Gemeindeleben. Das wäre dann fast so etwas wie ein Ältestenrat oder ein Senat der Gemeinde, die Anwältinnen und Anwälte der Heiligen Schrift. Man könnte dafür ja eine durchaus umfangreiche Ausbildung vorsehen. Diese Gruppe könnte ident sein mit den Leiterinnen und Leitern von Wort-Gottes-Feiern, Begräbnissen, Stundengebet und so weiter. Warum sollten sie nicht auch Entscheidungskompetenz bekommen, wenn es um die Verwendung der Bibel im Gottesdienst geht, um die Ausbildung und Schulung derer, die öffentlich aus der Bibel vorlesen, um die Auswahl von Themen für Fortbildungsangebote in der Gemeinde und so weiter... Also da sehe ich schon ein gewisses Potenzial. Es ist ein festes kirchliches Amt, es ist kein Weiheamt, aber es ist dem Weiheamt doch irgendwie ähnlich. Es ist ein Amt, das jetzt für Frauen und Männer in gleicher Weise offen ist und man könnte ihm auf kreative Weise einen sichtbaren und durchaus einflussreichen Platz im Gemeindeleben geben."
Die Argumente für oder gegen die Frauenordination in der katholischen Kirche gehen - ganz kurz gefasst - auf Bibelstellen und Kirchengeschichte zurück. Laut Lumma spielen aber auch Rollenzuschreibungen sowie emotionale und tiefenpsychologische Gründe eine große Rolle.
"Den meisten Menschen ist da eine bestimmte Wahrnehmung und auch Rollenzuschreibungen vollkommen selbstverständlich. Und sie können überhaupt nicht nachvollziehen, wie andere Menschen ganz andere Bilder und Rollenbilder in sich tragen, die ihnen genauso selbstverständlich sind."
Frauen- und Rollenbilder kennt aber auch der Islam, meint Baghajati.
"In der Außensicht wird die Einstellung gegenüber der Religion Islam an sich stark verknüpft mit dem, was man vom Status muslimischer Frauen zu wissen glaubt. Musliminnen ärgern sich dann über Klischeebilder, die sie in eine Art Opferrolle drängen. Und ganz natürlich gibt es 'die' muslimische Frau nicht."
Auch in anderen theologisch relevanten Aspekten gibt es keine Unterscheidung der Geschlechter. Frauen empfangen etwa die gleiche Taufe wie Männer, erklärt Ute Heil. Genauso wenig gebe es einen eigenen Himmel für Frauen und einen für Männer. Das gilt in der katholischen sowie evangelischen Kirche. In der evangelischen Kirche gibt es aktuell keine Debatte rund um die Frauenordination, wohl aber um mangelnden Nachwuchs und das Berufsbild.
"Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen im Pfarramt sind. Es ist für Frauen selbstverständlich, dieses Amt zu übernehmen. Es ist für die Gemeinden selbstverständlich, Frauen in dieser Funktion zu erleben. Gegenwärtige Debatten hängen eher mit fehlendem Nachwuchs zusammen oder auch mit veränderten Berufsbildern, mit Vorstellungen von Beruf, was soll ein Pfarramt überhaupt sein? Oder mit Anliegen einer modernen Work-Life-Balance und Burn-out-Phänomenen. Diese Debatten hängen eher mit dem Pfarrberuf an sich zusammen als mit der Frage der Geschlechtlichkeit."
Obwohl Frauen seit den 1970er-Jahren Pfarrerin werden können, gibt es noch viel zu tun, meint Heil abschließend.
"Natürlich ist nach wie vor erkennbar, dass auch in der Kirche wie auch in anderen Institutionen Universität, in Firmen, in der Politik et cetera, das auch in der Kirche nach wie vor in den oberen Leitungspositionen sich eher Männer finden als Frauen. Da ist sicher noch ein Desiderat, auch darüber nachzudenken, wie hier Abhilfe geschaffen werden kann."