#OutInChurch - Queers und die Kirche
Foto: outinchurch.de
Podcast vom 18. Februar 2022 | Gestaltung: Franziska Libisch-Lehner
Mehr als 100 nicht heterosexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche Deutschland haben sich im Zuge der Initiative #OutInChurch geoutet. Aber was bedeutet es, als nicht binäre Person für die katholische Kirche zu arbeiten? Die Podcast-Folge bespricht auch, was hinter dem Vorwurf der "Gender-Ideologie" steckt sowie die katholische Anthropologie.
Geladen sind die Wiener Religionspädagogen Andrea Lehner-Hartmann und die Grazer systematische Theologin Professorin Gunda Werner. Und die erste Frage richte ich gleich an Professor Werner: Sie begleiten die Initiative auch als Mitautorin des gleichnamigen Buches, das im Frühjahr im Herder Verlag erscheinen wird. In der im Jänner erschienen Dokumentation, die via ARD ausgestrahlt wurde, fordern die Mitarbeitenden der Kirche, ohne Angst offen leben und arbeiten zu können. Es wird sogar teilweise von Suizidversuchen, suizidalen Gedanken, Ängsten, Konstrukten erzählt, um sich das Leben als queere Mitarbeiterin oder Mitarbeiter zu erleichtern. Wie ist es dazu gekommen, zu diesem ganzen Buch, zu diesem ganzen Projekt? Hat sich das schon so lange aufgestaut?
Werner: "Die Initiatoren, Jens Ehebrecht-Zumsande (Gemeindereferent/Hamurg) und Bernd Mönkebüscher (Pfarrer/Hamm), vor allem Jens Brigham Sander aus Hamburg und Bernd Gebüsche aus Hamm in Nordrhein-Westfalen haben das Outing der Schauspieler und Schauspielerinnen letztes Jahr im Februar zum Anlass genommen. In der Süddeutschen Zeitung war ein großer Bericht mit Fotos von 185 Schauspielern und Schauspielerinnen, die sich als queer geoutet haben. Das war der Auslöser für die Initiative. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Ganze auch ein hoch theologisches Thema ist, bei dem es nicht nur um das Arbeitsrecht geht. Das ist ja ein ganz wesentlicher Punkt, weil das Arbeitsrecht in Deutschland so gestaltet ist, dass es sogenannte Loyalitätsobliegenheiten gibt und Menschen, die queer sind, die also nicht in heterosexuell in Beziehungen leben, gekündigt werden können. Betroffen sind aber auch Menschen, die unehelich zusammenleben, sowie wiederverheiratet Geschiedene. Das Thema ist damit deutlich weiter. Von daher kam die Idee für das Buch, da auch die meisten Betroffenen Theologen und Theologinnen sind und für die Kirche arbeiten. Daher braucht es auch eine theologische Begleitung, eine theologische Idee, eine theologische Auseinandersetzung. Daneben gibt es eine große internationale Solidarität. Und fast 95 Prozent der großen deutschsprachigen Verbände schreiben ebenfalls Solidaritätsadressen in dem Buch. Die Initiative selber hat ja ganz viel ausgelöst und es sind inzwischen über 110.000 Unterschriften online eingegangen. Diese Unterschriften werden dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz in der Frühjahrsvollversammlung im März übergeben, zusammen mit dem Manifest und mit den Forderungen."
Im Zuge der Debatte nach diesem großen Outing kam der Einwand, dass es sich bei den Betroffenen um eine relativ kleine Gruppe an Mitarbeitenden, egal ob ehrenamtlich oder hauptamtlich, handle. Jetzt haben sie 110.000 Unterschriften gesammelt. Das ist doch eine große Gruppe. Also stimmt dann dieser Vorwurf gar nicht?
Werner: "Die Frage ist ja immer, wie man betroffen ist. Das wäre jetzt meine Antwort dazu. Von den 110.000, die dort unterschrieben haben, wird sicher nur ein Teil selber queer sein. Queer heißt aber auch jenseits der sexuellen Identität oder sexuellen Orientierung, sich zu solidarisieren mit nicht-klassischen Lebensläufen. Queer war aber auch bis in die 80er, 90er-Jahre hinein ein Schimpfwort, vor allem für Schwule, aber auch für Lesben. Deren Bewegung hat dann dieses Wort 'queer' für sich aufgenommen und positiv umgedeutet und gesagt: 'Ja, genau, wir sind anders und wir sind bunt und wir leben ein anderes Leben. Und wir stellen auch das Leben von all denen in Frage, die heterosexuell verheiratet mit zwei Kindern, zwei Autos und Einfamilienhaus leben.' Damit geht 'queer' weit über die sexuelle Identität und Orientierung hinaus. So gibt es auf der einen Seite die, die sich identifizieren als LGBTIQ oder queer; und auf der anderen Seite die, die sagen 'Das Queere ist ein Teil von mir und ich möchte mich da solidarisieren oder lebe selber in ähnlichen Situationen'. Diese Menschen entsprechen dann nicht der Heteronormativität und vor allem nicht der katholischen. Wobei es relativ einfach ist der katholischen Norm nicht zu entsprechen, das ist keine 'Rocket Science', da muss man ja nicht viel tun."
"Es wird etwas erschüttert, was als Normalität gegolten hat"
Warum ist es so einfach, dem nicht zu entsprechen? Die heteronormativen Vorstellungen von Mann und Frau und die Schöpfungstheologie der katholischen Kirche sind sehr manifest. Sie werden zwar immer wieder angefragt, auch theologisch reflektiert, aber besteht nicht die Mehrheit der Menschen als Mann und Frau?
Lehner-Hartmann: "Na ja, ich denke, das hängt auch davon ab, wie man Mann-Sein und Frau-Sein versteht. Wie es vielleicht auch die Theologin Irmtraud Fischer in ihrer Exegese benannt hat, dass es zwei Pole sind, die dann diese Vielfalt dazwischen nicht verwischen dürfen und wo es auch dann darum geht, in welche Richtung dies dann auch noch ausgelegt wird. Das heißt, was wird denn damit bestimmt, wenn ich einerseits diese Vielfalt habe und gleichzeitig diese Pole. Gleichzeitig geht es auch in der Schöpfung Gottes darum, die Nachkommenschaft und das Überleben der Menschheit zu sichern. Es sind demnach auch noch ganz andere Ziele intendiert."
Meine Frage ging auch in die Richtung des binären Menschenbilds der katholischen Kirche. Jetzt stellt natürlich die Initiative "OutInChurch" dieses Menschen- und Geschlechterbild stark in Frage. Das rüttelt natürlich an ganz festen Säulen, auch an denen diözesaner Verantwortlicher und von manchen Katholikinnen und Katholiken. Wie kann man da damit umgehen, wenn da jetzt an meinen persönlichen Grundfesten geschüttelt und gerüttelt wird?
Lehner-Hartmann: "Ich denke, man sollte eigentlich aus der betroffenen Perspektive das hinschauen. Und ich glaube, damit wird natürlich etwas erschüttert, weil das, was als Normalität gegolten hat, jetzt massiv angefragt wird durch dieses Outing. Das finde ich auch sehr gut, weil wir Idealbilder entwickelt haben, die wir auch an binär denkende Menschen herantragen, die ihnen aber oft auch nicht gerecht werden können. Und damit könnte jetzt eigentlich eine große Befreiung verbunden sein, denn nicht alle können und wollen diesen Bildern auch entsprechen. Es gibt demnach andere Formen, das Leben zu gestalten, auch wieder unabhängig davon, welche sexuelle Orientierung und welche Empfindung ich habe. Und ich würde durchaus sagen, dass es der Schöpfungsauftrag ist, herauszufinden, was denn meiner Würde als Mensch entspricht. Dem auf die Spur zu kommen, wäre das Ziel und das Befreiungselement der Initiative."
"Ich kann total nachvollziehen, dass darin ein Schreckmoment liegt"
Werner: "Und die Erfahrungen seit der ARD-Dokumentation und dem Online-Gang der Initiative zeigen: Auch bei den Bischöfen hat sich viel verändert, wenn sie in persönlichen Begegnungen sind und wenn sie - sei es im familiären Umfeld oder im unmittelbaren Nahumfeld - Menschen kennenlernen und begegnen, die nicht der heterosexuellen katholischen Idealfamilie entsprechen. Ich finde, eine große Chance dieser Initiative liegt auch darin, ehrlich zu werden, also tatsächlich zur Wahrhaftigkeit zurückzufinden, die im Moment in der katholischen Kirche nun wirklich nicht da ist und wo man fragen muss, wer lebte nach dem katholischen Eheideal? Also unsere Studierenden größtenteils ja mal nun nicht... Was mir wichtig ist bei der theologischen Anthropologie als Dogmatikerin ist die theologische Anthropologie als die 'DNA der Macht' der katholischen Kirche. Das heißt, dieses Festlegen auf Mann und Frau und die Interpretation der Schöpfungsgeschichte untermauern die Hierarchie und die Möglichkeit männlicher Kleriker. Wenn man an dieser theologischen Anthropologie rüttel, dann fällt alles zusammen. Und ich kann total nachvollziehen, dass darin wirklich ein Schreckmoment liegt, aber auch eine Möglichkeit zur Veränderung. Wenn wir jetzt nicht nur pragmatische Lösungen für das Arbeitsrecht suchen, sondern an das Theologische rangehen, dann verändert sich ganz, ganz viel."
Lehner-Hartmann: "Ich glaube, dass man eigentlich viel früher hätte ansetzen müssen. Das zeigt sich aktuell bei der Debatte um die sexualisierte Gewalt. Diese zeigt genau auf, dass wir hier anders denken müssen und auch, dass diese hierarchischen Einschreibungen zu solchen Verwerfungen geführt haben. Hier wäre nun die Möglichkeit, es noch einmal anders anzugehen. Durch diese Outings können neue Perspektiven eingespielt werden, die es ermöglichen, das Andere besser erkennen zu können. Die Verschleierungsstrategien haben genau versucht, das zu verhindern und Dinge entschuldigt. Nun gibt es für mich eine große Chance etwas aufzugreifen und nicht abzuwehren, sondern genau zu sagen 'Leute, hier ist uns etwas zerbrochen, was wir jetzt jahrhundertelang auch oft nicht in der Fülle gesehen haben. Lasst uns doch die Chance ergreifen.'"
Wie schaut es denn in Österreich aus mit dem Arbeitsrecht? Müssen Religionslehrerinnen, Religionslehrer, Pädagoginnen, Pädagogen, pastorale Mitarbeitende Angst haben, wenn sie ihre Sexualität offen kundtun und sagen "Ich bin nicht hetero, ich bin bi, queer, trans, schwul, lesbisch"? Oder ist man auf den "Gut Will" der jeweiligen Diözese angewiesen?
Lehner-Hartmann: "Das sind ja zwei unterschiedliche Dinge, was ist das Rechtliche und wie geht man damit um. Hier gibt es sicher eine Differenz. Natürlich können aufgrund dessen, wenn ich nicht dem entspreche, was vorgesehen ist, rechtliche Konsequenzen gezogen werden. Aber ich denke, da hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten doch einiges auch geändert. Jedoch ist es keine klare Entscheidung und die steht aus. Es ist immer vom 'goodwill' abhängig. Und das wollen sich viele junge Menschen nicht gefallen lassen. Das heißt, auch jene, die Theologie studieren und auch gut katholisch sozialisiert sind, haben nicht solche Riesenprobleme mit Menschen, die anders leben. Ganz im Gegenteil, sie verstehen eigentlich nicht, warum diese ausgeschlossen sind aus bestimmten sakramentalen Vorzügen oder eben aus bestimmten beruflichen Tätigkeiten. Es trauen sich auch einige Stellung zu beziehen und machen das mittlerweile sehr, sehr offensiv. Da merke ich gerade in den letzten Jahren einen großen Wandel."
"Die römisch-katholische Kirche braucht dringend eine Selbstaufklärung"
Es gibt aber trotzdem immer wieder auch den Vorwurf der sogenannten Gender-Ideologie oder der Frühsexualisierung der Kinder, wenn man das offen anspricht. Wie kann man auf diesen Vorwurf reagieren?
Lehner-Hartmann: "Da würde ich gerne all jenen, die das äußern, mal ins Stammbuch schreiben, sie sollen sich doch endlich einmal fundiert damit auseinandersetzen und nicht nur irgendwelche Dinge übernehmen, bei denen sie überhaupt keine Einsicht haben. Das Problem ist die Etikettierung mit Ideologie, denn das gibt schon ein Signal ab, dass ich mich damit nicht näher damit beschäftigen muss. Und leider unterliegt auch Papst Franziskus dieser Diktion und entschärft damit Dinge, die er oft vorher ganz weitsichtig angeht, wenn er patriarchale Verhältnisse kritisiert und dann aber gleichzeitig auf der nächsten Seite eine 'Gender Ideologie' angreift."
Werner: "Zu dem würde ich aus der historischen Perspektive ergänzen, dass die römisch-katholische Kirche auch dringend eine Selbstaufklärung braucht. Denn wenn Sie an die Praxis der Erstbeichte und die Praxis der Beichte von Kindern denken, bei der auch erwartet wird, über Keuschheit und Unkeuschheit Auskunft zu geben, in einem Alter, in dem Kinder nicht wirklich wissen, was keusche und unkeusche Handlungen sind - da bräuchte meines Erachtens die katholische Kirche eine kritische Aufklärung über die eigene Sexualisierung von Kindern - und zwar innerhalb der Katechese. Was mich an dem Punkt wirklich wütend macht, ist, dass man jetzt etwas gefunden hat, nämlich die Gender-Theorie mit ihren sehr kritischen und dekonstruierenden Perspektiven auf Anthropologie und damit eben auf die Machtverhältnisse - und das ganze dann in Ideologie umzumünzen und damit zu versuchen die Sprengkraft herauszunehmen und zu sagen 'Oh mein Gott, unsere Kinder wissen dann ja gar nicht mehr, wer sie sind und sie werden dann so früh sexualisiert' und gleichzeitig aber an einer Kinderbeichte festzuhalten und noch nicht mal die eigene Praxis zu reflektieren - auch wenn das heute in vielen Bereichen sicher anders läuft. In den letzten zwanzig Jahre wurde dazu viel angeleitet, aber keine kritische Selbstaufklärung."
In der ARD-Dokumentation sagen die vorkommenden Priester, sie rütteln nicht am Zölibat, sondern sie rütteln daran, dass sie ihre Sexualität nicht benennen dürfen und können. Hier kommt für mich die Frage nach der Naturrechtstheologie von Johannes Paul II. auf: Ist diese auch ein Grund dafür, dass betroffene Personen im kirchlichen Dienst in ihrer Existenz eigentlich wider das Naturgesetz sind?
Werner: "Ja, das Naturrecht spielt natürlich eine Rolle. Und es spielt natürlich auch die große Rolle, dass nach wie vor homosexuelle Männer nicht zum Priesteramt zugelassen werden dürfen, und damit alle Menschen, die tief sitzende homosexuelle Neigungen haben. Was ja in sich schon Quatsch ist, weil es einfach überhaupt keine wissenschaftliche Aussage ist, dürfen dann nicht zum Priesteramt zugelassen werden. Das heißt, all die schwulen Männer und die, die geweiht sind - und zu denen gehören auch Bischöfe, die sich ja leider nicht outen - dürfte es gar nicht geben. Und ich glaube, wenn dieses Bewusstsein auch mal bei Bischöfen ankommen würde, dass es sie ja gar nicht geben dürfte, würde sich vielleicht aus einer inneren Erkenntnis auch noch mal etwas verändern."
"Was verloren geht, ist der Blick auf den Menschen"
Lehner-Hartmann: "Mich haben die Statements rund um diese geheimen Geschichten, die da herum gebaut werden muss, damit Menschen irgendwie ihr Leben aufrechterhalten können, sehr berührt. Und aus christlicher Perspektive hat es mich auch berührt, weil sie eigentlich ihrem Auftrag zur Menschwerdung gar nicht gerecht werden können, und zwar durch normativen Vorgaben. Hier möchte ich die Machteinschreibungen nochmals aufgreifen; denn zu Recht, denke ich, fürchtet man hier kirchlicherseits auch, dass genau das aufgedeckt wird und man dadurch noch mehr normierende Festschreibungen festhalten möchte, was einem eigentlich schon unter den Fingern zerrinnt. Was man dabei oft vergisst oder was verloren geht, ist der Blick auf den Menschen. Es ist aber das christliche Proprium, auf den Menschen zu schauen und zu schauen, wie dieser Mensch das Leben so gestalten kann, dass er es bestmöglich im Horizont Gottes verwirklichen kann. Es fehlt mir auch oft dieses Absehen von dem, wie jemand empfindet, informieren zu wollen, dass diese Empfindung nicht okay ist oder so, wie Sie vorher auch angesprochen haben, dann überhaupt nicht einmal zugelassen zu werden - unabhängig davon, ob ich das lebe oder nicht. Aber das, was sich an Diskriminierungspraktiken einschreibt, das ist eigentlich etwas, das dann auch die ganze christliche Botschaft entzaubert. Und ich denke, das ist vielleicht aber auch die Angst, dass dadurch etwas sichtbar werden könnte, was man bisher noch nicht gesehen hat. Aber es könnte dann auch Einsicht geben, warum Menschen so empfinden und wie sich Leben auf einmal anders gestalten ließe; nämlich im Sinne der Botschaft. Weil das kann es doch nicht sein, dass ständig Menschen ausgeschlossen bleiben von der Botschaft, nur weil sie bestimmten Dingen nicht entsprechen. Und was ich auch nicht mehr ausstehen kann, ist dieses mitleidige Hinschauen und zu sagen 'Ja, das ist ja okay so zu empfinden, aber gelebt werden darf es nicht'. Da bin ich ja total in meinem Menschsein beschnitten."
Werner: "Als dritter Pol gehört auch die schon fast historische feministische Kritik an der Sexualitätsvorstellung innerhalb der patriarchalen Strukturen dazu. Nämlich die Vorstellung, dass Sexualität und sexuelle Orientierung nur dann wirklich ist, wenn sie genital gelebt wird. Zwar heißt es, man möge doch homosexuelle Menschen in Liebe und Mitleid in ihrer Mitte empfangen; sie dürfen aber ihre Sexualität nicht leben, also nicht genital ausleben. Das wäre dann ja Sünde und nicht dem Herrn gemäß. Das zeigt eine eingeengte Perspektive auf die menschliche Sexualität, als wäre ich nur ein sexuelles Wesen, wenn ich mit jemandem ins Bett gehe und genitalen Sex habe. Und das ist eine so männlich kodierte Perspektive auf Sexualität und kodiert zugleich Männer in einer ganz bestimmten Form, in einer männlichen Sexualität, was ja Männern hoffentlich auch nicht entspricht. Wenn man die feministische Kritik miteinbezieht in die Gender-Theorie, die ganzen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die auch eine christliche Befreiungstheologie im ganzheitlichen Sinne hat, dann könnte sehr, sehr viel besser oder sehr viel verstanden werden."
"Auch in Österreich braucht es eine Debatte"
Noch eine Abschlussfrage: #OutInChurch ist zwar eine deutsche Initiative, aber braucht es sie auch in Österreich. Es gibt zwar in manchen Diözesen eine rege Regenbogen-Pastoral, aber diese Initiative hat jetzt keine Outings in Österreich gebracht. Ist da etwas geplant? Tut sich da etwas?
Lehner-Hartman: "Was es braucht, ist die Debatte darüber. Und ich denke, die schwappt auch nach Österreich herüber. Also ich glaube nicht, dass es speziell österreichische Outings noch braucht, aber eine Debatte darüber. Die Diskussionen zu der Synode wären ein guter Anlass, das aufzugreifen und wirklich einmal fernab von irgendwelchen aufgeregten Zuschreibungen zu diskutieren."
Werner: "Ich möchte noch hinzufügen: Gut wäre es, wenn es auch von den katholischen Fakultäten ein sehr klares und solidarisches Signal gäbe für die Initiative. Das wäre auch ein Signal im Blick auf die Bischöfe und die Bischofskonferenz. Und es gibt ja auch unter Theologen und Theologinnen, unter Professoren und Professorinnen Queers, die sich nicht outen können und dürfen, weil sie ja kirchlich genauso abhängig sind von ihrem Glauben her. Ich glaube, da wären Fakultäten ein ganz starker Player. Und das ist so meine Hoffnung als Theologin."
125 nicht-heterosexuelle Mitarbeitende der katholischen Kirche Deutschland haben sich Ende Jänner 2022 an die Öffentlichkeit gewandt. Ihr Ziel: Eine Kirche "ohne Angst". Die Grazer Dogmatikerin Gunda Werner und die Wiener Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann besprechen die aktuelle Outing-Debatte in der deutschsprachigen Kirche, die sie als "Schreckmoment" bezeichnen, warum es der Kirche schwer fällt sich vom binären Menschen- und traditionellen Familienbild zu trennen sowie den Vorwurf der "Gender-Ideologie". Ihr Fazit: Die theologische Anthropologie des kirchlichen Lehramtes hat durch die Initiative #OutInChurch die Chance Machtgefüge, Vertuschungsstrategien und hierarchische Einschreibungen zu überwinden.
Die Systematische Theologin Prof. Gunda Werner ist auch Mitherausgeberin des für Mai angekündigten Herder-Buches "Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst", das die gleichnamige Initiative theologisch begleitet.