Streitfall Nicäa? Was ein 1.700 Jahre altes Konzil für Theologie und Glauben heute bedeutet
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Podcast vom 23. Oktober 2024 | Gestaltung: Henning Klingen*
Ich glaube an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
den Sohn Gottes,
der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist,
Gott aus Gott, Licht aus Licht,
wahrer Gott aus wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater
Keine Sorge, das wird jetzt keine Gebetsstunde hier bei "Diesseits von Eden". Aber es geht in dieser Folge um eine wichtige Frage, die in diesem Glaubensbekenntnis in Gebetssprache beantwortet wurde. Die Frage nach der "Natur" Jesu. War Jesus wirklich Gottes Sohn im Sinne einer eigenen göttlichen Natur – oder doch ganz Mensch? Und damit quasi nur ein bisschen Gott. Ein Gott 2. Klasse …? Wie soll man das denken? Diese Frage ist nicht belanglos, sie hat die Menschen durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte immer wieder umgetrieben.
Einen wichtigen Pflock in dieser Sache hat das Erste Konzil von Nicäa im Jahr 325 eingeschlagen – eben mit dem zitierten Glaubensbekenntnis: Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Aber eben auch wahrer Mensch, der gelitten hat.
Wir wollen heute der Spur nachgehen, die von Nicäa aus durch die Geschichte verfolgt wurde – und was dieses Ereignis vor 1.700 Jahren eigentlich heute noch für den Glauben und für die Theologie für eine Bedeutung hat. Als Gäste begrüße ich dazu die Wiener evgl. Kirchenhistorikerin und Dekanin der Wiener evgl. Fakultät, Prof. Uta Heil, und den katholischen Dogmatiker ebenfalls aus Wien, Prof. Jan-Heiner Tück.
Sie beide richten Anfang November dieses Jahres ein großes internationales Symposion hier in Wien zum Konzil von Nicäa aus. Warum? Was soll heute noch – nachdem doch alles geklärt scheint in der Natur-Frage Jesu – daran reizen? Was macht es heute noch zu einem "Streitfall", wie der Titel des Symposions lautet?
Heil: "Also ein Jubiläum ist ja gegeben durch das Datum des Konzils von Nicäa. Das ist im Jahr 325 passiert, einberufen vom Kaiser Konstantin. Und daher haben wir im nächsten Jahr 1700 Jahre Konzil von Nicäa und dieses Konzil von Nicäa hat mehrere Besonderheiten und ist daher einzigartig und deswegen auch aus historischen Gründen erinnerungswert, aber eben auch in Bezug auf die christliche Ökumene. Erinnerungswert im Bezug auf historische Details ist es, weil es das erste Konzil gewesen ist, was von einem dann christlich gewordenen Kaiser, nämlich Konstantin, einberufen wurde. Das ist eine Innovation und gab es bis dahin nicht. Und damit hängt eine zweite Innovation zusammen: dass es wenigstens der Vorstellung nach ein Gesamtkonzil aller Bischöfe im Römischen Reich war – auch wenn de facto die Mehrheit aus dem griechischen Osten kam und die Beteiligung des lateinischen Westens eigentlich vernachlässigenswert ist. Eine weitere Besonderheit dieses Konzils ist es eben, dass ein Bekenntnis festgelegt wurde. Vorher hatten wir eher variable Glaubensformeln in unterschiedlichen Kontexten. Und mit dem Konzil haben wir erstmals eine schriftliche Fixierung eines Glaubensbekenntnisses. Und da waren im Nachgang eben alle Teilnehmer, die Bischöfe verpflichtet, das zu unterschreiben. Wer das nicht unterschrieb, hatte dann eben mit der Exkommunikation zu rechnen. Insofern gibt es verschiedene historische Besonderheiten, die dieses Konzil einzigartig machen. Aber es ist auch in Bezug auf die Rezeption wichtig, weil es das erste Konzil mit einem Glaubensbekenntnis war und bis heute ist, was alle christlichen Konfessionen unterschreiben und akzeptieren konnten. Das ist mit keinem späteren Bekenntnis der Fall. Wir haben dann das Bekenntnis von 381, das sogenannte Nicäno-Konstantinopolitanum, und das hat eben auch schon für Streitigkeiten gesorgt, weil es dann in dem lateinischen Westen mit der Zusatzformulierung des 'filioque' eben schon Differenzen gab. Und insofern ist das Bekenntnis von Nicäa und das Konzil von Nicäa wirklich abgesehen von der Bibel, sozusagen das einzige Glaubensdokument, was alle christlichen Konfessionen unterschreiben und akzeptieren."
Das war jetzt ein wenig theologiegeschichtlich rekonstruiert. Aber was macht das Konzil denn zum Streitfall aus dogmengeschichtlicher Sicht?
Tück: "Seit Adolf von Harnack und natürlich auch schon vorher stand immer wieder der Vorwurf im Raum, das Konzil von Nicäa habe das Evangelium hellenistisch verfälscht. Warum? Weil ein Begriff in ein Glaubensbekenntnis Eingang findet, der aus der philosophischen Sprache kommt. Der Terminus homoousios, der soviel bedeutet wie die Gleich-Wesentlichkeit von Vater und Sohn. Das sei eigentlich eine Überformung, eine spekulative Überfrachtung des einfachen Evangeliums. Berühmte Dogmen-Historiker wie Alois Grillmeier haben gesagt: Nicht das Konzil hat das Evangelium hellenistisch verfälscht, sondern im Gegenteil: durch eine Veränderung der griechischen Ontologie wurde das griechische Denken christianisiert. Warum? Weil in allen philosophischen Schulen Griechenlands der letzte Begriff aller Wirklichkeit immer ein differenzloses 'Eines', ein göttliches eines, eine einsame Monade gewesen sei. Während jetzt das Konzil von Nicäa sagt: Nein, die letzte Wirklichkeit ist eine, in der Einheit und Vielfalt zusammengehen. Also in den Gottesbegriff wird eine Relation, eine Beziehung eingetragen, so dass der johanneische Begriff 'Gott ist Liebe, Gott ist Leben' terminologisch exakt bezeichnet wird dadurch, dass Vater und Sohn als gleich-wesentlich charakterisiert werden und damit auch eine Absage an die Theologie des Arius vorgenommen wird, der das Verhältnis zwischen Vater und Sohn im Sinne einer Subordination beschrieben hat. Und damit wird eben nicht einfach das Denken der hellenistischen Philosophie in das Bekenntnis eingetragen, sondern es wird mit Denkmitteln der griechischen Philosophie eine Transposition dergestalt vorgenommen, dass der Letztbegriff jetzt relationaler gefasst wird. Gott ist von Ewigkeit her Beziehung."
Prof. Uta Heil
Gehen wir noch mal kurz zurück ins Jahr 325. Wie müssen wir uns das religions- und theologiegeschichtlich vorstellen? Welche Welten trafen damals dort aufeinander? Was weiß man davon - und was war der zentrale Konflikt?
Heil: "Also wir haben leider keine Protokolle, die die tatsächlichen Ereignisse nachvollziehbar machen. Es gibt auch keine Konzilsakten. Es gibt einige wenige Darstellungen über das Konzil in Form von Briefen, die nach dem Konzil verschickt wurden, etwa von Konstantin. Man hatte natürlich verschiedene Lager, Positionierungen und der Streit, der auf dem Konzil von Nicäa thematisiert wurde, der sogenannte 'Arianische Streit' schwelte ja schon ungefähr zehn Jahre. Das kommt ja nicht aus dem Nichts. Es gibt sogar eine Theorie zur historischen Rekonstruktion, die besagt, dass eigentlich das Anliegen von Kaiser Konstantin war, sein zwanzigjähriges Regierungsjubiläum zu feiern vor einem großen Podium von Bischöfen - und der Streit das zu verhindern drohte bzw. Konstantin diesen Streit rechtzeitig bereinigen wollte. Aber weil es sich nicht bereinigen ließ, hat man das dann doch dort auf die Tagesordnung gesetzt. Insgesamt aber lassen sich die Debatten auf dem Konzil nur rudimentär erahnen. Was wir wissen: Der Streit bricht bereits früher, etwa um das Jahr 315 in Alexandrien aus, wo es zu einem Konflikt kommt zwischen Arius, dem Presbyter, und seinem Bischof Alexander. Arius ging es eben darum, die Vorstellung von Christus als Sohn Gottes terminologisch genauer zu fassen und durch den Begriff 'Sohn' nicht auf gedankliche Abwege zu geraten, weil man beim Begriff Sohn zu problematischen Bezügen im Blick auf die Entstehung des Sohnes aus dem Vater kommen könnte. Das präziser bzw. mit philosophischer Terminologie genauer zu fassen war das Anliegen des Arius. Er sagte: Wenn der Sohn ein Sohn ist, hat er einen Vater, und der Vater ist die Ursache von allem Sein und allem Entstehen und eben auch dem Entstehen des Sohnes. Auch wenn der Sohn als Schöpfungsmittler dann allem weiteren Entstehen und der Schöpfung vorausgeht. Aber irgendwie muss der Sohn einen Anfang haben. Und darum geht es eigentlich bei diesem Streit: Es geht nur um die Frage der Entstehung des Sohnes aus dem Vater in seinem vorweltlichen Dasein. Und was eben auch bemerkenswert ist: dass zu diesem Zeitpunkt die dritte Person, der Heilige Geist, gar keine Rolle spielt. Das sieht man auch an dem Glaubensbekenntnis von 325: Dort ist nur eine ganz knappe Phrase dem Heiligen Geist gewidmet. Das heißt also, je knapper etwas in so einem Glaubensbekenntnis thematisiert wird, desto weniger umstritten war das, weil man darüber keinen Klärungsbedarf hatte."
Tück: "Vielleicht kann man ergänzend noch sagen, dass im Hintergrund der arianischen Kontroverse die Theologie des Origenes steht, bei dem sich zwei letztlich nicht ganz versöhnte Aussagereihen finden. Einerseits sagt er: Es gibt sehr wohl drei Hypostasen, die sind aber hierarchisch gestuft. Also Gott, der Vater, steht höher als Gott, der Sohn und Gott, der Sohn steht höher ontologisch betrachtet als der Heilige Geist. Gleichzeitig findet sich bei Origenes allerdings auch der Gedanke der ewigen Zeugung in Gott. Unter Rückgriff auf Psalm 2,7: 'Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt' sagt Origenes: Dieses Heute ist nicht temporal zu verstehen, weil Gott hier spricht. Es hat keinen Morgen und keinen Abend. Also insofern kann man sehr wohl von einer ewigen Zeugung des Sohnes durch den Vater sprechen. Und Arius kennt das natürlich; oder man geht davon aus, dass er es gekannt hat, und er setzt sich aber jetzt in einem Punkt von Origenes ab: Er bestreitet den Gedanken der ewigen Zeugung und sagt: Es war einmal, da er nicht war, der Sohn, und damit wird er ontologisch, aber auch temporal depotenziert. Und das tangiert jetzt natürlich den Gottesbegriff. Entscheidend ist, den Sohn quasi von Ewigkeit her in den Gottesbegriff hineinzunehmen. Ist also Gott von Ewigkeit her Vater? Oder wird Gott erst zum Vater in dem Augenblick, wo er aus dem Nichts willensmäßig den Sohn aus sich hervorgehen lässt? Das klingt für heute alles etwas abstrakt. Vielleicht kann man es etwas illustrieren, indem man in Erinnerung ruft, was Athanasius sagte: Es sind eigentlich drei Gründe, die gegen Arius sprechen: Das erste ist ein offenbarungstheologisches Argument. Wäre der Sohn nicht wirklich Gott, dann hätte er uns Gott auch nicht wirklich offenbaren können, sondern nur irgendetwas. Das zweite: Theologisch gesehen ist es für das Heil wesentlich, dass Gottes Wort wirklich Mensch wurde, um eben die Menschen hier in einen Prozess der Vergöttlichung hineinzuführen. Und das dritte: Wäre der Sohn nicht wirklich Gott, dann wäre die Anbetung ein Akt der Idolatrie, könnte man modern sagen. Und daran sieht man vielleicht, wie die Kontroverse verlaufen ist, wo auch Aktualitätspotentiale schon als Obertöne mitschwingen."
Prof. Jan-Heiner Tück
Nur ist jetzt schon häufig von der griechischen Philosophie die Rede gewesen, ohne die ja offenbar dieser Streit nicht hätte geführt werden können. Hat denn – andersherum gefragt – Israel, das Judentum keine Denkangebote bereitgestellt, um dieses Thema zu denken? Die ersten Christen, die ersten Zeugen der Auferstehung, müssen ja auch irgendwie das gedacht haben ...
Tück: "Gut, wir haben jetzt noch nicht darüber gesprochen, dass der arianische Streit auch ein Streit um die Deutung biblischer Stellen gewesen ist. Also diejenigen, die das Konzil von Nicäa verteidigt haben, hatten ein Ensemble von Schriftstellen. Ich nenne jetzt nur Johannes 10,30: 'Ich und der Vater sind eins' oder Johannes 14,9 'Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen', von den Präexistenz-Aussagen ganz zu schweigen. Umgekehrt hatte Arius aber auch Schriftstellen, die er für sich reklamieren konnte: 'Der Vater ist größer als ich' oder vor allem Spr 8,22f. 'Er schuf mich als Anfang seiner Wege', sagt dort die Weisheit in der Septuaginta. Also kurz: hier kann man, was den biblischen Befund anlangt, durchaus eine gewisse Variabilität und Offenheit feststellen. Und im Hintergrund der Interpretation stehen dann eben auch philosophische Referenzsysteme, grob gesprochen vielleicht bei Arius das kosmologische Schema des mittleren Platonismus, das von einer dreifach gestuften Wirklichkeitssicht ausgeht: Ganz oben steht das göttliche Eine als Monas. Dann gibt es den Schöpfungsmittler und Demiurgen und dann die Vielfalt des geschaffenen Seins. Und Arius nimmt jetzt quasi dieses Schema des mittleren Platonismus her und identifiziert Gott mit dem göttlichen Einen, das differenzlos gedacht wird. Jesus Christus bzw. den Logos und so mit dem Schöpfungsmittler, der dort übrigens sogar auch als zweiter Gott tituliert werden konnte, aber immer streng subordiniert bleibt. Das ist quasi noch mal eine andere Beleuchtung des Streits; nun zu der Frage, ob man nicht heute auch anders vorgehen könnte in dieser Sache: Selbstverständlich kann man und muss man wohl auch anders vorgehen, so wie es ja auch vor dem Konzil von Nicäa schon unterschiedliche christologische Suchbewegungen gegeben hat, die zunächst vom biblischen Befund ausgehen und feststellen: Dieser Jesus hat ein unglaubliches Vollmachtsbewusstsein gehabt. Er hat Dinge getan, die vorher nur Gott zustanden. Er hat Sünden vergeben; er hat sogar in die persönliche Nachfolge berufen. Es gibt also Spuren einer impliziten Christologie, die dann ausbuchstabiert wurden in der altkirchlichen Konzilien-Christologie. Darum geht natürlich auch die Frage, inwiefern jetzt so eine Weichenstellung wie Nicäa auch heute noch Relevanz hat."
Heil: "Ja, es gibt natürlich auch in der Antike schon im Judentum verschiedene Strömungen, theologische Gedanken zu präsentieren. Und es gibt dort auch durchaus Konzepte von Vorstellungen von weiteren Mittlerfiguren im Kontext der innerentwickelten Weisheitstheologie zum Beispiel. Und da sind Gelehrte, besonders Philo von Alexandrien zu nennen. Und das Christentum steht eigentlich in der Tradition der Weiterentwicklung dieser Denktraditionen. Das Christentum entsteht natürlich aus dem Römischen Reich heraus, die Christen sind ja keine von irgendwo extraterrestrisch ins Römische Reich importierte oder deportierte Gruppen, sondern es sind Bürger des Römischen Reiches selber, die Christen werden und die das mitnehmen, wo sie herkommen – sei es jüdische Tradition, sei es pagane, philosophische Traditionen. Und noch einmal zum Bekenntnis von Nicäa: Solange wir heute keinen besseren Text haben, der mit adäquater vergleichbarer Relevanz von allen Konfessionen unterschrieben ist und akzeptiert ist, könnte man ihn einfach mal stehen lassen. Mit einer entsprechenden Kontextualisierung und Bildung kann man auch den Text verstehen. Und das halte ich auch für einen pragmatischen Ansatz, weil ich in der gegenwärtigen Lage der Weltkirche kein Szenario erkennen kann, wie man sich zusammensetzt und ein neues, einheitliches, für alle Christen verbindliches Glaubensbekenntnis aufsetzen könnte. Ich halte das für utopisch. Und solange das nicht gegeben ist: warum einen Text, der so eine konfessionsverbindende Bedeutung hat, einfach aufs Spiel zu setzen aufgrund Detailkritik, die aber, wenn man sie durch historische Kontextualisierung auch nachvollziehen kann, auch wieder dem ein Verständnis entgegenbringen kann."
Das heißt, damals war es ein ökumenisches Konzil in dem Sinne, dass dort die Weltkirche der damaligen Zeit zusammentrat, die noch nicht durch Reformation und andere Kirchenspaltungen getrennte Christenheit. Heute hat dieses Konzil im Rückblick, wenn ich es richtig verstehe, auch in dem Sinne ökumenische Bedeutung, weil dies eines der wenigen Zeugnisse ist, auf das man sich verständigen kann ...
Tück: "Vielleicht noch einmal zurück zu der Formulierung vom Anfang, dass in Sachen Nicäa alles gesagt ist: Gerade weil dieses Bekenntnis für die diakrone Identität aller Christentum so eine hohe Bedeutung hat, muss er natürlich immer neu interpretiert werden. Und es gibt durchaus neuere Deutungen, die sehr interessant sind. Ich erwähne nur Jon Sobrino, der versucht hat, die alten Konzilien aus der Perspektive der Opfer zu lesen und der etwas registriert hat, was die europäische Dogmengeschichte vielleicht nur wenig registriert hat: dass hier eigentlich eine skandalöse Aussage getroffen wird – Der Sohn, der gleich wesentlich mit dem Vater ist, hat zugleich gelitten und ist gestorben. Das ist eine schroffe Korrektur des Apathie-Axioms, also der Aussage, dass über Gott nur in Kategorien der Leidensunfähigkeit und Unveränderlichkeit gehört. Sobrino sagt: Liebe Leute, schaut her, hier wird zum Ausdruck gebracht, dass Gott ein Gott ist, der an die Seite der Leidenden treten kann, der den Entwürdigen Würde geben kann. Und das Apathie-Axiom wird hier von der Christologie her revidiert. Und es wird gesagt: Ja, Gott muss quasi nicht im Käfig der griechischen Ontologie bleiben. Er kann etwas, was er nach Philosophenköpfen gerade nicht kann. Er kann sogar an die Seite der Leidenden treten. Also er ist so stark, dass er auch schwach werden kann. Das ist eine interessante Sache."
Wobei Rahner darauf hin schon sinngemäß gesagt hat: Was bringt es mir, wenn es Gott genauso "beschissen" geht, wie es mir geht? Er soll mich retten und nicht mitleiden ...
Tück: "Ja, diese Aussage von Rahner halte ich für ziemlich unglücklich, weil die Compassion Jesu Christi mit den Leidenden ja nicht im Leiden versinkt, sondern durch die Auferweckung des Gekreuzigten eben auch nicht theologischen Hoffnungsindex trägt. Und das zweite – darüber können wir vielleicht auch noch sprechen: Die Deutung des Konzils ist auch im jüdisch-christlichen Dialog neu zum Thema geworden. Zum einen, weil es im Blick auf die Klärung des Osterfest-Streites quasi so etwas wie eine Trennung der Wege gibt. Man hat eben nicht den jüdischen Passahtermin übernommen, sondern eine andere Praxis gewählt. Und zum Zweiten ist die Definition der Homousia eine krasse Absage an den Monotheismus Israels. Hier gibt es eben neuerdings Studien, die sagen, dass es auch im hellenistischen Judentum schon spekulative Überlegungen gegeben hat von zwei Göttern im Himmel. Sind hier nicht auch schon quasi zwei Entitäten im Gottesbegriff Israels da, die natürlich jetzt nicht symmetrisch bestimmt werden, sondern eher im Sinne einer Subordination? Der schon erwähnte Athanasius von Alexandrien hat eben auch Arius als Juden diffamiert, weil er das Bekenntnis zur Gleich-Wesentlichkeit des Sohnes nicht geteilt hat. Also da sind schon auch interessante Aspekte, die jetzt durch die neuere Theologie und ihre Fragestellungen in ein anderes Licht rücken und so neu für Debatten sorgen."
Damit ist auch schon ein Stichwort gefallen, was wir noch im Blick auf Nicäa erwähnen sollten: Es ging nicht nur um diesen Streit, es wurden 20 Canones verabschiedet und es ging um das Thema Osterstreit bzw. Osterdatum ...
Heil: "Da geht die Überlieferung interessanterweise auseinander, weil die Texte, über die wir jetzt gesprochen haben oder die im Hintergrund standen, die hängen nicht mit der Überlieferung der Canones zusammen. Das sind zwei getrennte Überlieferungsstränge. Und interessanterweise finden sich in diesen 20 Kanons dann auch wiederum gerade nicht eine Fixierung des Ostertermins. Also da haben wir drei Baustellen, die irgendwie nebeneinander stehen. In einem der Briefe von Konstantin nach dem Konzil von Nicäa ist die Ostertermin-Frage angesprochen und das ist eigentlich historisch auch umstritten, auch wenn die genaue Rechtsgrundlage und die Berechnungsgrundlage nur rekonstruiert werden kann. Man weiß zwar die Parameter, aber man hat darüber leider von Nicäa keinen Text. Gerade die Oster-Terminfrage hat im Brief von Konstantin einen sehr hässlichen antijüdischen Beigeschmack, dass man sich davon trennt, Ostern zu berechnen, in Anlehnung an die Berechnung aus dem Judentum. Man übernimmt zwar die Logiken, aber macht eigene Berechnung. Und das, denke ich, sollten wir heute nicht fortschreiben in dieser Polemik gegen Arius, ihn als neuen Juden zu klassifizieren."
Zum Schluss: Diese Tagung und das, worüber wir jetzt gesprochen haben, zielen ja auf ein Wissenschaftspublikum, auf ein Fachpublikum. Nur sind wir alle auch gehalten als Christen Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die uns bewegt. Was wären denn zwei, drei Punkte, wo Sie beiden sagen würden: Aus der Befassung mit Nicäa müsste man in diesen Punkten vielleicht unser Glaubensleben nachjustieren, nachschärfen? Also die Frage nach der heutigen Relevanz …
Heil: "Es gibt ja überliefert , dass im 4. Jahrhundert der arianische Streit bis hin auf den Marktplätzen debattiert wurde und man keine Orangen einkaufen konnte, ohne gefragt zu werden 'Wie stehst du zu Nicäa? Das ist vielleicht etwas überzogen, aber es war eine Debatte damals, die die Menschen bewegte und auch nicht nur den engen Kreis der Bischöfe oder theologischen Gelehrten betraf. Ansonsten würde das auch gar nicht verständlich sein, warum dieser Streit ja sogar noch mehr als 100 Jahre andauerte. Andererseits muss man natürlich auch sagen: Geschichte hat ihre Streitigkeiten, heute haben wir andere Auseinandersetzungen. Ich würde dazu eher auf einer Metaebene was sagen: Es gab in der Zwischenzeit des arianischen Streits eine Phase in den drei 50er, 60er Jahren, also einige Jahrzehnte nach Nicäa, wo ein Kaiser, einer der Söhne von Konstantin, sich dafür stark gemacht hat, den Streit beizulegen. Auf eine besondere Art und Weise, weil inzwischen auch zwischen Ost und West ein Schisma darüber sogar ausgebrochen ist und mit der Maßgabe, dass man sich auf eine Art kleinen Minimalkonsens einigt, die ganze philosophische Terminologie rausnimmt und zusätzlich eine Art Diskussionsverbot: Man solle darüber nicht mehr diskutieren. Das hat sich aber als wenig konstruktiv erwiesen. Und daraus kann man für sich selber heute die Konsequenz ziehen, dass es nichts bringt, ein Diskussionsverbot zu erlassen. Die Sachen müssen ausdiskutiert werden, auch wenn es lange dauert und kompliziert ist. Man muss die Sachen ausdiskutieren, Geduld haben, von Neuem immer wieder probieren. Also das ist natürlich jetzt eine grundsätzliche Frage, abgesehen von der inhaltlichen Frage des arianischen Streites. Und das sieht man an diesem schönen kleinen historischen Beispiel aus der mittleren Phase des trinitarischen Streites: Diskussionsverbote helfen nicht."
Tück: "Ich würde noch mal etwas anders ansetzen: Also was ist die Bedeutung von Nicäa für uns heute? Die abstrakte Terminologie hat natürlich das galiläische Kolorit des Lebens und Wirkens Jesu etwas in den Hintergrund treten lassen. Deswegen würde ich schon sagen, dass es wichtig ist, auch über das Leben Jesu und sein Wirken zu sprechen. Dennoch enthält Nicäa eine bleibende Provokation der Rede über Jesus Christus, nämlich die, dass in ihm und in seinem Wirken das Mysterium Gottes selber nahe kommt. Ja, also ein Christentum ohne Christus, das sich über Caritas, Bildung etc. definiert, ist zu wenig. Zum Zentrum unseres Bekenntnisses steht seit 1.700 Jahren, dass dieser Jesus Christus wirklich Gottes Sohn ist und dass er nahe kommt. Und was damals in Begriffen der Substanzontologie beschrieben wurde, wäre eben heute in anderem, vielleicht in Beziehungskategorien zu reformulieren, um es wieder stärker in den Alltag einzubringen: Antlitz, Name, Fleisch, also Körper wären vielleicht Kategorien, wo man dieses Nahekommen des Mysteriums aufschlüsseln könnte. Aber das wäre eine Baustelle für ein weiteres Symposion."
Das heißt, es wäre nicht der geringste Ertrag einer Befassung heute mit Nicäa, wenn man auf die Bonhoeffersche Frage, wer Christus heute für uns ist, wieder neu ins Gespräch kommt; dass man vielleicht nicht direkt die Antwort hat, sondern zumindest wieder die Frage lernt zu stellen … Vielen Dank Ihnen beiden und ein erfolgreiches Symposion!