Die Klimakrise: Auch ein Thema für Philosophie und Theologie?
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Podcast vom 11. September 2022 | Gestaltung: Henning Klingen*
Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Es wird langsam merklich kühler. Endlich!, mag da manch einer sagen; denn es war heiß, verdammt heiß in Österreich, aber letztlich in ganz Europa. Zudem hat es viel zu wenig geregnet. Die Klimaerwärmung zeigt langsam ihre katastrophischen Züge, könnte man sagen. Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge "Diesseits von Eden", sagt Henning Klingen.
Das Klima bot also, so sollte die Einleitung darlegen, Anlass genug für die "Philosophisch-Theologische Hochschule Brixen", sich bei ihren ersten "Brixner Philosophietagen", die Anfang September stattfanden, intensiv mit der Klimakrise zu befassen. Unter dem Titel "Auf der Kippe? Die Klimaerwärmung als gesellschaftliche und ethische Herausforderung" wurde über ökologische, soziale und ökonomische Entwicklungen im alpinen Raum aus philosophischer und ethischer Perspektive diskutiert.
Drei Referentinnen und Referenten dieser Tage habe ich mir daher heute in unser Online-Podcaststudio geholt: Zum einen den Initiator der Tagung, den Brixner Moraltheologen Professor Martin Lintner, dann die Biologin Professor Ulrike Tappeiner, die unter anderem an der Universität Innsbruck lehrt, aber auch Rektorin der Freien Uni Bozen ist und schließlich den Münchner Sozialethiker Professor Markus Vogt. Er hat über das "Prinzip Nachhaltigkeit" aus ethischer und theologischer Perspektive publiziert und ist unter anderem als Umwelt- und Klima-Berater für Diözesen bzw. kirchliche Einrichtungen auch in Österreich tätig.
Begonnen habe ich unser Gespräch mit der einfachen Frage an Martin Lintner, warum denn eigentlich die Klimakrise überhaupt ein theologisch philosophisches Thema darstellt. Dass sie eine technische und politische Herausforderung darstellt, geschenkt!, Das ist klar. Aber warum theologisch oder philosophisch?
Lintner: "Unser Anliegen als Hochschule ist es, dass wir uns einbringen in aktuelle gesellschaftliche Debatten und dass wir eben die philosophische und auch die ethische Dimension dieser Debatten beleuchten. Und gerade im Kontext der Klimaerwärmung geht es ja auch ganz wesentlich darum, dass wir uns als christliche Religion, also auch als Theologie, mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Vorwurf zutrifft, dass die derzeitigen Entwicklungen auch eine Folge vom christlichen Menschenbild sind. Diese Debatte wird ja seit den 70er-Jahren intensiv geführt, ob die Umweltzerstörung eben so etwas wie ein Erbe oder die logische Konsequenz ist von diesem oft meines Erachtens falsch verstandenen Herrschaftsauftrag über die Erde und die Tiere. Oder ob wir umgekehrt dann auch einen Beitrag leisten können zur Bewältigung der Umweltkrise. Ich denke da in besonderer Weise an die Enzyklika von Papst Franziskus, Laudato si. Welche Impulse können wir da von der Theologie einspeisen, um eben diese Problematik zu bewältigen?"
Prof. Martin Lintner
Und dabei ist jetzt die Theologie und die Philosophie in erster Linie Hörende - oder muss sie auch gleich immer normativ reden bzw. sich einmischen?
Lintner: "Beides - also zunächst einmal müssen wir hinhören, weil wir als Philosophen und Theologen ja angewiesen sind auf den interdisziplinären Diskurs. Also worüber wir reden, das sind zunächst einmal Zahlen, Daten, Fakten - und das liefern uns die Naturwissenschaften. Aber es geht dann um die Einordnung in einen weiteren Kontext. Das ist dann unsere genuine Aufgabe und das ist für mich immer sehr spannend, wenn ich mit Naturwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen im Gespräch bin, dass sie ja auch ganz intuitiv nicht einfach bei den Zahlen, Daten und Fakten bleiben, sondern zugleich auch bereits sagen: Wir müssen etwas ändern. Da kommen dann natürlich Zukunftsvisionen ins Spiel, die eben ethisch relevant sind bzw. die man auch auf die ethische Dimension hinterfragen kann."
Frau Professor Tappeiner, Herr Lintner hat schon von "Zahlen, Daten, Fakten" gesprochen und der Aufgabe der Naturwissenschaften, die zu liefern, während Theologie und Philosophie diese dann einordnen sollen. Ist das etwas, mit dem Sie als Naturwissenschaftlerin von der Arbeitsteilung her leben können? - Und zu Ihrem eigenen Zugang bzw. Input bzgl. Biodiversität: Ist das nur ein Nebengleis der Klimadebatte? Oder ist das ein Hauptgleis, das wir einfach noch nicht als solches richtig erkannt haben?
Tappeiner: "Ich kann sehr gut damit leben, dass die NaturwissenschaftlerInnen Fakten und Zahlen liefern und damit dann in Dialog treten. Das ist das Entscheidende: Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass wir nebeneinander parallel forschen oder parallel arbeiten, sondern dass wir uns interdisziplinär austauschen. Im Übrigen halte ich auch von Herrn Lintner angesprochenen Anthropozentrismus für einen ganz entscheidenden Punkt: Es hat noch nie so eine Vorherrschaft einer Art auf der Erde gegeben. Wir sind im Moment am Beginn oder mitten drin im sechsten Massenaussterben auf der Erde. Es hat schon fünf gegeben, das wissen wir aus fossilen Funden, die alle durch Klimaveränderungen entstanden sind. Davon hat sich das Leben immer wieder erholt. Aber es ist noch nie so schnell gegangen wie heute. Wir verlieren heute Arten zehn bis hundertfach schneller als es früher der Fall war und es wird vielleicht noch viel stärker werden. Nun zur Biodiversitätskrise: Biologische Vielfalt ist nicht nur Artenvielfalt, so wird es allgemein verstanden. Aber es ist vor allem auch Verlust an Ökosystemen, an Habitaten. Die Arten, die Tiere, die Pflanzen, die müssen ja irgendwo leben. Was wir ihnen nehmen, ist die Grundlage genauso für die Klimakrise: Wir haben de facto die Habitate vollständig verändert. Der Welt-Biodiversitätsrat hat es gerade erst geschafft, 2019 den ersten Sachstandsbericht zu veröffentlichen. Und es gibt viele Wissenschaftlerinnen, die jetzt im Bereich der Nachhaltigkeit forschen, was ja auch schon angesprochen wurde, die eben die planetaren Grenzen unserer Erde aufzeigen. Und dabei wird mit Ampel-Farben grün, gelb und rot markiert, was im Moment eigentlich die größte Bedrohung ist. Und das ist die Biodiversität und der Verlust an Habitaten. Denken wir allein daran, dass im tropischen Regenwald circa 6 Millionen Hektar pro Jahr verschwinden. Das ist der große Hotspot der Biodiversität. Das wirkt sich massiv auf das Klima aus, aber eben auch auf den Artenschutz."
Prof. Ulrike Tappeiner
Herr Prof. Vogt, aus dem bisher Gesagten geht ja schon ganz viel appellative, ja normative Kraft aus. Welche Aufgabe kommt da noch der Sozialethik zu, wenn die Naturwissenschaften eh schon wissen, wie dramatisch die Lage ist und wie dringend das Handeln ist...?
Vogt: "Ich denke, die Art, wie Frau Kollegin Tappeiner das geschildert hat, dass wir schon lange das Wissen haben, dass wir im Klimabereich schon lange, eigentlich auch theoretisch die Beschlüsse haben und trotzdem geschieht nichts - das ist ein typisches Problem für die Ethik. Also wir tun nicht, was wir eigentlich wissen, wovon wir wissen, dass wir es tun sollten. Und das ist die Aufgabe der Ethik: zu analysieren, woran das liegt. Es liegt nicht am Mangel an technischen Möglichkeiten oder auch an einem Mangel an politischen Beschlüssen, sondern die Klimakrise und Biodiversitätskrise hat offensichtlich eine kulturelle Tiefendimension. Unsere Auffassungen von Wirklichkeit, unsere Raumvorstellungen, unsere Vorstellungen einer begrenzten Verantwortung: Wir sind gewohnt, Verantwortung eher im Nahbereich und eher kurzfristig zu denken. Und im Blick auf unser Naturverhältnis können wir nicht einfach von einem Anthropozentrismus auf einen Ökozentrismus umschalten, sondern wir müssen den Menschen als Verantwortungssubjekt adressieren. Das sind durchaus auch philosophische, theologische, anthropologische Herausforderungen. Um beim Beispiel Klimawandel zu bleiben: Wir haben seit Jahrzehnten tausende, zigtausende Daten, die wir gesammelt haben; aber wir haben relativ wenige Leute, die darüber forschen, was wirklich gerecht ist im Spannungsverhältnis zwischen entwicklungspolitischen Anforderungen und der Pflicht zum Klimaschutz."
Das müsste ja momentan dann eine "Hoch-Zeit" sein, wenn man daran denkt, dass in Deutschland wie in Österreich die Preisbremsen-Debatte geführt wird und sehr, sehr viel Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet wird - und dies nicht nur auf Kosten der nächsten Generation, die die Schulden tragen muss, sondern auch auf Kosten des Klimas - denn letztlich konterkarieren die Hilfen ein stückweit ja auch den Wandel im Energieverbrauch, oder?
Vogt: "Genau, das ist eine ganz wichtige Feststellung. Papst Franziskus formuliert sehr eindrücklich: Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine ökologische und eine soziale Krise, sondern eine einzige ökosoziale Krise. Das heißt, wir werden Akzeptanz und Handlungsfähigkeit nur aufrechterhalten können, wenn wir diese schwierige Situation der Transformation unserer Gesellschaft auch sozial gerecht und entwicklungspolitisch gerecht gestalten. Also sowohl in unseren Gesellschaften in Österreich, Italien, Deutschland, anderen Ländern auch als auch global. Wir müssen tatsächlich Armutsbekämpfung und soziale Sicherung gleichzeitig mitdenken und die Handlungsfähigkeit der unterschiedlichen Akteure in den Blick nehmen - denn wenn die Arbeitsplätze verloren gehen, haben wir nichts gewonnen. Und das ist, denke ich, auch typisch für eine christliche Ethik: Zu sagen, wir müssen mit Augenmaß die richtigen Kompromisse suchen und dürfen trotzdem die gesamte Richtung der Transformation zur Klimaneutralität nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen spätestens Mitte des Jahrhunderts in unseren Ländern wie Deutschland, Österreich klimaneutral sein. Das ist eine gewaltige Herausforderung und wir müssen die Gesellschaft mitnehmen. Das geht nur, wenn wir es sozial gerecht gestalten und auch die Lücken für Trittbrettfahrer, die jetzt erst recht gewinnen und ihren Reibach machen, schließen."
Prof. Markus Vogt
Eine kurze Nachfrage zur Sozialethik: Bei der Naturwissenschaft ist es relativ klar, dass die Politik diese mittlerweile hört. Aber wie steht es da um eine Disziplin wie die Sozialethik? Wo wird die gehört?
Vogt: "Es gibt viele Ebenen. In Deutschland haben wir die katholischen Büros in allen Bundesländern und auch in Berlin ein katholisches Büro. Mit dem haben wir zum Beispiel von der Ökologischen Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz gemeinsam eine Stellungnahme erarbeitet, noch vor der Bundestagswahl, was es heißt, Klimaneutralität zu haben bzw. was dazu geleistet werden muss. Es braucht etwa eine jährliche Berichtspflicht. Wir müssen definieren, was die einzelnen Ressorts leisten. Der Verkehrsbereich macht im Augenblick überhaupt noch seine Hausaufgaben nicht. Genauso der Baubereich, der sehr viel CO2 bedeutet. Das heißt, wir müssen das auch Adressaten-spezifisch ausrichten hinsichtlich der einzelnen Akteure. Mein Eindruck ist insgesamt, dass ethische Gesprächspartner aktuell eher im Bereich der Medizinethik gehört werden - weniger bislang im Bereich der Umweltpolitik. Da sind wir eher noch einsame Rufer in der Wüste oder werden eben noch tatsächlich eher mit diesem anthropozentrischen Weltbild, das verantwortlich ist für diese derzeitigen Krisen, in Verbindung gebracht, sodass man uns eben keine Kompetenz zuerkennt, da tatsächlich jetzt auch Teil der Lösung von Problemen sein".
Tappeiner: "Stichwort Kostenauslagerung: Ich sehe das auch sehr negativ, dass einfach das Gießkannenprinzip angewendet wird bei den Hilfen. Hier könnte man viel gezielter agieren, aber gleichzeitig auch wirksamer, wenn man zum Beispiel, wie es ja auch vorgeschlagen wurde, prinzipiell mal in Österreich die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen auf 100 hinuntersetzen würde. Das würde einen viel höheren Effekt haben. Und: Ja, wir haben natürlich eine große Verantwortung hier in Europa. Aber wichtig ist auch, die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern finanziell zu stärken. Wir können ja nicht verlangen, dass die Bevölkerung etwa am Amazonas auf ihrem Lebensstandard bleibt, weil eben das jetzt notwendig ist, sondern wir müssen das massiv auch finanziell unterstützen und die Mittel dazu intelligent einsetzen. Aber hier fehlt es an der Bereitschaft, das, was im Pariser Abkommen definiert wurde, umzusetzen, dass die westlichen, reicheren Länder zahlen müssen."
Vogt: "Also auf zwei Aspekte würde ich gerne direkt antworten: Zum einen - die Rede von 'Mutter Erde', die ja Ecuador, Bolivien und einige andere Länder eingebracht haben, auch als eine Metapher ihres Verständnisses der Natur zur Abwehr des Zugriffs von internationalen Konzernen auf die Ressourcen. Natürlich könnten wir sagen, 'Mutter Erde' ist eine mythologische, eine religiöse Redeweise. Aber da ist auch Aufgabe einer christlichen Sozialethik, beides zusammenzubringen - die religiöse, vielleicht mythologische Rede und die Zugänge der Naturwissenschaften. Papst Franziskus greift auch den Ausdruck 'Mutter Erde' in der Enzyklika Laudato si auf, interessanterweise aber in Verbindung auch mit dem Ausdruck Schwester Erde. Und noch kurz zur Berechnung der Emissionen: Ein großer Schwachpunkt in den bisherigen Modellen ist, dass wir eigentlich nur die CO2-Emissionen in technischen Zusammenhängen berechnen. Aber etwa durch die Zerstörung der Moore wird ganz viel CO2 frei, auch durch die Erwärmung der Meere. Das haben wir alles überhaupt noch nicht systematisch in den Klimaverhandlungen drin. Wie können wir Länder wie Brasilien unterstützen, dass es den Regenwald erhält, ohne erpressbar zu sein? Das ist auch noch mal eine politisch höchst sensible Frage. Aber da weiterzukommen, das ist eine ganz wichtige Perspektive auch für solide Klimaverhandlungen."
Ein Problem des Pariser Klimaabkommens ist ja - so scheint mir - der Mangel an rechtlicher Bindekraft. Herr Vogt, Sie haben unter anderem vorgeschlagen, dass man noch eine Ebene höher gehen müsste bei der rechtlichen Implementierung.
Vogt: "Ja, ich plädiere für eine vierte Generation der Menschenrechte. Ihr Anfang ist ja in der französischen Revolution in der Kritik des Absolutismus begründet, also in der Würde und dem Recht des einzelnen Menschen als Individuum, als Subjekt gegen den Übergriff des Staates. Im 19. Jahrhundert kam dann die soziale Dimension der Menschenrechte - gegen die Vereinzelung der Arbeiter kam das Konzept der Solidarität und die sozialen Einspruchsrechte. Im 20. Jahrhundert kamen dann die politischen Mitwirkungsrechte gegen die totalitären Systeme von Nationalsozialismus, Sozialismus, so dass wir sagen: der Mensch will Subjekt sein, er muss das Recht haben, seine Lebenswelt aktiv mitzugestalten. Und im 21. Jahrhundert ist die große Herausforderung nun die Ökologie, das heißt die Zerstörung der Umsetzung der Menschenrechte durch die Zerstörung von Ökosystemen, von Lebensräumen. Das heißt, wer heute die Menschenrechte ernst nimmt, muss ökologische Existenzrecht umsetzen. Und das hat Politik-strategisch eine enorme Reichweite, weil eben die Beschlüsse von Klimakonferenzen wie zuletzt in Paris oder Glasgow nicht unmittelbar rechtsverbindlich sind. Das heißt, es geht darum, das nun auch rechtsverbindlich zu machen. Dazu wäre es natürlich gut, wenn auf Weltebene, von der UNO so wie beim Weltsicherheitsrat eine mit Sanktionen ausgestattete Institution für Umwelt eingesetzt würde. Ganz wichtig wäre aber auch nach dem Prinzip der katholischen Soziallehre, der Subsidiarität., dass Dinge, die auf globaler Ebene beschlossen werden, auf nationaler Ebene durch den Anschluss an die einzelnen Verfassungen implementiert werden."
Um noch mal die Kurve zur Theologie zurück zu nehmen, Herr Lintner: In dieser Art, wie wir jetzt reden, ist die Theologie durchaus anschlussfähig und wird gehört. Aber gibt es nicht doch ein Problem offiziöser kirchlicher Rede in der Art, dass diese oft im Vagen und rein Individualethischen bleibt? - Nach dem Motto: Wir müssen nur alle ein bisschen mehr Energie sparen, uns ein bisschen mehr einschränken - und das Problem erledigt sich von selbst... Verspielt Kirche da nicht auch ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie so die Komplexität des Problems unterschlägt?
Lintner: "Ja und nein. Es ist tatsächlich so, dass traditionellerweise die theologische Ethik mehr auf der individuellen Ebene ansetzt. Gerade im Bereich von Umweltethik denke ich tatsächlich, dass der Überhang der ist, eben eher bildhaft auf der individuellen Ebene zu operieren und nicht so sehr wirklich die strukturellen Zusammenhänge zu hinterfragen und dann eben auch die notwendigen Änderungen einzufordern. Ich möchte aber auch noch einmal das Stichwort von der 'Mutter Erde' aufgreifen, denn das zeigt meines Erachtens gerade, dass es für uns westlich geprägte Menschen wichtig wäre, die Tiefendimension zu entdecken, die uns helfen könnte, die Probleme heute zu bewältigen. Schließlich ist es ja gerade unser technokratisches Verständnis der Welt gewesen, das zu den Problemen geführt hat. Und so müssen wir fragen: Wie können wir hier auch vom jüdisch-christlichen Weltbild her etwas einspeisen, was wir offensichtlich verloren haben? Und da können wir sehr viel lernen, beispielsweise eben die Rede von 'Mutter Erde'. Der Papst spricht davon, dass die Mutter Erde schreit und dass das ein Schrei ist wie der Schrei der Armen. Und daraus erwächst eine Aufgabe für die Theologie und die christliche Soziallehre; hier eben zu fragen, wie wir die Option für die Armen so erweitern können auf eine Option auch für andere Lebewesen und letztlich für die ganze Erde? Und ich denke, das ist weiterhin ein großer Schwachpunkt auch der Enzyklika Laudato si, dass der gesamte Bereich der Tierethik unterbelichtet bleibt. Und genau da zeigt sich wieder, dass wir eben diesen Blick auf das Strukturelle noch viel zu wenig im Blick haben, sondern eher auf der individuellen Ebene des Appellativen operieren."
Ich muss mit Blick auf die Uhr langsam die Schlussrunde einläuten - und würde Sie bei Ihren letzten Wortmeldungen um folgende Einschätzung bitten: Wie blicken Sie in die Zukunft? Überwiegt bei Ihnen Hoffnung und Optimismus oder eher schon eine Art pessimistische Traurigkeit bzw. Abschiedlichkeit?
Vogt: "Also ich glaube, dass wir schon im Bereich der Kipppunkte angelangt sind. Das heißt, wir können größere Klimakatastrophen nicht mehr vermeiden. Wir wissen nicht genau, in welchem Ausmaß. Das heißt, sie können mehr oder weniger stark sein. Es ist aber zugleich nicht zu spät, zu handeln und sie zu dämpfen. Aber ich glaube, wir müssen mit erheblichen Einbußen unseres Wohlstandsmodells rechnen, mit erheblichen sozialen Konflikten, mit Schuldvorwürfen, mit Ressourcenkonflikten. Das wird alles zunehmen. Christlich betrachtet würde ich sagen, dass ich dennoch Hoffnung habe - aber eine durchkreuzte Hoffnung. Das christliche Zukunftsversprechen besagt ja nicht, dass alles einfach glattgeht, sondern es steht ja auch das Kreuz da. Aber dass Gott auch in den Abgründen des Lebens an unserer Seite steht und dass es sich lohnt, für Gerechtigkeit, für Liebe, für Verantwortung sich einzusetzen, das ist meine Zukunftsperspektive."
Tappeiner: "Wenn wir jetzt nichts tun, dann bleiben wir weiterhin auf dem 4-6 Grad-Weg - und dann wird das System wirklich unkontrollierbar. Das heißt es ist ganz entscheidend, dass wir diese Transformation auch schaffen. Als Ökologen könnte ich mich bequem zurücklehnen und sagen: Ökologische Systeme haben eine hohe Dynamik, sind ständig in Veränderung. Wie gesagt: Von den ersten fünf Massenaussterben hat sich die Erde gut erholt. Ich hoffe aber nicht, dass beim sechsten Massenaussterben dann der Mensch am Ende ausstirbt - gleichwohl gibt es diese Debatte. Und es zeigt für mich auch deutlich: Ja, wir haben den Kipppunkt schon erreicht, aber wir müssen alles jetzt, damit wir nicht weitere erreichen und in jenes 'Hitzehaus Erde' kommen, das die Naturwissenschaft prognostiziert."
Lintner: "Als Theologe ist mein Job, optimistisch zu sein und Hoffnung zu haben. Aber wenn ich mich zwischen Optimist und Pessimist entscheiden müsste, dann würde ich den Realismus wählen und der Realismus gibt Anlass zu großer Sorge. Da brauchen wir uns gar nichts vormachen. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie sie ist, mit all dem Bedrückenden und auch mit all dem, was Sorge bereitet; aber dann auch nicht der Gefahr zu unterliegen, zu resignieren oder nur mehr pessimistisch zu sein, sondern vielmehr dann eben jene Hoffnungen aufzuweisen, die uns dann auch die Kraft geben, etwas zu tun. Denn Veränderung ist notwendig."
Und das war's schon wieder mit dieser Folge des Podcasts "Diesseits von Eden". Vielen Dank fürs Zuhören sagt Henning Klingen.