Warum spricht Peter Thiel über die Apokalypse und den Antichrist, Wolfgang Palaver?

Foto: Gage Skidmore from Surprise, AZ, United States of America, CC BY-SA 2.0
Podcast vom 19. Dezember 2025 | Transkript gekürzt! | Gestaltung: Henning Klingen*
Wenn Sie die Worte "Apokalypse" und "Antichrist" hören, denken Sie vermutlich zunächst an Dan Brown oder an eine Netflix-Fiction-Serie mit Retro-Style. Nicht jedoch an das Silicon Valley, an Tech-Milliardäre und die US-Politik. Dass beides dennoch zusammengeht und dass theologische Paradigmen politische Effekte zeitigen können, lässt sich am US-Investor Peter Thiel beobachten. Er wurde nicht nur durch Investments wie PayPal oder Palantir zum Milliardär. Er beschäftigt sich auch intensiv mit theologischen Denkformen. Begriffe wie Apokalypse oder Antichrist werden dadurch wieder salonfähig: In Podcasts wird darüber gesprochen, in Interviews debattiert, in Seminaren diskutiert – auch hier in Österreich.
Heute also ein Mix aus Glamour, Starrummel, Verschwörungsgeraune und der Frage, wie die Theologie hier eigentlich hineinpasst. Oder ist es am Ende gar keine Theologie, sondern religiös aufgeladene Polit-Ideologie, die US-Präsident Trump und seinem christlichen Vize J.D. Vance in die Hände spielt?
Mein Name ist Henning Klingen - und ich freue mich auf das Gespräch mit dem Innsbrucker Theologen und emeritierten Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Innsbruck, Wolfgang Palaver. Herzlich willkommen. Ihm zur Seite sitzt der Wiener Medien- und Sozialethiker, Professor Alexander Filipović, der Wolfgang Palaver zu einem Gastvortrag und Seminar an die Universität Wien eingeladen hat. Herzlich willkommen.
Herr Prof. Palaver, Sie wurden bereits mit allerlei Labels versehen, „Thielologe“ ist wohl die ärgerlichste Zuschreibung. Auch sind Sie, wie Sie immer wieder sagen, kein Freund Thiels. Uns interessiert bei "Diesseits von Eden" nun die Frage, was um alles in der Welt einen Tech-Milliardär zur Theologie treibt und warum er sich theologische Narrative aneignet.
Wolfgang Palaver: Zunächst einmal ist Peter Thiel Christ. Er ist in einer lutherischen Familie aufgewachsen, später stärker mit evangelikalen Christen in den USA in Kontakt gekommen und bewegt sich heute auch in der Nähe konservativ-katholischer Kreise. Aus europäischer Sicht muss man die religiösen Verhältnisse in den USA überhaupt erst in den Blick nehmen. Religion und Bibel spielen dort seit Langem eine zentrale Rolle. In den 1980er Jahren entstand mit der "Moral Majority" ein konservatives Bündnis von Evangelikalen und traditionalistisch eingestellten Katholiken, das aufgrund von Themen wie Abtreibung, Schulgebet und gesellschaftlichen Veränderungen bewusst in die Politik gegangen ist. Dieser Prozess hat sich über Jahrzehnte verstärkt, sodass heute im Obersten Gerichtshof und auch in der Trump-Regierung religiös engagierte Personen an entscheidenden Stellen stehen.
Das heißt, wir haben es mit einem Werte- und Stimmungswandel zu tun, der durchaus mit persönlichen Überzeugungen einhergeht. Es ist nicht bloß eine strategische Instrumentalisierung theologischer Begriffe. Habe ich das richtig verstanden?
Wolfgang Palaver: Ja. Ich glaube nicht, dass Thiel künstlich auf eine religiöse Ebene gewechselt ist. Er war immer christlich, hat sich als Christ verstanden und war früh von René Girard begeistert, weil dieser die Wahrheit des Christentums besonders stark betont. Man darf auch die Wirkung von 9/11 auf die Stimmung in den USA nicht unterschätzen. Nationalismus und Ängste wurden massiv befördert. Thiel setzt darauf auf, ohne dass das bloße Inszenierung wäre. Er kann seinen eigenen Hintergrund und seine religiöse Biografie damit verknüpfen.
Alexander Filipović: Ich war in diesem Jahr mehrere Monate im Silicon Valley und kann das bestätigen: Das Verhältnis zur Religion ist dort in gewisser Weise unverkrampft. Es überrascht mich daher nicht, dass Menschen, bei denen man das in Europa nicht erwarten würde, religiös oder spirituell auftreten. Hinzu kommt eine Brücke über die Technologie: transhumanistische und posthumanistische Perspektiven, also die Frage, wie wir uns mit technologischen Mitteln überschreiten können, werden religiös begleitet und reflektiert. Auch Theologinnen und Theologen in Kalifornien gehen das mit großem Interesse an.
Aus europäischer Sicht irritiert es dennoch, wenn Thiel sagt, die Zukunft entscheide sich an der Religionsfrage. Ist das ein spezifisch amerikanischer Blick?
Wolfgang Palaver: Es ist ein amerikanischer Blick, aber auch in Europa war das nicht unbekannt. Wenn man etwa Josef Pieper, Romano Guardini oder auch Karl Schmitt liest, war die Religionsfrage schon vor Jahrzehnten zentral. Ich glaube ebenfalls, dass sie zentral ist. Die entscheidende Frage lautet jedoch: Welche Religion und mit welchem Inhalt? Heute sehen wir eine starke Tendenz zu nationalistisch-konservativen religiösen Strömungen. Gleichzeitig gibt es bei Nichtreligiösen ein Vakuum. Mit schlechten religiösen Konzepten kann es sehr leicht in eine katastrophale Richtung gehen.

Prof. Wolfgang Palaver
Damit sind wir bei zwei Denkern, die immer wieder im Kontext von Peter Thiel genannt werden: René Girard und Karl Schmitt. Warum sind sie für Thiel und für rechte Bewegungen in den USA relevant?
Wolfgang Palaver: Ich habe mich seit den 1980er Jahren intensiv mit Karl Schmitt beschäftigt und mich aus einer von Girard beeinflussten Perspektive habilitiert. Schmitt wird heute in konservativen Kreisen der USA gelesen, ebenso im ideologischen Umfeld Putins und in China. Analytisch hat er viel zu sagen, etwa wenn er zeigt, dass Politik oft über Freund-Feind-Unterscheidungen funktioniert. Problematisch wird es dort, wo Schmitt heute affirmativ gelesen wird, als normative Bestätigung geopolitischer Blockbildung und autoritärer Souveränität. Dagegen habe ich theologisch argumentiert und möchte das weiterhin tun.
Schmitts berühmter Satz, der Souverän bestimme über den Ausnahmezustand, scheint hier mitzuschwingen. Ist das der Punkt, der Thiel fasziniert?
Wolfgang Palaver: Das fasziniert vor allem die politische Welt. Trump betont die Souveränität seines Amtes und der USA. Weltweit ist Souveränität im Aufstieg und wird zur Bedrohung für Projekte wie die EU, die ja gerade darauf angelegt waren, Souveränität zu teilen. Paradox ist, dass wir heute eine USA erleben, die zu einem Vorbild problematischer Souveränität wird. Das reicht bis in einen Individualismus hinein, der Relationalität unterschätzt. Thiel kommt ideologisch aus dem Libertarismus, mit dem Ideal des souveränen Individuums. Hier liegt eine reale Gefahr.
Zurück zu Thiel selbst: Er spricht von Apokalypse und Antichrist. Was treibt ihn um, und wovor hat ein so machtvoller Mann eigentlich Angst?
Wolfgang Palaver: Zunächst sollte man die Angst vor der Apokalypse ernst nehmen: Seit Hiroshima leben wir mit der Möglichkeit der Selbstauslöschung der Menschheit. Es gibt auch gute Gründe, sich vor Klimakatastrophe, Atomkrieg oder technologischen Risiken zu fürchten. Interessant ist, dass Thiel weniger den Untergang fürchtet als die politische Reaktion darauf. Er hat Angst, dass berechtigte Ängste zu extremen Regulierungen und zu Konstruktionen eines Weltstaates führen, den er als antichristliche Welttyrannis deutet: totale Kontrolle, keine Außenräume mehr, Erstarrung.
Der Antichrist als Paradigma kann dann auch politisch mobilisieren, etwa über den "Katechon", den Aufhalter. Folgt das am Ende nicht einer autoritären Logik?
Wolfgang Palaver: Man muss hier differenzieren. Der klassische Libertarismus war antitotalitär und für einen schwachen Staat. Thiel betont selbst, dass der Katechon nicht zu stark werden dürfe, weil er sonst in den Antichristen kippt. Gleichzeitig gibt es politische Effekte: Institutionen werden geschwächt, Multilateralismus unterminiert. Hinzu kommen Widersprüche in Thiels eigener Biografie, etwa seine gleichgeschlechtliche Ehe und Familie, die kaum zu neo-integralistischen Staatsmodellen passen. Diese Spannungen muss man ernst nehmen.
Was ist für Thiel an René Girard besonders interessant?
Wolfgang Palaver: Thiel hat von Girard viel über mimetisches Begehren gelernt. In seinem Buch "Zero to One" rät er, nicht in hochkompetitive Felder zu gehen, sondern Neues zu schaffen, Monopole zu schaffen. Das ist als Lebensratschlag plausibel, wäre aber als Wirtschaftsmodell problematisch. Was Thiel bei Girard weniger aufnimmt, ist die starke Relativierung materieller Ziele durch "ewige Güter". Wenn zeitliche Ziele absolut gesetzt werden, sind Konkurrenz und Gewalt vorprogrammiert. Diese Dimension fehlt mir bei Thiel.
Nur ist Peter Thiel ja kein Intellektueller, der eine Professur bekleidet. Trotzdem tauschen Sie sich im persönlichen Kontakt aus und führen einen Dialog, wie kolportiert wurde auch an der Theologischen Fakultät in Innsbruck. Mit welcher Intention? Warum befassen Sie sich mit Peter Thiel, der kein großes literarisches, theologisch-philosophisches Werk vorgelegt hat?
Wolfgang Palaver: Zunächst muss man sagen, dass Thiel auf mich zugekommen ist. Schon bei der ersten Begegnung 1996 war das so, und auch die Antichrist-Vorlesungen an der Theologischen Fakultät gehen auf seine Initiative zurück. Er hat gefragt, ob ich bereit wäre, das zu organisieren. Und da sage ich nicht ab, wenn eine Person interessant ist. Wer eine öffentliche Position hat und aus Steuergeldern finanziert wird, ist auch dialogpflichtig. Ich spreche mit Marxisten genauso wie mit Peter Thiel. Der zweite Grund ist seine wiederholte Bezugnahme auf René Girard als prägenden Lehrer. Gleichzeitig hat sich das Narrativ etabliert, Girard sei ein Vordenker des rechtskonservativen Projekts in den USA, verbunden mit Trump und MAGA. Für uns in Innsbruck, die sich seit Jahrzehnten mit Girard beschäftigen, ist das ein enormes Problem – auch weil ich politisch in einer völlig anderen Welt stehe. Wenn der Denker, der meine Arbeit geprägt hat, als geistiger Vater von MAGA dargestellt wird, dann besteht Gesprächsbedarf. Deshalb war es mir wichtig, darüber zu sprechen. Im Rahmen des Seminars war auch der erstgeborene Sohn von René Girard anwesend, auf meinen Wunsch. Die Familie leidet sehr unter dieser Entwicklung. Es kam dort auch zu einem Gespräch zwischen Martin Girard und Peter Thiel. Thiel hat mir danach gesagt, dass er künftig vorsichtiger mit der Girard-Bezugnahme umgehen will. Das war ein kleiner Erfolg. Und drittens: Wenn man die Chance hat, mit so jemandem zu diskutieren und zu verstehen, wie er denkt, schadet das nicht. Was ich problematisch finde, ist Dialogverweigerung aus akademischer Engstirnigkeit. Thiel besetzt mit seiner Ausstrahlung ein Feld, das in der theologischen Tradition lange schwach entwickelt war – die Apokalyptik. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie aus guten Gründen gemieden. Aber ich glaube, es ist höchste Zeit, sie seriös zu bearbeiten, bevor andere sie in gefährlicher Weise besetzen.

Prof. Alexander Filipovic
Alexander Filipovic: Aus Sicht der christlichen Sozialethik verstehe ich Dialogverweigerung überhaupt nicht. Das ist Ideologiekritik im besten Sinne. Über die sogenannte kalifornische Ideologie wird seit Langem nachgedacht, weil sie Technologien und Wirtschaftsformen stark prägt. Warum sollte man sich nicht mit ihr auseinandersetzen, um die Welt besser zu verstehen und kritisch gestalten zu können? Nicht hinzuschauen oder nicht zu sprechen, geht gar nicht. Entscheidend ist die Form – und das hier halte ich für klug und wichtig.
Zum Abschluss: Ist Peter Thiel selbst der gefährliche Denker, oder liegt die Gefahr darin, dass politische Akteure seine Motive aufgreifen?
Wolfgang Palaver: Ein Multimilliardär hat heute enorme Wirkungsmacht. Unabhängig von politischer oder theologischer Ausrichtung sind solche Vermögenskonzentrationen ein Problem für die Demokratie. In den USA gilt das besonders, etwa durch Super-PACs, die Wahlkämpfe finanzieren. In diesem Sinn ist Thiel gefährlich. Hinzu kommt eine Theologie, die in meinen Augen – etwa bei Katechon und Antichrist – Carl Schmitt sehr nahekommt. Diese Verbindung halte ich für problematisch, erst recht, wenn sie mit Milliarden unterfüttert ist.
Alexander Filipovic: Dem würde ich zustimmen. Thiel verfolgt ein kraftvolles, antiliberales Projekt mit klarer Strategie und enormen Ressourcen. Das ist gefährlich – sowohl wegen der technologischen Mittel als auch wegen des politischen Arms. Die Vorstellung eines Präsidenten J. D. Vance bereitet mir ernsthafte Sorgen.
Eine letzte Frage an Alexander Filipović als Medienethiker: Was lässt sich medienethisch zum Phänomen Peter Thiel sagen, der derzeit omnipräsent ist und dessen Vorlesungen sogar geleakt wurden – offenbar nicht zu seinem Nachteil?
Alexander Filipovic: Da steckt alles drin, was medial attraktiv ist: Geheimnis, Theologie, Philosophie, bedrohlich wirkende Begriffe. Man kann starke Bilder erzeugen – wir haben selbst erlebt, was dabei herauskommt. Antichrist, Thiel, Trump: Das ist medientauglich. Natürlich erzeugt auch eine kritische Auseinandersetzung Aufmerksamkeit, die dem Projekt zugutekommen kann. Ganz vermeiden lässt sich das nicht. Wichtig ist, gleichzeitig kritische Expertisen in die Öffentlichkeit zu bringen. Solche Medienphänomene lassen sich nicht abstellen, man kann ihnen nur reflektiert begegnen.
Und es ist ja nichts Schlechtes, wenn angehende Theologinnen und Theologen sich wieder mit klassischen theologischen Fragen befassen, die durch Begriffe wie Antichrist oder Katechon neu aufgerufen werden – Themen, die lange gemieden wurden, aus guten Gründen...
Vielen Dank für dieses Gespräch!
